Raubkunst

Bilanz einer faktischen Enteignung

Ein apfelsinengroßer Anhänger aus Limoges in Frankreich, mehr als 500 Jahre alt, der die Auferstehung Jesu auf der einen und die Enthauptung von Johannes dem Täufer auf der anderen Seite zeigt, gehört dazu. Ebenso ein Konsoltisch aus Deutschland. Darüber hinaus wurden fünf chinesische Jaden aus der Qing-Zeit bei der Restitution 1949 »offenbar bewusst oder unbewusst übersehen«, so Stephan von der Schulenburg, Asiatika-Kurator am Museum Angewandte Kunst in Frankfurt.

Alle diese Gegenstände müssten nun wohl in einem zweiten Anlauf restituiert werden – neben zahlreichen weiteren. Seit 2016 erforscht Katharina Weiler die Provenienz der Werke im Museumsbestand, die jetzt in der ersten Überblicksschau Die Sammlung von Maximilian von Goldschmidt-Rothschild, flankiert von internationalen Leihgaben in fünf Museumssälen, funkeln und entzücken.

130 Exponate umfasst die glanzvolle Parade, in der sich nationalsozialistische Abgründe spiegeln. Weilers Erkenntnisse bilden die Grundlage der Schau, die überfällig war und mit gutem Grund im Museum Angewandte Kunst erarbeitet wurde. Das profitierte unter Walter Mannowsky, NSDAP-Mitglied seit 1933, ganz besonders von der faktischen Enteignung Goldschmidt-Rothschilds und kann mit dieser Bilanzausstellung seine eigene Geschichte gleich mit reflektieren – was in der Sonderschau durchaus deutlicher hätte werden dürfen.

KEIMZELLE Von Goldschmidt-Rothschild (1843–1940) besitzt Anfang des 20. Jahrhunderts nicht nur eine der bedeutendsten Privatsammlungen in Deutschland. Er investiert auch Zeit und Geld in Vermittlung, Teilhabe und Bildung, fördert die 1914 gegründete Goethe-Universität und den Mitteldeutschen Kunstgewerbeverein, der wiederum das Kunstgewerbemuseum einrichtet: Keimzelle des Museums Angewandte Kunst, durch den Mäzen mit Schenkungen bereichert. Von 1940 bis zur Zerstörung 1944 dient das Rothschild-Palais als Museumsdependance »Museum für Kunsthandwerk, Abteilung II«. Das war (natürlich) nicht in seinem Sinn.

1935 tritt er aus dem Kunstgewerbeverein aus. Die Ausstellung zeigt das Kündigungsschreiben. 1938 wird er gezwungen, sein Palais der Stadt Frankfurt zu verkaufen, darf bis zu seinem Tod gegen eine hohe Miete in vergleichsweise mickrigen Räumen wohnen bleiben. Bloß zwei Büroräume, ein Garderobenraum und die Wohnung eines Angestellten stehen ihm nun im Schatten der schlossartigen Gemächer zur Verfügung. In seinem früheren Leben konnte er seine Schritte in Tanzsaal, Billardzimmer, Osterküche, »Fräulein-Wohnzimmer« oder »Herrn-Salon«, Bibliothek und Spielsaal lenken.


1938 fielen Schätze aus dem Zwangsverkauf wie Goldregen über drei Frankfurter Museen.

Seine Kunstgegenstände, von vielem etwas, werden aufgrund der »Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden« vom 26. April 1938 taxiert. Auf einem Podest in der Ausstellung sind, anschaulich wild durcheinandergewirbelt, Aufstellungen mit Schätzwerten und Inventar-Karten. Von der Kinderklapper bis zum Seepferdchen aus Bergkristall (Italien, 16. Jahrhundert) wurde alles erfasst.

Sperrkonto Auf rund zweieinhalb Millionen Reichsmark wird die Sammlung – zu niedrig – geschätzt. Verkaufen will sie von Goldschmidt-Rothschild keineswegs. Am 10. November 1938 nötigt ihn dazu telefonisch sein langjähriger Rechtsberater, Alexander Berg, im Auftrag von Oberbürgermeister Friedrich Krebs, beide NSDAP. Als Kaufpreis wird die Schätzsumme vereinbart, doch nur ein Teil fließt tatsächlich: auf ein Sperrkonto, auf das der Freiherr keinen Zugriff hat. Kurz darauf fallen die Schätze aus diesem Zwangsverkauf wie Goldregen über drei Frankfurter Museen.

1350 Objekte erhält das Museum für Kunsthandwerk, wie es seit 1937 heißt, 71 Gemälde das Städel (Berg ist Mitglied der Administration), 85 Kleinplastiken das Liebieghaus. Nach einem Vergleich 1949 wird der »Großteil« restituiert. Wieso nicht alles? Zahlreiche Stücke, während des Kriegs etwa in hessische und bayerische Schlösser verbracht, wurden anschließend »vermisst«, so Museumschef Matthias Wagner K auf Anfrage. Katharina Weiler hat 68 Objekte eindeutig identifiziert, in drei Fällen ist die Provenienz aus der Sammlung wahrscheinlich. Doch nur bei 18 Stücken ist der rechtmäßige Erwerb belegt. 53 sind Gegenstand des »Dialogs über eine faire und gerechte Lösung«.

Die Kollektion ist eine Fundgrube des Disparaten, von romanischen Bronzeleuchtern bis zur Gotischen Silberstatuette der Heiligen Ursula, von Tabatieren bis zum Apoll vom Belvedere als Kleinbronze. Von Goldschmidt-Rothschild liebte Louis XV.-Mobiliar und Trinkgefäße in Tierform, darunter ein steigendes Pferd von 1594 oder ein silberner Bär, entstanden wenig später. Insbesondere die Eule hatte es dem Vater von fünf Kindern angetan – als Symbol der Weisheit? Judaika sammelte er nicht.

Ausgestellt ist weniger als ein Zehntel der Kollektion von mehr als 1500 Kunstgegenständen. Der Ausstellungstitel wurde auf Intervention der Erben in letzter Minute sprachlich verbessert. Keiner aber – Eric de Goldsmith-Rothschild ist ein Leihgeber – war bei der Pressekonferenz zugegen. Bitter: ebenso wenig ein Vertreter der Stadt Frankfurt.

Die Ausstellung ist bis zum 4. Juni im Museum Angewandte Kunst zu sehen. Der Katalog soll Ende April erscheinen.

Andrea Kiewel

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