Sachsen-Anhalt

Umbenennung der »Anne Frank«-Kita: Jüdischer Landeschef - »Unguter Beigeschmack«

Max Privorozki, Vorsitzender des Landesverbandes Jüdischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Schon länger gehegte Pläne für eine Namensänderung der Kita »Anne Frank« in Tangerhütte (Sachsen-Anhalt) haben vor dem Hintergrund des Gaza-Krieges für Kritik gesorgt. Der Bürgermeister der Stadt in Sachsen-Anhalt, Andreas Brohm (parteilos), stellte am Montag klar, dass noch nichts entschieden sei. Die Diskussionen liefen noch, »ohne dass aktuell eine Entscheidung darüber anstünde«, erklärte Brohm schriftlich. Die »Magdeburger Volksstimme« hatte zuerst darüber berichtet.

Der Vorsitzende des Landesverbandes Jüdischer Gemeinden, Max Privorozki, kritisierte den Plan der Umbenennung gegenüber der Jüdischen Allgemeinen: »Bei allem Verständnis zur Konzeptänderungen der Einrichtung und zur Tatsache, dass die Geschichte des jüdischen Mädchens Anne Frank für kleine Kinder schwer fassbar ist, erzeugt diese Namensänderung gerade jetzt einen unguten Beigeschmack«, erklärte er.

»Der Hinweis auf die Eltern mit Migrationshintergrund, die mit dem Namen von Anne Frank oft nichts anfangen könnten, ist das beste Argument gegen eine Namensänderung«, betonte Privorozki. »Dieses Argument bedeutet, dass die Integration dieser Eltern in die deutsche Gesellschaft misslingt. In dieser Hinsicht wäre es möglicherweise sinnvoller, anstatt den Kita-Namen zu ändern, die Eltern zu einer Lesung des Tagesbuches Anne Frank einzuladen.«

Historische Verantwortung

Bürgermeister Brohm erklärte, Hintergrund der geplanten Umbenennung sei ein Erneuerungsprozess hin zur offenen Arbeit, den die Kita in den zurückliegenden 14 Monaten durchlaufen habe. »Weit vor den aktuellen Diskussionen und Ereignissen ist bereits Anfang 2023 auch die Diskussion aufgekommen, diese grundlegende Konzeptionsänderung durch einen anderen Namen der Einrichtung auch nach außen hin sichtbar zu machen, um diesen fundamentalen Neuanfang sichtbar zu markieren.«

In einem offenen Brief kritisierte der Geschäftsführende Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, die geplante Umbenennung. Er mahnte die Kita an, die Entscheidung noch einmal zu überdenken.

Derweil machte Brohm in seiner Erklärung deutlich: »Tangerhütte mit seinen Bildungseinrichtungen und all seinem bürgerschaftlichen Engagement steht für ein weltoffenes Deutschland, das sich gleichzeitig seiner historischen Verantwortung genauso bewusst ist wie seinem Bildungsauftrag.«

Unsichtbarmachung von jüdischem Leben

Auch Deborah Schnabel, die Direktorin der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, kommentierte die Umbenennungspläne: »Gerade angesichts der Zahlen zum wachsenden Antisemitismus in allen Teilen der Gesellschaft wäre die Umbenennung der Kita ein fatales Signal«, sagte sie dieser Zeitung. »Sie trüge zu einer Unsichtbarmachung von jüdischem Leben und jüdischen Opfergeschichten bei, den Grundlagen unserer Erinnerungskultur.«

»Aus unserer pädagogischen Arbeit wissen wir, dass die Auseinandersetzung mit Anne Frank keineswegs überfordernd sein muss, sondern vielmehr einen Türöffner darstellt zur Auseinandersetzung mit Menschenrechten, Demokratie und Diskriminierung im Ganzen«, erklärte Deborah Schnabel. »Der Fall zeigt aber, dass es dringend mehr Bildungsangebote braucht, die auch Antisemitismus schon im Kitaalter altersgemäß adressieren und entsprechende Fortbildungen für die pädagogischen Fachkräfte.«

Dies gelte umso mehr in Zeiten und Gegenden, in denen die AfD extrem hohe Zustimmungswerte habe. »Hier ausgerechnet migrantisierte Kinder als Grund für die Umbenennung anzuführen, ist genau das falsche Argument. Als Frankfurter Einrichtung ist die Mehrheit unserer jungen Besucherinnen und Besucher migrantisch geprägt. Hie merken wir, wie Anne Franks Erzählung mit eigenen Fluchtgeschichten verbunden wird – und dazu beiträgt, Empathie für Diskriminierung, Antisemitismus und Verfolgung weltweit zu entwickeln«, so die Direktorin der Bildungsstätte Anne Frank.

Wolfgang Schneiß,der Ansprechpartner für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus in Sachsen-Anhalt, erklärte: »Ich hoffe, dass die geplante Umbenennung in den zuständigen städtischen Gremien keine Mehrheit findet. Für die Umbenennung und insbesondere für die Begründung habe ich kein Verständnis. Das ist auch die Auffassung unseres Ministerpräsidenten.«

»Eine solche Umbenennung passt nach meiner Ansicht nicht in die Zeit«, so Schneiß weiter. »Es gibt viele gute Möglichkeiten, um das Thema Anne Frank auch in einer Kita auf zeitgemäße Weise zu vermitteln, gerade in der Migrationsgesellschaft. Falls gewünscht, kann ich gerne dabei unterstützen.«

Hochburg des Rechtsradikalismus

Der »Magdeburger Volksstimme« zufolge trägt die Kita den Namen »Anne Frank« seit Anfang der 1970er-Jahre. Der neue Name solle »Weltentdecker« lauten.

Anne Frank wurde 1929 als Kind jüdischer Eltern in Frankfurt am Main geboren. Ihre Familie flüchtete 1933 vor den Nationalsozialisten in die Niederlande. Dort versteckte sie sich von 1942 bis 1944 in einem Hinterhaus. In dieser Zeit schrieb Anne Frank ein Tagebuch, das zu den meistgelesenen Werken der Weltliteratur gehört. 1945 starb Anne Frank im Alter von 15 Jahren im Konzentrationslager Bergen-Belsen.

Sachsen-Anhalt ist eine der Hochburgen des Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik. Laut aktuellen Umfragen würden ein Drittel aller Wähler ihr Kreuz bei der rechtsextremen AfD machen, wenn heute Landtagswahlen stattfinden würden. im (mit dpa)

Berlin

Nietzard entschuldigt sich für Israel-Video

Erst vor wenigen Tagen sorgte die Grüne-Jugend-Chefin für Empörung. Der Beitrag wurde überarbeitet

 07.06.2025

Glosse

Gretas Törn

Wird es den zwölf Aktivisten, unter ihnen die Klima- und Palästina-Ikone Greta Thunberg, gelingen, Israels Seeblockade zu durchbrechen? Die Welt wartet gespannt

von Michael Thaidigsmann  06.06.2025

Bundestag

SPD-Rufe nach Prüfung von Waffenlieferungen an Israel lauter

Unterschiedliche Positionen zwischen Sozialdemokraten und Union werden immer deutlicher

 06.06.2025

Colorado

Angreifer von Boulder wollte »alle zionistischen Menschen töten«

Mohamed Sabry Soliman wird in 118 Punkten angeklagt

 06.06.2025

Rheinland-Pfalz

»Aus Beutebeständen« - NS-Raubgut in rheinland-pfälzischen Museen

Viele kleine Museen in Rheinland-Pfalz haben bisher nicht danach geforscht, ob NS-Raubgut in ihrem Besitz ist. In den Sammlungen von vier dieser mehr als 400 Museen sah eine Kunsthistorikerin nun genauer nach

von Norbert Demuth  06.06.2025

Washington D.C.

US-Regierung sanktioniert Richterinnen des Strafgerichtshofs

Amerika geht gegen den IStGH vor. Hintergrund ist auch der wegen angeblicher Kriegsverbrechen Israels ausgestellte Haftbefehl gegen Ministerpräsident Netanjahu

 06.06.2025

Berlin

Grüne-Jugend-Chefin nennt Hamas-Massaker »militärische Operation«

Jette Nietzard verharmlost den Terror der Hamas und verbreitet Verschwörungstheorien über Israel. Die JSUD verlangt ihren Rücktritt

von Imanuel Marcus  06.06.2025 Aktualisiert

Washington D.C.

Bundeskanzler Merz kritisiert Antisemitismus unter Migranten

Bei seinem Antrittsbesuch in Washington wird der Kanzler auf verschiedenste Themen angesprochen. Auch der Judenhass in der Bundesrepublik ist darunter

 06.06.2025

Interview

»Es findet ein Genozid statt« – »Israel muss sich wehren«

Henryk M. Broder und Hamed Abdel-Samad über ihre langjährige Freundschaft, was sie verbindet – und was sie nach dem 7. Oktober 2023 trennt

von Philipp Peyman Engel  06.06.2025 Aktualisiert