Sicherheit

Razzien gegen »Reichsbürger«

Bereits zum dritten Mal in diesem Jahr sind die bayerischen Behörden mit einer landesweiten Durchsuchungsaktion gegen die sogenannte Reichsbürger-Bewegung vorgegangen. Die Aktion unter der gemeinsamen Leitung des Polizeipräsidiums Oberbayern-Nord und der Staatsanwaltschaft München richtete sich auch zum wiederholten Male gegen die Zentrale des »Bundesstaates Bayern« in Pliening (Kreis Ebersberg) vor den Toren Münchens.

Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, begrüßt das harte Durchgreifen der Behörden. »Lange, zu lange, wurden die Reichsbürger als mehr oder weniger harmlose Spinner angesehen und konnten so ungehindert ihre staats- und demokratiefeindlichen Strukturen aufbauen«, so Knobloch.

Neonazis Die Verfassungsschutzbehörden stufen die Reichsbürger derzeit zwar nicht grundsätzlich als rechtsextremistische Organisation ein, trotzdem sei unverkennbar, dass dort auch eine größere Zahl von rechten Extremisten und Neonazis mitmischen würde, heißt es in entsprechenden Erklärungen. »In München«, so IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch, »herrschen besonders enge Verflechtungen und personelle Überschneidungen in der rechten Szene. Immer wieder tauchen die gleichen Namen auf.«

Bei der Durchsuchungsaktion in der vergangenen Woche, die sich vor allem gegen das Führungspersonal richtete und sich auf 28 Objekte in ganz Bayern erstreckte, wurde ein per Haftbefehl gesuchter Reichsbürger festgenommen, Datenträger, Blankoausweise und zahlreiche andere Unterlagen sichergestellt. Waffen und Munition wurden diesmal nicht gefunden, aber das Ziel ist klar. »Auch wenn sich die selbst ernannten Reichsbürger noch so zu widersetzen versuchen, der Rechtsstaat setzt sich durch«, betonte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann.

Der klare und entschiedene Kurs von Innenminister Herrmann ist nach Überzeugung der IKG-Präsidentin beispielhaft für ganz Deutschland – und alternativlos. »Juden«, so Charlotte Knobloch, »haben ein feines Gespür für Entwicklungen, die sich gegen Freiheit und Demokratie richten. Und bei den Reichsbürgern ist das unverkennbar der Fall.«

Terroranschläge Von einem hohen Gefahrenpotenzial der Reichsbürger geht offenbar auch das Bundeskriminalamt (BKA) aus. In einem vertraulichen Bericht, aus dem die »Welt am Sonntag« zitierte, wurden rechtsextrem eingestellten Reichsbürgern sogar Terroranschläge zugetraut. Sie seien zur »äußersten Gewalt bis hin zu terroristischen Aktionen« bereit, heißt es in dem Papier. Die Behörden gehen davon aus, dass derzeit 12.800 Menschen der Reichsbürger-Szene angehören und etwa 1000 von ihnen als Rechtsextremisten angesehen werden müssen. Sie erkennen die Bundesrepublik nicht an, gehen davon aus, dass das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 noch existiert, und agieren in kleinen, aber gut vernetzten Gruppen.

Wie weit verbreitet sie in Bayern sind, zeigt sich an der Vielzahl der Orte, wo Durchsuchungen stattfanden: Ansbach, Dillingen, Erding, Erlangen, Fürstenfeldbruck, Fürth, Kempten, Landshut, Memmingen, München, Passau, Regensburg, Rosenheim, Schwabach und Weiden. Wegen ihres engen Kontakts wurden darüber hinaus auch noch vier Objekte außerhalb Bayerns durchsucht, in Kaiserslautern und Ludwigshafen.

Die schon seit längerer Zeit und wiederholt geäußerte Befürchtung von Charlotte Knobloch, dass es sich bei den Reichsbürgern keineswegs um »harmlose Spinner« handle, wird in dem internen BKA-Bericht in erschreckendem Maße bestätigt. Vor allem das Thema Flüchtlinge habe zu einer Radikalisierung geführt. »Aus Sicht rechtsextremer Ideologien sollte die deutsche Staatsangehörigkeit an eine ethnisch definierte ›Volksgemeinschaft‹ geknüpft sein, um so dem ›Volkstod‹ durch ›Masseneinwanderung‹ zu begegnen«, analysiert die Behörde den ideologischen Hintergrund. Das BKA ordnet den Reichsbürgern, die in Bayern besonders starke Strukturen entwickeln konnten, für die Jahre 2016 und 2017 rund 13.000 Straftaten zu, davon 750 Gewaltdelikte.

Gewalttaten »Wir sprechen hier nicht von abstrakten Szenarien in weiter Ferne, sondern von einem real existierenden Gefahrenpotenzial vor der Haustüre, das auch Mord beinhaltet«, betont die IKG-Präsidentin. Sie meint damit eine ganz bestimmte der 750 Gewalttaten, die in dem BKA-Bericht auftauchen: den tödlich verlaufenden Polizeieinsatz im Oktober letzten Jahres in Georgensgmünd (Landkreis Roth) bei Nürnberg.

Ende August muss sich ein Reichsbürger deswegen vor Gericht verantworten. Der Anklage zufolge schoss er durch die geschlossene Tür auf Polizeibeamte, die seine über 30 Schusswaffen sicherstellen wollten. Ein Polizist starb, zwei weitere wurden verletzt. Der Mann ist wegen Mordes angeklagt. Ein Detail, das die Verästelung der Szene in besonderer Weise deutlich macht, stellte sich erst im Laufe der Ermittlungen heraus. Der wild um sich schießende Reichsbürger unterhielt auch zu mehreren Polizisten private Kontakte.

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