Nürnberg

Freunde fürs Leben

Das Thermometer zeigt 38 Grad an, die Sonne brennt auf die Fassaden der Fachwerkhäuser herab. Da heißt es, sich so schnell wie möglich ein bisschen Abkühlung zu verschaffen. Doch die gibt es nicht nur in der Hektik und dem Trubel überfüllter Freibäder, sondern auch ruhig und besinnlich. Die Synagoge der Jüdischen Gemeinde in Nürnberg ist vollklimatisiert.

»Es kommen im Sommer während der Urlaubszeit nicht weniger, sondern sogar mehr Menschen zum Gottesdienst«, weiß German Djanatliev zu berichten. Er ist Religionslehrer und Leiter der Jugendarbeit in der Gemeinde. Wenn Djanatliev, der im Kaukasus geboren wurde, von seinen Schülern spricht, ist seine Begeisterung in jedem Wort zu hören. Und so ist es sicher nicht den angenehmen Temperaturen, sondern vor allem auch ihm und den vielen anderen engagierten Gemeindemitgliedern zu verdanken, dass sich auch an diesem Schabbat wieder um die 100 Personen einfinden, um gemeinsam zu beten, zu feiern oder dem Religionsunterricht zu folgen.

Denn das Gemeindeleben in Nürnberg steht auch in den Ferien nicht still. Etliche von Djanatlievs Schützlingen, die hier sonst jede Woche lernen, die Tora zu lesen, sind derzeit zwar in den Machanot, den traditionellen Sommercamps. Doch auch für die Daheimgebliebenen gibt es jede Menge Aktivitäten. »Wir sind gerade mit dem Umbau des Gemeindezentrums beschäftigt. Schon im Dezember soll es eröffnet werden. Dann haben wir endlich einen großen Festsaal und auch ein neues Jugendzentrum«, erzählt Djanatliev. Außerdem plane man, einen eigenen Kindergartens einzurichten.

Angebot Die Gemeinde in Nürnberg ist mit knapp 2100 Mitgliedern die zweitgrößte in Bayern. Noch mehr als auf die wachsende Zahl an Mitgliedern ist der passionierte Lehrer aber auf eine andere Zahl stolz: »100 Prozent der schulpflichtigen Mitglieder unserer Gemeinde besuchen den jüdischen Religionsunterricht. Das ist aber nicht einfach ein Zusatzangebot. Unser Unterricht ersetzt den Religions- und Ethikunterricht an den Schulen. Von der ersten Klasse bis zum Abschluss an der Mittelschule oder sogar bis zum Abitur werden die Kinder und Jugendlichen bei uns unterrichtet.«

Dass dabei weit mehr als religiöses Wissen vermittelt wird, betont auch Anna Melamed. Die 18-Jährige sitzt gerade auf gepackten Koffern – zum einen, weil es jetzt nach dem Abitur erst einmal in den verdienten Urlaub nach London geht, zum anderen, weil sie ab dem Wintersemester in Göttingen studieren wird.

Im Gepäck hat sie jede Menge Erinnerungen: »Ich habe in den vergangenen zwölf Jahren gelernt, was meine Identität ist. Selbst stamme ich aus einer heute sehr gut integrierten Familie, die als Kontingentflüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Ohne das Gemeindeleben und den Unterricht wüsste ich nicht so viel über meine Kultur, meine Religion, über Sitten und Bräuche. Aber vor allem habe ich hier Freunde fürs Leben gefunden.«

Machanot Besonders die Machanot hätten das Zusammengehörigkeitsgefühl mit den Gleichaltrigen in der Gemeinde gestärkt. »Fast mein ganzer Freundeskreis ist jüdisch. Das ist etwas Schönes und Besonderes: Ohne die tollen Freizeitaktivitäten und Angebote in der Gemeinde hätte ich viele der Menschen, die mir jenseits meiner eigenen Familie nahestehen, wahrscheinlich gar nicht kennengelernt.«

Ob Besuche in Freizeitparks, zusammen ins Kino gehen oder einfach gemeinsam in die Eisdiele – Anna schwärmt von der ausgelassenen Stimmung. »Das mag auf Außenstehende ein bisschen so wirken, als seien wir alle chronisch hyperaktiv. Es wird gelacht, gesungen und auf den Tischen getanzt – gern auch mal einfach alle durcheinander. Aber genau so mögen wir es!« Hoch her ging es auch auf der gemeinsamen Fahrt zu den European Maccabi Games in Berlin, an denen viele Nürnberger Gemeindemitglieder teilnahmen.

Offen und fröhlich Die Gemeinde will sich gern noch mehr öffnen. Die Beziehungen zwischen Stadt und Gemeinde seien ausgesprochen gut, sagt Gemeindemitglied Diana Liberova. »In den kommenden Jahren wird es darum gehen, wie wir uns selbst als Gemeinde noch mehr öffnen können. Das ist eine Herausforderung, aber vor allem auch eine Chance für uns«, sagt sie.

Ein Baustein wird vielleicht der neue Gemeindeladen sein. Am 11. August eröffnete das Geschäft für koschere Lebensmittel in Nürnberg. Sich in der Stadt koscher zu ernähren, sei nicht gerade einfach, bedauert German Djanatliev. »Man muss bis nach München fahren, um bestimmte Produkte zu bekommen. Natürlich kann man auch vieles im Internet bestellen, aber gerade bei kleinen Mengen ist das dann oft sehr teuer.« Hier soll der Laden in der Johann-Priem-Straße Abhilfe schaffen. Um einen finanziellen Gewinn geht es dabei nicht. Die Gemeinde verdient am Laden nichts. »Wer in Nürnberg koscher leben möchte, kann das jetzt ohne großen Aufwand tun.«

RAbbiner Darüber dürfte sich auch der neue Rabbiner der Gemeinde freuen. Shlomo Freyshist war zuvor elf Jahre lang Rabbiner in Kassel. Nun hat die Israelitische Kultusgemeinde einen erfahrenen Schriftgelehrten als Rabbi. Freyshist wurde in Moskau geboren, seine Rabbinerausbildung absolvierte er jedoch in Israel, wo er auch seine Smicha erhielt. Er gilt als orthodox. Seit seinem Amtsantritt im Juni hat die IKG in der Johann-Priem-Straße – neben dem Rabbiner von Chabad Lubawitsch, Elieser Chitrik, – wieder einen eigenen Rabbiner.

Es erwarten die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Nürnberg also viele neue Eindrücke und Erfahrungen in und vor allem auch nach diesem heißen Sommer. German Djanatliev wird ein paar neue Erstklässler auf den Schulbänken begrüßen dürfen. Der neue Laden wird vielen Gemeindemitgliedern, aber auch anderen Kunden wohlbekannte und vielleicht auch neue Produkte bieten. Seine Türen stehen nämlich jedem offen.

Und Anna Melamed? Sie beginnt ihr Studium der Betriebswirtschaft in Tübingen, wo die Jüdische Gemeinde nur knapp 50 Mitglieder zählt. Eine Umstellung – aber eine, auf die das Gemeindeleben in Nürnberg Anna Melamed schon gut vorbereitet hat.

Berlin

Zentralrat der Juden begeht sein 75. Jubiläum

Die Dachorganisation der jüdischen Gemeinden lud zahlreiche Gäste aus Politik und Zivilgesellschaft nach Berlin. Der Bundeskanzler hielt die Festrede

von Imanuel Marcus  17.09.2025

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  17.09.2025

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Auszeichnung

Düsseldorfer Antisemitismusbeauftragter erhält Neuberger-Medaille

Seit vielen Jahren setze sich Wolfgang Rolshoven mit großer Entschlossenheit gegen Antisemitismus und für die Stärkung jüdischen Lebens in Düsseldorf ein, hieß es

 16.09.2025

Erinnerung

Eisenach verlegt weitere Stolpersteine

Der Initiator des Kunst- und Gedenkprojekts, Gunter Demnig aus Köln, die Stolpersteine selbst verlegen

 16.09.2025

Porträt der Woche

Passion für Pelze

Anita Schwarz ist Kürschnerin und verdrängte lange das Schicksal ihrer Mutter

von Alicia Rust  16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  17.09.2025 Aktualisiert

Sachsen-Anhalt

Erstes Konzert in Magdeburger Synagoge

Die Synagoge war im Dezember 2023 eröffnet worden

 15.09.2025

Thüringen

Jüdisches Bildungsprojekt »Tacheles mit Simson« geht erneut auf Tour

Ziel des Projektes sei es, dem Aufkommen von Antisemitismus durch Bildung vorzubeugen, sagte Projektleiter Johannes Gräser

 15.09.2025