Magnus-Hirschfeld-Stiftung

Im Sinne des Namensgebers

Stiftungsvorsitzender Jörg Litwinschuh Foto: dpa

Alle Menschen sind gleich und zugleich individuell verschieden.» Mit diesem Satz nahm Magnus Hirschfeld 1910 eine politische Dimension vorweg, die 1949, fast 40 Jahre später, Eingang in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland fand. Zu diesem Zeitpunkt war der jüdische Arzt und Sexualforscher, der als Mitbegründer der ersten Homosexuellen-Bewegung in Deutschland gilt, bereits seit 14 Jahren tot, gestorben im französischen Exil in Nizza.

2011 gründete die deutsche Bundesregierung die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Es ist bislang die jüngste und kleinste von etwa 50 Bundesstiftungen. Schirmherr ist Bundesjustizminister Heiko Maas. Ihren ersten großen Festakt beging die Stiftung im Centrum Judaicum, gemeinsame Projekte mit dem Potsdamer Abraham Geiger Kolleg folgten. Als ihr selbst gewähltes Satzungsziel formuliert sie: «Die Stiftung soll dazu beitragen, der Diskriminierung von Homosexuellen entgegenzutreten, die Erinnerung an die Nazi-Verbrechen an Homosexuellen wachzuhalten sowie Leben und Werk ihres Namensgebers zu würdigen.»

Identität Dass Hirschfeld Jude war, der sich selbst Zeit seines Lebens als solcher verstand – neben seiner Identität als «Deutscher und Weltbürger» –, habe in der Stiftungsarbeit «von Anfang an eine wichtige Rolle» gespielt, betont Vorstand Jörg Litwinschuh. Doch er räumt auch ein, dass die Verantwortung, die mit Hirschfelds jüdischer Identität einhergehe, «bisher zu wenig im Bewusstsein der Stiftungsarbeit» angekommen sei. Nur so könne er sich erklären, dass es 2014 im Vorfeld zum jährlichen Charity-Galadinner der Stiftung zu einem Eklat kam – ausgelöst von antisemitischen Äußerungen mehrerer Gäste im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg. «Als ich davon erfuhr, war ich traurig und entsetzt», sagt Litwinschuh. «Bei 170 Gästen kann ich nur mutmaßen, wer sich so geäußert haben kann – doch fest steht, solche Leute wollen wir nicht haben.»

Das ist schon einmal ein Anfang, findet der Politanalyst Aron Sircar. Er berät die Stiftung bei verschiedenen Projekten und regt an, sich künftig stärker gegen Antisemitismus in der eigenen Gemeinschaft zu engagieren. «Wer Magnus Hirschfeld im Namen trägt, muss sich klar positionieren», findet Sircar. Voraussetzung dafür sei ein «stärkeres Bewusstsein». Genau das lasse die Stiftung bislang vermissen. Dabei liegen die Schnittstellen auf der Hand – wie bei Bildungsarbeit, Kooperationen mit dem Deutschen Fußballbund (DFB) und in Zusammenarbeit mit stiftungsnahen Unterstützergruppen.

Fussball So plant die Stiftung etwa für 2016 gemeinsam mit dem DFB das Projekt «Fußball für Vielfalt». Denn: «Wo man homophobe Einstellungen findet, sind leider antisemitische Vorurteile nicht weit», so Litwinschuh. Bislang sind solchen vielversprechenden Worten noch keine Taten gefolgt. So hat die Stiftung zu wiederholten antisemitischen Attacken auf jüdische Fußballvereine in Berlin und Köln geschwiegen. «Eine Bundesstiftung, die einen jüdischen Namen trägt und im Fußball gegen Homophobie kämpft, sich gleichzeitig aber vor dortigem Antisemitismus duckt, erweckt unbewusst den Eindruck einer sehr zynischen Doppelmoral», meint Sircar.

«Wir waren bislang noch nicht so weit, das Thema Antisemitismus bei all unseren Projekten mitzudenken, aber das wird sich ändern», betont Stiftungschef Litwinschuh. Er nehme die Anregungen «sehr ernst». Denn er erlebe, dass es in der Gesellschaft «sehr viel und wachsenden Antisemitismus» gebe – auch unter Lesben und Schwulen. «Auch in unseren eigenen Communities nehmen Rassismus und Antisemitismus zu», meint Litwinschuh. «Wir müssen uns diesem Thema stellen – bisher ein riesiges Tabu.»

Einen Vorfall wie 2014 jedenfalls sollte es bei der Gala Ende 2015 keinesfalls geben – zumal diesmal Yakov Hadas-Handelsman zu den Ehrengästen gehörte. Immer wieder weist der israelische Botschafter auf die pluralistische Gesellschaft in Israel hin. Das Land sei «eine Insel für die Rechte von Schwulen und Lesben im Nahen Osten», sagte er etwa 2015 bei der Eröffnung des israelischen Standes beim lesbisch-schwulen Stadtfest in Berlin, Europas größtem LGBT-Fest.

Zusammenarbeit Gerade im deutschen und israelischen Fußball gibt es nahezu identische Zielsetzungen. So ist in Israel der New Israel Fund (NIF) seit zwölf Jahren mit seinem Projekt «Kick it out» gegen Rassismus und Homophobie im israelischen Fußball aktiv. Doch gemeinsame Projekte mit gleichgesinnten israelischen Organisationen schloss die Hirschfeld-Stiftung bislang aus, trotz enger Kontakte zu schwul-lesbischen Einrichtungen in Israel. Litwinschuh begründet dies mit der Satzung, die besagt, dass «die Stiftung aufgrund des Bundes als Träger nicht international politisch agieren» dürfe. Dabei läge gerade darin eine Chance, meint Sircar. «Unterstützung für Israel zu zeigen, würde eines sehr deutlich machen: dass man als anti-israelisch verkleideten antisemitischen Tönen entgegentritt und gleichzeitig gemeinsam für eine pluralistische Gesellschaft kämpft.»

«Demokratie ist so stark, wie sie sich auch mit den Schwächsten ihrer Gesellschaft auseinandersetzt.» Auch dieser Satz stammt von Magnus Hirschfeld. Es gebe keine Veranstaltung, bei der die Stiftung nicht darauf hinweise, dass Hirschfeld Jude war, unterstreicht der Stiftungschef.

Doch nun, insbesondere im fünften Jubiläumsjahr der Stiftung, wolle er verstärkt zeigen, dass «Magnus Hirschfeld für Vielfalt steht und sensibler auf Antisemitismus reagieren». Litwinschuh freut sich auf eine künftige Kooperation mit jüdischen Organisationen und Einrichtungen, um für gemeinsame Werte und Ziele einzutreten. Erste handfeste Ideen will er zügig mit Sircar erarbeiten und umsetzen.

Margot Friedländer

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