Sicherheit

Spürbare Sorgen

Die Polizei fährt regelmäßig an Synagogen vorbei, um die Sicherheitslage vor Ort zu überprüfen – wie hier in Chemnitz. Foto: picture alliance / Zoonar

Mehr Telefonate, größere Sorgen, Veranstaltungen, die verschoben oder ganz abgesagt werden: Seit Freitag vergangener Woche, nachdem aus dem Konflikt zwischen Israel und Iran ein Krieg geworden ist, sind die jüdischen Gemeinden in Deutschland in großer Sorge. So wie Juri Rosov, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Rostock. Seine Mitglieder und er wünschen sich gerade jetzt mehr Polizeipräsenz bei Veranstaltungen und Gottesdiensten. Immerhin: Die Baumaßnahmen an der Synagoge für mehr Sicherheit stehen kurz vor dem Abschluss.

Erst Anfang der Woche waren 40 Teilnehmer eines Seminars für den Bundesfreiwilligendienst der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) nach Rostock gereist. »Wir wollten die Veranstaltung nicht absagen«, erzählt Gianna Marčuk, Leiterin der ZWST-Zweigstelle. »Wir wollen unser jüdisches Leben nicht zum Erliegen kommen lassen, aber wir sind verunsichert.« Die Sorge in den Gemeinden ist berechtigt: Der Iran könnte laut Verfassungsschutz seine terroristischen Netzwerke aktivieren, um auch Anschläge auf jüdische Gemeinden in Deutschland zu verüben.

Der Iran könnte laut Verfassungsschutz seine terroristischen Netzwerke aktivieren, um auch Anschläge auf jüdische Gemeinden in Deutschland zu verüben.

Seit 30 Jahren lebt Marčuk in Mecklenburg. »Aber seit dem 7. Oktober 2023 hat auch hier der Antisemitismus zugenommen. Es ist schlimm«, sagt die stellvertretende Vorsitzende des TuS Makkabi Rostock. »Einige Sportler verlassen das Haus nur noch mit Pfefferspray.«

»Wir müssen vorsichtiger agieren«, sagt auch Aron Russ, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde zu Dessau. Die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes wurden auf die Lage hingewiesen. »Wir haben Mechanismen, auf die wir zurückgreifen können, denn es ist nicht das erste Mal, dass wir uns aufgrund des Nahostkonflikts gefährdet fühlen«, sagt Russ. Dennoch will die Gemeinde die Synagogenführungen nicht absagen, sondern mit besonderer Vorsicht agieren. »Es ist unsere Aufgabe, die Mitglieder zu sensibilisieren.«

Schusssichere Fenster, Sicherheitsschleuse, Security-Personal

Auch 400 Kilometer weiter westlich, in der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen, nehmen die Mitglieder die erhöhte Bedrohung wahr. Die Sorgen seien in den vergangenen Tagen spürbar geworden, betont Geschäftsführer Igor Kuznecov. Bereits vor Monaten wurden schusssichere Fenster eingebaut, die Sicherheitsschleuse erneuert, das eigene Security-Personal nochmals gebrieft.

Allerdings habe es vor ein paar Wochen eine Anweisung des Innenministeriums gegeben, dass die Sicherheitsmaßnahmen reduziert würden. Das teilte die Polizei dem Geschäftsführer mit. Im ersten Schritt hieße das, dass Polizisten nachts nur noch einmal pro Stunde die Synagoge kontrollieren, im nächsten Schritt sollte dieser Rhythmus auch tagsüber eingehalten werden. Doch dazu wird es nun nicht kommen.

Alles läuft weiter wie gehabt. »Traurig, dass das sein muss«, sagt Igor Kuznecov. An diesem Montagmorgen habe er mit einem Sänger über einen Chorauftritt gesprochen. Die Stadt Gelsenkirchen feiert ihr Jubiläum, bei dem auch der Chor der jüdischen Gemeinde auftreten wollte – im Freien. »Der Sänger meinte, dass er im besten Fall eine Dose an den Kopf bekomme«, sagt der Geschäftsführer der Gemeinde. Eigene Feiern finden mittlerweile aus Sicherheitsgründen nicht mehr spätabends statt. So wurde auch der Schabbat-Gottesdienst eine halbe Stunde vorverlegt.

Bei der Jüdischen Gemeinde in Braunschweig hatte sich der Staatsschutz direkt am 13. Juni gemeldet, nachdem Israel mit den Angriffen auf iranische Atomanlagen begonnen hatte. »Wir haben miteinander gesprochen«, sagt Gemeindechefin Renate Wagner-Redding. Vereinbart wurde, dass die Polizei häufiger am Gemeindehaus vorbeifährt. »Wir befinden uns mitten im Zentrum, aber da unsere neue Synagoge im Hinterhof steht, sind wir nicht so leicht zu identifizieren.«

Bei Gottesdiensten oder Veranstaltungen »steht nun die Polizei vor der Tür«, sagt die Gemeindevorsitzende. Früher hätten sie sich auf der »Insel der Glückseligen« befunden. Dies sei jetzt vorbei. Auch viele ältere Gemeindemitglieder seien besorgt.

»Natürlich fühlen wir uns wegen des Krieges zwischen Israel und Iran auch bedroht«, meint Gennadi Kuschnir, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Cottbus. Die Sicherheitsmaßnahmen wurden seitens der örtlichen Polizei teilweise erhöht. Einige Projekte, wie die Teilnahme am Stadtfest, sollen dennoch wie geplant stattfinden.

Mehr Polizisten als sonst vor der Synagoge

Kantor Amnon Seelig, der in Mannheim amtiert, war am vergangenen Samstag überrascht, dass trotz der Gefahrenlage so viele Beter den Gottesdienst besuchten. Mehr Polizisten als sonst standen vor der Synagoge. »Aber wissen die Beamten überhaupt, worauf sie achten müssen?«, fragt sich der Israeli.

Er nennt ein Beispiel: Jüngst stand ein Mini-Van mit verdunkelten Fenstern und österreichischem Kennzeichen auf dem Parkplatz, der für die Polizei reserviert ist. »Als Israeli schrillten bei mir die Alarmglocken, die Polizisten aber gingen von einem Falschparker aus.« In Israel werde man geschult, auf liegen gelassene Rucksäcke zu achten und zu schauen, wer in den Bus steigt. »Vielleicht bin ich ein bisschen paranoid«, sagt Amnon Seelig. Er hofft, dass auch die Polizisten stärker sensibilisiert werden.

Die Auswirkungen des Krieges in Nahost sind auch in Mannheim zu spüren: Das für Dienstag geplante Straßenfest »Meile der Religionen« wurde bereits abgesagt. Menschen aus der jüdischen, christlichen, der muslimischen und der alevitischen Gemeinde wären wieder Gastgeber gewesen und hätten eine Tafel mit Leckereien quer durch die Innenstadt gedeckt: an der evangelischen CityKirche Konkordien und der katholischen Marktplatzkirche St. Sebastian vorbei bis zur Synagoge. Nun aber könne die Sicherheit für die jüdische Gemeinschaft nicht gewährleistet werden.

Um die Mitglieder auch online über die geänderte Sicherheitslage zu informieren, veröffentlichte die Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) eine Mitteilung auf ihrer Homepage. Zu lesen war da, dass die »die Bedrohungslage für jüdische Einrichtungen durch das Landeskriminalamt und das Bundeskriminalamt permanent überprüft wird«.

Dass Spannungen im Nahen Osten sich auch auf die Situation in Deutschland auswirken, habe die Vergangenheit gezeigt, fasst der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, zusammen. Er befürchtet eine verstärkte Bedrohung jüdischen Lebens in Deutschland. Er begrüße es, dass die Bundesregierung bereits aktiv geworden sei und das Sicherheitskabinett einen verstärkten Schutz jüdischer und israelischer Einrichtungen beschlossen habe.

Veranstaltungen wurden abgesagt, Telefonate mit der Polizei geführt.

Auch der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, erklärte, dass die Gefahr von islamistisch motivierten Anschlägen in Deutschland wachse. Bedrohungen gehen laut Kramer von sogenannten Proxys aus, von Teheran eingesetzten Terrorgruppen. »Denkbar ist auch, dass der Iran inländische Islamisten benutzt, um Anschläge zu verüben. Es soll mit dem Terror ein Klima der Angst in den westlichen Heimatländern befördert und schließlich damit auch die Solidarität mit Israel geschwächt werden.«

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte zuvor zum Abschluss der Innenministerkonferenz in Bremerhaven erklärt, Vorkehrungen zu treffen, um einen erhöhten Schutz jüdischer und israelischer Einrichtungen zu ermöglichen. Damit sei man gewappnet für den Fall, dass sich aus der Situation in Nahost eine mögliche Bedrohungslage in Deutschland entwickeln sollte.
Den Gemeindemitgliedern, die einen Gottesdienst oder eine Veranstaltung besuchen, können damit vielleicht ein wenig die Sorgen genommen werden – wenn auch nur für einen Moment.

Maccabiah

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