Nachruf

Vielleicht der größte Journalist des Landes

Hermann L. Gremliza (1940–2019) Foto: dpa

Nachruf

Vielleicht der größte Journalist des Landes

Zum Tod von Hermann L. Gremliza, Sprachkritiker, Leitartikler und Herausgeber der Zeitschrift »Konkret«

von Martin Krauss  23.12.2019 15:45 Uhr

Zu den wenigen Dingen, die bei Hermann Gremliza unumstritten waren, gehört, dass er ein großer Journalist war, vielleicht, wahrscheinlich sogar, der größte Stilist, den die Bundesrepublik hervorgebracht hatte.

Seit 1974 war Gremliza Herausgeber der Monatszeitschrift »Konkret«, und seither, also 45 Jahre lang, waren es in »Konkret« seine zwei Kolumnen, die nicht nur das Blatt prägten: »Gremlizas Express« und der monatliche Leitartikel. »Express« war eine kritische Betrachtung hiesiger Printprodukte, eine Sprachkritik, die sehr an Gremlizas großes Vorbild Karl Kraus erinnerte. Und seine Leitartikel vermochten beinahe jeden Monat, was kaum noch sonst ein gedruckter Text vermochte: Leute aufzuregen, zum Nachdenken und Diskutieren anzuregen und so manchen Gegner zu erregen.

ANTIZIONISMUS Vor Gremliza war »Konkret« ein Blatt, das für jede noch so irre antizionistische Wendung und Wirrung westdeutscher Linker zu haben war. Mit Gremliza war es das nicht mehr. Denn zu den wenigen Dingen, die bei ihm auch nicht umstritten waren, gehört, dass er kämpferisch wachsam war, wenn irgendwo Antisemitismus auftauchte.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Dass er mit Attacken gegen Deutschtümelei, »Israelkritik« und völkisches Denken die Abokartei seiner »Konkret« mehr als halbierte, war vielleicht unternehmerisch falsch. Politisch richtig fand er das immer, und nicht selten berichtete er stolz davon, dass dieser oder jener Leitartikel damals 2000 Kündigungen zur Folge hatte. Berühmt etwa, dass er in Zeiten der westdeutschen Friedensbewegung anfang der 80er-Jahre Texte gegen alle Bestrebungen druckte, die deutsche Sonderwege gegen die Alliierten oder die »Supermächte« favorisierten. Gremliza witterte da die Gefahr einer Wiederkehr des Nationalsozialismus – und vorbei war es mit jeder Bereitschaft zur Bündnispolitik.

 

Rudolf Augstein soll ihm angedeutet
haben, irgendwann »Spiegel«-Chefredakteur zu werden. Er wollte nicht.

Aufgewachsen ist Gremliza in Stuttgart, die Familie war großbürgerlich, der Vater war in hoher Position bei Daimler-Benz, doch – diese Information war Gremliza immer wichtig – ein Nazi war der Vater nie. Gremliza studierte in Tübingen und Berlin. In Tübingen gab er eine Studentenzeitschrift heraus, die ihm bald Ärger mit der Uni bescherte. In Berlin begann er eine Doktorarbeit, die er nicht beendete. Stattdessen ging er bald zum »Spiegel«, und, wie er in späteren Jahren selbst zugab, mit zu großer Arroganz und Zielstrebigkeit wurde er bald leitender Redakteur. »Spiegel«-Herausgeber Rudolf Augstein habe ihm auch angedeutet, irgendwann Chefredakteur zu werden, erzählte er. Er wollte nicht. Große Zweifel daran braucht man an beiden Informationen nicht zu haben.

AUGSTEIN Stattdessen verkrachte sich Gremliza mit Augstein, gehörte zu den Redakteuren, die 1971 den großen »Spiegel«-Streik initiierten und durchführten. Es ging um Mitbestimmung und Mitarbeiterbeteiligung. Von der Abfindung, die ihm Augstein zahlen musste, kaufte er »Konkret« und schuf sich selbst einen Platz in der deutschen Zeitungsgeschichte. Einmal bemerkte er, dass, wenn man an die Presse der Weimarer Republik denke, meist die »Weltbühne« von Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky erwähnt würden, von der zu Hochzeiten etwa 17.000 Exemplare verkauft wurden, nicht aber die wesentlich auflagenstärkeren Blätter. Das brachte ihn zu der These, »Konkret« sei womöglich einflussreicher als der »Spiegel«, denn es sei das bessere und klarere Blatt.

Ähnliche Gründe dürften ihn auch dazu gebracht  haben, 1987 einen der großen Presseskandale Deutschlands zu initiieren: mit seinem Bekenntnis nämlich, dass der mit Preisen geehrte Schriftsteller Günter Wallraff nie eine veröffentlichte Zeile selbst geschrieben habe – Gremliza und einige andere waren Wallraffs Ghostwriter. Dabei hatte er immer wieder ein paar Versuche gemacht, höhere Auflagen zu erreichen. Einmal wollte er von der damaligen Besitzerin SPD die »Hamburger Morgenpost« kaufen. 1994 wurde er als Berater für die Tageszeitung »Junge Welt«, zu DDR-Zeiten das auflagenstärkste Blatt, verpflichtet.

Lange Jahre war Gremliza Mitglied der SPD – gewählt hat er sie nie, hat er zumindest gesagt. Ausgetreten war er, als die SPD-Fraktion am 9. November 1989 mit anderen zusammen im Bundestag aufstand, um das Deutschlandlied zu singen, weil in Berlin die Mauer geöffnet wurde. Gewiss, es habe schon früher Gründe gegeben, dort auszutreten, sagte er, aber dieser sei wichtig genug gewesen. Zumindest für ihn.

KOMMUNIST Parteipolitisch organisiert hat sich Gremliza danach nicht mehr, die Unabhängigkeit, ökonomisch wie geistig, war ihm sehr, sehr wichtig. Einen Beweis seiner geistigen Unabhängigkeit, seiner Bildung und seiner beeindruckenden Stilistik hatte er 2016 noch vorgelegt: ein Suhrkamp-Buch namens Haupt- und Nebensätze. Den Beweis seiner ökonomischen Unabhängigkeit schob er erst vor wenigen Monaten nach: Weil Suhrkamp weiterhin Bücher des nach rechts gekippten Schriftstellers Uwe Tellkamp verlegte, entzog er dem Verlag die Rechte. Mit dem langjährigen Präsidenten des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, hatte er freundschaftlichen Kontakt: Dass der eine FDP-Mitglied war und Gremliza sich als Kommunist verstand, störte nicht. Was sie einte, der Hass auf alles Antisemitische, war wichtiger.

Am 20. Dezember – kurz vor Chanukka und kurz vor Weihnachten, wie man möchte – ist Hermann L. Gremliza nach langer, schwerer Krankheit im Alter von 79 Jahren verstorben.

Glastonbury-Skandal

Keine Anklage gegen Bob-Vylan-Musiker

Es lägen »unzureichende« Beweise für eine »realistische Aussicht auf eine Verurteilung« vor, so die Polizei

 24.12.2025

Israel

Pe’er Tasi führt die Song-Jahrescharts an

Zum Jahresende wurde die Liste der meistgespielten Songs 2025 veröffentlicht. Eyal Golan ist wieder der meistgespielte Interpret

 23.12.2025

Israelischer Punk

»Edith Piaf hat allen den Stinkefinger gezeigt«

Yifat Balassiano und Talia Ishai von der israelischen Band »HaZeevot« über Musik und Feminismus

von Katrin Richter  23.12.2025

Los Angeles

Barry Manilow teilt Lungenkrebs-Diagnose

Nach wochenlanger Bronchitis finden Ärzte einen »krebsartigen Fleck« in seiner Lunge, erzählt der jüdische Sänger, Pianist, Komponist und Produzent

 23.12.2025

Hollywood

Ist Timothée Chalamet der neue Leonardo DiCaprio?

Er gilt aktuell als einer der gefragtesten Schauspieler. Seine Karriere weckt Erinnerungen an den Durchbruch des berühmten Hollywood-Stars - der ihm einen wegweisenden Rat mitgab

von Sabrina Szameitat  22.12.2025

Didaktik

Etwas weniger einseitig

Das Israel-Bild in deutschen Schulbüchern hat sich seit 2015 leicht verbessert. Doch der 7. Oktober bringt neue Herausforderungen

von Geneviève Hesse  22.12.2025

Meinung

Der Missbrauch von Anne Frank und die Liebe zu toten Juden

In einem Potsdamer Museum stellt der Maler Costantino Ciervo das jüdische Mädchen mit einer Kufiya dar. So wird aus einem Schoa-Opfer eine universelle Mahnfigur, die vor allem eines leisten soll: die moralische Anklage Israels

von Daniel Neumann  21.12.2025

Film

Spannend, sinnlich, anspruchsvoll: »Der Medicus 2«

Nach zwölf Jahren kommt nun die Fortsetzung des Weltbestsellers ins Kino

von Peter Claus  21.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  21.12.2025