Mainz

»Etwas Gutes«

Rabbiner Aharon Ran Vernikovsky vor der Synagoge der Jüdischen Gemeinde in Mainz Foto: imago images/Sämmer

Herr Rabbiner Vernikovsky, was bedeutet die Aufnahme der SchUM-Stätten konkret für die jüdischen Gemeinden vor Ort?
Für die jüdischen Gemeinden in Speyer, in Worms und in Mainz bedeutet es, dass sie nun wissen, dass sie rituelle Eigentümer von jüdischen Stätten sind, die Weltkulturerbe sind. Sie stehen in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass diese Kultusstätten auch in Zukunft erhalten, gefördert und gepflegt werden. Die jüdischen Gemeinden sind Teil eines sehr großen Projektes, das auch über die Regionen hinausgeht. Es sind die ersten jüdischen Weltkulturerbestätten überhaupt in Deutschland.

Übernehmen die Gemeinden damit auch gewissermaßen eine Art Vorbildfunktion?
Ob man sich jetzt als Vorbild fühlt, das vermag ich nicht zu sagen, aber wir haben eine Aufgabe zu erfüllen – und das tun wir sehr gern. Wir haben die Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass über die Kultusstätten Judentum ganz anders vermittelt wird. Wir haben in der Frage, wie diese Stätten Besuchern zugänglich gemacht werden, wie sie thematisch und inhaltlich kommuniziert werden, auch Gestaltungsfreiheit. Das kann alles sehr spannend werden.

Wie sollen Inhalte vermittelt werden?
In allen drei SchUM-Städten sollen Besucherzentren entstehen, das ist der Plan. In Mainz wird voraussichtlich ein Besucherzentrum am historischen Friedhof sein, in Worms und Speyer läuft die Suche nach einem Platz. Die jüdischen Gemeinden sind in diese Prozesse eingebunden. Und das ist wichtig, dass wir mit dabei sind. Wir machen gestalterisch mit, lassen Ideen einfließen. Dieses schöne Werkzeug, das wir nun in der Hand haben, wollen wir so nutzen, dass viel mehr über Judentum in Deutschland gelernt wird.

Der Wormser Friedhof gibt 1000 Jahre jüdische Geschichte wieder.

Wenn es ums Lernen geht: Wie wird die Geschichte digital für Schülerinnen und Schüler aufgearbeitet?
Auch in diesem Bereich wird einiges passieren. Die Stadt Mainz hat eine App entwickelt, die sich mit den jüdischen Aspekten des alten Magenza beschäftigt, mit der Geschichte von SchUM. Ich glaube, dass es, was Schülerinnen und Schüler angeht, ein großes Interesse seitens des Landes geben wird. Eine SchUM-Stadt wie Worms, die sicherlich von allen dreien die interessanteste ist, weil sie »am meisten« an SchUM zu bieten hat, wird sicherlich von vielen Schülerklassen besucht werden, um sich den Synagogenbezirk anzusehen – mit der Mikwe, mit dem Raschi-Lehrhaus, mit dem wirklich einmaligen mittelalterlichen Friedhof. In der Stadt kann man sehr viel über die Geschichte des Judentums in Worms erfahren.

Zu welchem Ort haben Sie eine besonders emotionale Verbindung?
Tatsächlich ist dies der alte Friedhof in Worms. Er ist in sich vollständig, und dieser Friedhof gibt 1000 Jahre jüdische Geschichte wieder. Wir haben es mit Monumenten und Stilrichtungen aus allen möglichen Epochen dieser Zeit zu tun. Und es ist auch ein Ort, auf dem unglaublich bedeutende Gelehrte des Judentums beigesetzt wurden. Wie der MaHaRam, der MaHaRIL: mittelalterliche Schriftgelehrte, die aber das aschkenasische Judentum maßgeblich geprägt haben. Dass dieser Friedhof so vollständig ist und in sich eine gewisse Ästhetik hat, das sieht man beim Besuch.

Sie haben zum Ende der Veranstaltung ein Gebet gesprochen. Welches war es?
Ich wurde gefragt, ob ich zum Abschluss noch ein Gebet zitieren könne, und habe überlegt, welches dafür geeignet wäre. Viele Gebete wurden in dieser SchUM-Epoche verfasst und kanonisiert. Und sie werden heute noch benutzt. Trauergesänge zählen dazu, aber auch Gebete der Hohen-Feiertage-Liturgie. Ich habe mich für ein Gebet entschieden, das Teil des Rosch-Haschana-Morgengebets ist. Eine kurze Passage, in der es um die Vergänglichkeit, beinahe schon Nichtigkeit des Menschen geht. Der Mensch ist ein provisorisches Wesen gegenüber der Absolutheit des Göttlichen. Und diese Gegenüberstellung wird in diesem Gebet sprachlich sehr schön dargestellt.

Mit dem Rabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde Mainz-Rheinhessen sprach Katrin Richter.

Acharej Mot – Kedoschim

Nur in Einheit

Die Tora lehrt, wie wir als Gemeinschaft zusammenleben sollen

von Rabbiner Raphael Evers  09.05.2025

Talmudisches

Von reifen Feigen

Wie es kam, dass Rabbi Josi aus Jokrat kein Mitleid mit seinen Kindern hatte

von Rabbiner Avraham Radbil  09.05.2025

Philosophie

»Der kategorische Imperativ liebt weder dich noch mich«

Die deutsch-jüdische Aufklärung hat einen gefährlichen Golem erschaffen, behauptet Michael Chighel in seinem neuesten Werk. Sein ehemaliger Schüler hat es gelesen und kritisch nachgefragt

von Martin Schubert  09.05.2025

Interview

»Wir brauchen einen Papst, der politisch trittsicher ist«

Nikodemus Schnabel über den interreligiösen Dialog und einen Favoriten des Papst-Konklaves, den er selbst gut kennt

von Michael Thaidigsmann  07.05.2025

Israel

Knesset-Ausschuss will Christen besser schützen

Übergriffe auf Christen in Israel sind keine Seltenheit - und werden mehr. Damit befasste sich nun ein Parlamentsausschuss. Er fordert ein systematisches Vorgehen gegen das beunruhigende Phänomen

 07.05.2025

Debatte

Jüdische Erwartungen an neuen Papst

Die Beziehungen zwischen der jüdischen Weltgemeinschaft und dem Vatikan sind belastet - vor allem seit dem 7. Oktober 2023. Was erwarten internationale jüdische Organisationen?

von Leticia Witte  06.05.2025

Tasria-Mezora

Segen der eigenen Scholle

Warum die »landgebundenen Gebote« der Tora dazu verpflichten, eine gerechte Gesellschaft zu formen

von Yonatan Amrani  02.05.2025

Talmudisches

Geben und Nehmen

Was unsere Weisen über Mond und Sonne lehren

von Vyacheslav Dobrovych  02.05.2025

Meinung

Jesus, Katrin und die Pharisäer

Katrin Göring-Eckardt zeichnet in einem Gastbeitrag ein negatives Bild der Pharisäer zur Zeit von Jesus. Dabei war der selbst einer

von Thomas Wessel  01.05.2025