Neuauflage

Ein antizionistischer Zionist

Isaac Breuer, geboren 1883 im westungarischen Pápa, gestorben 1946 in Jerusalem. Foto: LIT

Neuauflage

Ein antizionistischer Zionist

Das Denken des deutsch-jüdischen Religionsphilosophen Isaac Breuer lässt sich nun gründlicher erschließen

von Yizhak Ahren  28.02.2025 13:01 Uhr

Der deutsch-jüdische Religionsphilosoph und Jurist Isaac Breuer (1883–1946) hat zahlreiche Schriften veröffentlicht, die heute teilweise wieder im Rahmen einer Werkausgabe im Buchhandel zu erwerben sind. Im Nachlass des orthodoxen Juden fanden sich die Manuskripte mehrerer Bücher, darunter ein Werk mit dem Titel Mein Weg, das Breuer wenige Monate vor seinem Tod fertiggestellt hat. Der Autor wollte keine klassische Autobiografie hinterlassen, sondern eine Art Einführung in sein Denken. Breuers letztes Buch wurde erstmals 1988 gedruckt; vor Kurzem ist eine zweite Auflage erschienen.

Die neue Ausgabe haben Matthias Morgenstern und Jeschaja Balog ediert, die beide ausgewiesene Kenner des umfangreichen Werks von Breuer sind. Hinzugekommen sind in der zweiten Auflage ein informatives Vorwort, Glossare, Literaturverzeichnisse, Personenregister sowie einige aufschlussreiche Briefe von Breuer, die aus einer hebräischen Publikation ins Deutsche übersetzt worden sind. Auch haben die Herausgeber Breuers Text mit Fußnoten kommentiert; ihre Anmerkungen sind hilfreich, sie erhellen manche Sachverhalte und verweisen auf parallele Ausführungen des Verfassers in anderen Schriften.

Ohne Zweifel haben Morgenstern und Balog die Intention des Autors fast immer richtig erfasst. Es soll an dieser Stelle aber nicht unerwähnt bleiben, dass mir eine falsche Interpretation aufgefallen ist: Breuer verweist missbilligend auf die Flagge von »Tora uMussar«; irrtümlicherweise sehen die Kommentatoren hier eine Anspielung auf die Jeschiwa »Kol Tora« in Jerusalem. In Wirklichkeit bezog sich der Autor aber auf die »Tora uMussar«-Bewegung, die in den 30er-Jahren in orthodoxen Kreisen in Deutschland propagiert wurde. »Tora uMussar« stieß bei Breuer auf Ablehnung, weil sie die ruhmbedeckte Flagge »Tora im Derech Erez« (Tora und weltliche Kultur) ersetzen sollte.

Breuer war ein Enkel von Samson Raphael Hirsch

»Tora im Derech Erez« war bekanntlich die Losung von Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888), der als Begründer der Neo-Orthodoxie gilt. Breuer war ein Enkel von Hirsch. Dessen Auffassungen hat er oft zitiert und erläutert. So erklärt Breuer in Mein Weg Hirschs Konzept von Mensch-Jisroel: »Der Begriff besagt, dass das Judesein ein bestimmt geartetes Menschsein ist, dass das Judesein daher in keinerlei Gegensatz zum Menschsein steht, es vielmehr zur Voraussetzung hat und seine Vollendung in einem den göttlichen Weisungen entsprechenden Leben erstrebt.«

Breuer war aber nicht nur ein tüchtiger Interpret seines berühmten Großvaters; er nahm es auf sich, die Weltanschauung von Hirsch im Hinblick auf eine neue Zeit weiterzuentwickeln. Hirschs Formel »Tora im Derech Erez« hat Breuer in »Tora im Derech Erez Israel« (Tora und weltliche Kultur im Lande Israel) abgewandelt. Die veränderte Losung deutet eine kühne Revolution an, für die Breuer unermüdlich kämpfte. Hirschs Enkel wollte eine Neuorientierung der Orthodoxie bewerkstelligen, was ihm allerdings, wie er offen zugibt, nicht gelungen ist.

Eine neue Epoche

Seit dem Ersten Weltkrieg und der Balfour-Deklaration im Jahr 1917 glaubte Breuer, eine neue Epoche zu erkennen, die das jüdische Volk vor eine völlig neue Situation stellt. Folgerichtig entwarf er ein Programm für »die Bereitstellung der jüdischen Nation und des jüdischen Landes für ihre Wiedervereinigung unter der Herrschaft Gottes und seines Rechtes«. Breuer versuchte die internationale Vereinigung der Gesetzestreuen, »Agudat Is­rael«, für seine Ideen zu gewinnen. Er beschreibt seine vielfältigen Bemühungen und schildert auch die Eigenarten einiger Mitstreiter und ideologischer Gegner, allen voran Pinchas Kohn, Salomon Ehrmann und Jacob Rosenheim.

Um Breuers politisch-ideologische Position zu kennzeichnen, prägte jemand eine paradoxe Formulierung: »antizionistischer Zionismus«. Sowohl den säkularen als auch den religiösen Zionismus beurteilte Breuer stets sehr kritisch – und doch kämpfte er unentwegt für ein jüdisches Nationalheim. Die Ausrufung des Staates Israel im Jahre 1948 hat Breuer nicht mehr erlebt. Weil der Autor in nicht wenigen Passagen grundsätzliche Fragen des jüdischen Volkes behandelt, konnten seine Söhne Jacob und Mordechai Jahrzehnte nach dem Tod ihres Vaters auf die Aktualität der hier angezeigten Schrift hinweisen.

Isaac Breuer: »Mein Weg«. Morascha, Basel 2024, 301 S., 29 €

Wajigasch

Mut und Hoffnung

Jakow gab seinen Nachkommen die Kraft, mit den Herausforderungen des Exils umzugehen

von Rabbiner Jaron Engelmayer  19.12.2025

Mikez

Füreinander einstehen

Zwietracht bringt nichts Gutes. Doch vereint ist Israel unbesiegbar

von David Gavriel Ilishaev  19.12.2025

Meinung

Heute Juden, morgen Christen

»Judenhass führt konsequent zum Mord. Dafür darf es kein Alibi geben«, schreibt Rafael Seligmann

von Rafael Seligmann  19.12.2025

Chanukka

»Wegen einer Frau geschah das Wunder«

Zu den Helden der Makkabäer gehörten nicht nur tapfere Männer, sondern auch mutige Frauen

von Rabbinerin Ulrike Offenberg  18.12.2025

Essay

Chanukka und wenig Hoffnung

Das hoffnungsvolle Leuchten der Menorah steht vor dem düsteren Hintergrund der Judenverfolgung - auch heute wieder

von Leeor Engländer  18.12.2025

Chanukka

Berliner Chanukka-Licht entzündet: Selbstkritik und ein Versprechen

Überschattet vom Terroranschlag in Sydney wurde in Berlin am Mittwoch mit viel Politprominenz das vierte Licht an Europas größtem Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor entzündet

von Markus Geiler  18.12.2025

Chanukka

Wofür wir trotz allem dankbar sein können

Eine Passage im Chanukka-Gebet wirkt angesichts des Anschlags von Sydney wieder ganz aktuell. Hier erklärt ein Rabbiner, was dahinter steckt

von Rabbiner Akiva Adlerstein  17.12.2025

Attentat in Sydney

»Was würden die Opfer nun von uns erwarten?«

Rabbiner Yehuda Teichtal hat bei dem Attentat in Sydney einen Freund verloren und wenige Stunden später in Berlin die Chanukkia entzündet. Ein Gespräch über tiefen Schmerz und den Sieg des Lichts über die Dunkelheit

von Mascha Malburg  16.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  15.12.2025