Beit Din

Das Recht selbst in die Hand genommen

»Agunot-Abteilung« eines Beit Din in Israel Foto: Flash 90

Beit Din

Das Recht selbst in die Hand genommen

Privates Rabbinatsgericht entscheidet: Israelin darf nach 23 Jahren Trennung geschieden werden

von Ayala Goldmann  11.06.2018 21:22 Uhr

Nach 23 Jahren Kampf für ihre Scheidung hat die Israelin Tzviya Gorodetsky ein privates Rabbinatsgericht (Beit Din) in Israel angerufen, das der Jüdin aus der Ukraine Anfang Juni das Recht auf einen Scheidebrief (Get) zugebilligt hat. Das ultraorthodox dominierte israelische Oberrabbinat erkennt die Entscheidung des Privatgerichts nicht an – dennoch könnte Gorodetsky (54) erneut nach orthodoxem Ritus heiraten.

Allerdings sind auch orthodoxe Rabbiner im Ausland nicht verpflichtet, den Richterspruch des privaten Beit Din anzuerkennen – was bedeutet, dass nicht jeder Rabbiner eine erneute Eheschließung als halachisch gültig akzeptieren muss. Im Fall von Gorodetsky ist das weniger problematisch als in Fällen jüngerer »Agunot«, die sich trotz verweigertem Get neu binden möchten, deren Kinder aber als »Mamserim« (unehelich Geborene) gelten, wenn die Ehe der Mutter nicht als gültig anerkannt wird.

Aguna Die Geschichte von Tzviya Gorodetsky gilt als einer der extremsten Fälle einer »Aguna« in Israel – einer Frau, die getrennt lebt, aber nicht offiziell geschieden werden kann, weil der Mann den Scheidebrief verweigert. Das private Rabbinatsgericht wurde von Rabbiner Daniel Sperber, Professor für Talmudstudien an der Bar-Ilan-Universität und Träger des Israel-Preises, geleitet. Die beiden anderen orthodoxen Rabbiner wollen anonym bleiben.

Das Beit Din war von einer Organisation für Frauenrechte ins Leben gerufen worden. In seiner Entscheidung stellte das Gericht fest: »Tzviya Gorodetsky hat genug gelitten. Der Mann hat bewiesen, dass er seiner Frau keinen Scheidebrief ausstellen wird, solange er lebt.« Tzviyas Ehemann Meir hatte laut einem Bericht der »Times of Israel« bereits im Jahr 2000 erklärt, er werde lieber ins Gefängnis gehen, als seiner Frau den Get auszustellen. Alle Versuche, ihn seitens eines offiziellen israelischen Beit Din zu einer Scheidung zu bewegen, schlugen fehl

Im jüdischen Staat gibt es keine Zivilehe. Daher können jüdische Frauen, deren Männer die Scheidung verweigern, keine erneute Ehe nach jüdischem Ritus schließen – auch nicht außerhalb von Israel. Betroffen sind mehrere Hundert israelische Frauen.

Hungerstreik Laut israelischen Medienberichten hatte die praktizierende Jüdin Tzviya Gorodetsky, die aus der Ukraine nach Israel eingewandert war, sich um die Scheidung von Meir bemüht. Im vergangenen Jahr war sie vor der Knesset, dem israelischen Parlament in Jerusalem für mehrere Tage in einen Hungerstreik getreten.

Gorodetsky ist Mutter von vier Kindern. Sie hatte im Alter von 19 Jahren geheiratet und ihrem Mann massive Gewalt innerhalb der Ehe vorgeworfen. Als Reaktion auf die Entscheidung des Gerichts sagte sie der »Times of Israel«: »Es ist ein Trost für mich, dass es Rabbiner gibt, die anders denken und einverstanden waren, mich zu befreien. Ich habe meine Freiheit wieder.« Ein Sprecher des Oberrabbinats wollte nach Angaben der »Times of Israel« keine Stellungnahme zu dem Fall abgeben.

ORD Avichai Apel, Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main und Vorstandsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD), sagte der Jüdischen Allgemeinen auf Anfrage, er sei sicher, dass alle beteiligten Seiten das Wohl der betroffenen Frau und die g’ttliche Gerechtigkeit im Sinn hatten: »Sie alle haben sich bemüht, eine möglichst gute Lösung zu finden.

Dennoch sei es nicht zulässig, das Recht in die eigene Hand zu nehmen, betonte Rabbiner Apel: Rabbinische Entscheidungen müssten im Rahmen des bestehenden Systems und im Einklang mit dem israelischen Oberrabbinat gefällt werden. Es gebe immer Menschen, die aus verschiedenen Gründen oder wegen unterschiedlicher politischer Meinungen ein privates Rabbinatsgericht vorziehen würden. Jedoch könne der Schaden, der dadurch entstehe, weitaus größer sein als der Nutzen im Einzelfall, so Rabbiner Apel.

Kiddusch Lewana

Im Schein des Trabanten

Auf jeden neuen Mond sprechen Juden einen Segen. Was steckt dahinter?

von Rabbiner Dovid Gernetz  27.11.2025

Doppel-Interview

»Wir teilen einen gemeinsamen Wertekanon«

Vor 60 Jahren brachte das Konzilsdokument »Nostra aetate« eine positive Wende im christlich-jüdischen Dialog. Bischof Neymeyr und Rabbiner Soussan blicken auf erreichte Meilensteine, Symbolpolitik und Unüberwindbares

von Karin Wollschläger  25.11.2025

Konzil

»Eine besondere Beziehung«

»Nostra Aetate« sollte vor 60 Jahren die Fenster der katholischen Kirche weit öffnen – doch manche blieben im christlich-jüdischen Dialog verschlossen. Ein Rabbiner zieht Bilanz

von David Fox Sandmel  21.11.2025

Toldot

An Prüfungen wachsen

Warum unsere biblischen Ureltern Hungersnöte und andere Herausforderungen erleben mussten

von Vyacheslav Dobrovych  20.11.2025

Kalender

Der unbekannte Feiertag

Oft heißt es, im Monat Cheschwan gebe es keine religiösen Feste – das gilt aber nicht für die äthiopischen Juden. Sie feiern Sigd

von Mascha Malburg  20.11.2025

Talmudisches

Gift

Was unsere Weisen über die verborgenen Gefahren und Heilkräfte in unseren Speisen lehren

von Rabbinerin Yael Deusel  20.11.2025

Jan Feldmann

Eine Revolution namens Schabbat

Wir alle brauchen einen Schabbat. Selbst dann, wenn wir nicht religiös sind

von Jan Feldmann  19.11.2025

Religion

Rabbiner: Macht keinen Unterschied, ob Ministerin Prien jüdisch ist

Karin Priens jüdische Wurzeln sind für Rabbiner Julian-Chaim Soussan nicht entscheidend. Warum er sich wünscht, dass Religionszugehörigkeit in der Politik bedeutungslos werden sollte

von Karin Wollschläger  19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025