Jom Haschoa

Im Namen der Opfer

Dieser Tag macht die Erinnerung zur Pflicht: Jom Haschoa. Daran änderten auch die durch die Pandemie verursachten Einschränkungen nichts, die das gemeinsame Gedenken in diesem Jahr zum zweiten Mal nur virtuell ermöglichten. Tief bewegend, allein dem Anlass geschuldet, waren beide Veranstaltungen, die die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern den Holocaust-Opfern widmete.

Die Namen der rund 4500 ermordeten Münchner Juden im wahrsten Sinne des Wortes sichtbar zu machen, war das Ziel der Aktion am Mittwochabend der vergangenen Woche. Mit Einbruch der Dunkelheit wurden die Namen der Opfer auf die Steinfassade der Ohel-Jakob-Synagoge projiziert. Passanten sprachen von einem beeindruckenden Bild.

Das »Bild« hinter der Projektion sprach IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch an, die sich das bewegende Ereignis am Jakobsplatz nicht entgehen ließ. Vor der Synagoge sagte sie: »Jeder der projizierten Namen erinnert daran, was Menschen Menschen antun können. Es sind 4500 von sechs Millionen, und jeder erzählt die Geschichte eines Lebens, das zu früh endete.«

bedeutung Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde wies bei dieser Gelegenheit auch auf die Bedeutung des öffentlichen Gedenkens hin. »Die Opfer nicht in Vergessenheit geraten zu lassen«, betonte sie, »ist das Mindeste, was wir in den nachfolgenden Generationen tun können, ja, tun müssen.«

Die Schoa-Überlebende Tamar Dreifuss ging auch auf aktuelle politische Entwicklungen ein.

Erinnerung aus erster Hand hatte Tamar Dreifuss zuvor bei der Online-Veranstaltung vermittelt, die von der IKG-Kulturabteilung zum 78. Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto und dem 76. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager für die Israelitische Kultusgemeinde organisiert worden war. Tamar war drei Jahre alt, als ihre Familie von sowjetischen Soldaten aus ihrer Wohnung vertrieben wurde.

Sie erlebte den Einmarsch der deutschen Soldaten und die Ermordung vieler Wilnaer Juden mit. Gemeinsam mit ihrer Mutter kam sie ins Ghetto. »Mit drei Jahren«, beschrieb sie den damaligen Schrecken, »endete meine Kindheit.«

erlebnisse Tamar Dreifuss, die ihre Erlebnisse auch in dem 2009 in Köln erschienenen Kinderbuch Die wundersame Rettung der kleinen Tamar 1944. Ein jüdisches Mädchen überlebt den Holocaust in Osteuropa verarbeitet hat, blickte in ihren Betrachtungen nicht nur zurück, sondern ging auch auf aktuelle politische Entwicklungen ein. »Die Rechten kommen wieder«, stellte sie fest, wies aber zugleich auf einen elementaren Unterschied zur NS-Zeit hin. »Heute haben wir eine Stimme, die auch gehört wird«, sagte die Holocaust-Überlebende.

Die völlige Entrechtung von Juden und die daraus resultierenden Folgen spiegeln die 4500 Namen im »Gang der Erinnerung« im Gemeindezentrum wider – sie stehen für die Münchner Juden, die von den Nazis ermordet wurden. Der Name »Koppel« taucht gleich mehrere Male auf und belegt die Ermordung der Mutter Carola und vier ihrer Kinder, Günther, Hans, Ruth und Judis. Ihrem Mann und zwei Söhnen gelang die Flucht in die USA.

Die völlige Entrechtung von Juden und die daraus resultierenden Folgen spiegeln die 4500 Namen im »Gang der Erinnerung« im Gemeindezentrum wider.

Vor den beleuchteten Glasscheiben mit den Namen der Opfer darauf sorgten Joel Loulai, Julia Ryaguzova, Younas Karali und Nicole Volneyts vom Jugendzentrum Ne­schama für bewegende Momente. Sie rezitierten aus der erhaltenen Korrespondenz der Familie.

verpflichtung Dass sich nach 1945 wieder jüdisches Leben in Deutschland entwickelte, bezeichnete Christine Lambrecht, Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, in ihrer zugeschalteten Video-Botschaft als »ein Wunder«. Daraus leite sich aber ihrer Überzeugung nach auch die Verpflichtung aller Deutschen ab, Judenfeindschaft zu bekämpfen.

Die Ministerin hatte dabei insbesondere antisemitische Verschwörungstheorien im Lager der Corona-Leugner im Blick. In ihrem Grußwort ging sie auch auf das jüdische Leben und seine 1700-jährige Geschichte in Deutschland ein, die in diesem Jahr bundesweit in zahllosen Veranstaltungen gefeiert wird: »Das ist Geschichte, die einfach ausgelöscht werden sollte.« Lambrecht erinnerte an die Verantwortung, die heute alle zu tragen hätten, auch und gerade die Politik. »Nie wieder« dürfe kein leeres Versprechen sein.

Wäre es nicht besser, nach vorne zu blicken und die schreckliche Vergangenheit einfach zu vergessen? Gemeinderabbiner Shmuel Aharon Brodman stellte diese Frage und beantwortete sie zugleich mit einem klaren Nein. Ziel sei es, die Welt ein Stück besser zu machen. Man könne die Vergangenheit nicht einfach vergessen. »Und eine Nation, die keine Vergangenheit hat«, betonte Rabbiner Brodman, »hat auch keine Zukunft.«

München

Das Schweigen brechen

Stephan Lebert und Louis Lewitan stellten ihr neues Buch »Der blinde Fleck« über ein deutsches Tabu und seine Folgen vor

von Helen Richter  03.07.2025

Sport

Fit mit Makkabi

Schmerzt der Rücken? Fehlt die Kraft? Wir haben vier Übungen für alle, die fit im Alltag werden wollen. Gezeigt hat sie uns Noah von Makkabi

von Katrin Richter  03.07.2025

Berlin

»Wie vorm Berghain«

Avi Toubiana über das Kosher Street Food Festival, organisatorische Herausforderungen und Warteschlangen

von Helmut Kuhn  03.07.2025

Lesung

Familiengeschichten

Der Autor Daniel Zylbersztajn-Lewandowski stellte im »taz-Café« zwei Bücher über seine Vorfahren vor – und lernte bislang unbekannte Verwandte kennen

von Alicia Rust  03.07.2025

Chemnitz

Marx und Mikwe

Die Jüdische Gemeinde präsentiert sich im Kulturhauptstadtjahr zwischen Baustelle, Geschichte und Begegnung. Ein Ortsbesuch

von Anett Böttger  02.07.2025

Meinung

Nicht ohne meine Klimaanlage!

Warum sich Deutschland im Sommer an Israel ein Beispiel nehmen sollte

von David Harnasch  02.07.2025 Aktualisiert

Interview

Das hilft wirklich gegen zu viel Hitze und Sonne

Yael Adler über die Frage, wie wir uns am besten schützen können und was wir im Sommer von den Israelis lernen können

von Philipp Peyman Engel  02.07.2025 Aktualisiert

Bayern

Als Rassist und Antisemit im Polizeidienst? Möglich ist es …

Der Verwaltungsgerichtshof München hat geurteilt, dass Beamte sich im privaten Rahmen verfassungsfeindlich äußern dürfen, ohne deswegen mit Konsequenzen rechnen zu müssen

von Michael Thaidigsmann  01.07.2025

München

Gedenken in schwerer Zeit

Die Stadt erinnerte an jüdische Opfer des NS-Regimes. Die Angehörigen aus Israel konnten wegen des Krieges nicht anreisen

von Luis Gruhler  01.07.2025