Südafrika

Wenn der Hechscher zu teuer wird

Koscherer Supermarkt in Johannesburg Foto: Markus Schönherr

Eigene Rabbiner, eigene Schulen und Synagogen – Südafrikas jüdische Gemeinschaft ist autark, anders als die meisten anderen Gemeinden in Afrika. Doch bei der Koscherzertifizierung setzen die Händler zunehmend auf den Hechscher aus Übersee. Das hat praktische Gründe.

Seit einigen Wochen streiten sich Lebensmittelproduzenten und die südafrikanische Union of Orthodox Synagogues (UOS). Traditionell ist das Kaschrut-Büro der UOS mit Niederlassungen in Kapstadt und Johannesburg für die Zertifizierung koscherer Lebensmittel zuständig. Doch kürzlich wurden Vorwürfe von »Preistreiberei« und »purer Gier« laut.

Gebühren Angestoßen hatte den Disput der Süßwarenhersteller George Georghiou aus der Hauptstadt Pretoria. Seine Eiscreme- und Schokoladenfabrik sollte der UOS für ihren Koscher-Stempel plötzlich sechsmal so viel zahlen wie im Jahr zuvor, erzählt er der Jüdischen Allgemeinen. Weil er sich weigerte zu zahlen, habe ihm das Johannesburger Beit Din das Koscher-Zertifikat entzogen.

Die UOS erklärte: »Hier geht es keineswegs um einen Anstieg der Beit-Din-Gebühren«, sagt Rabbiner Dovi Goldstein, sondern der Süßwarenhersteller habe »über Jahre« koschere Praktiken missachtet, weshalb man sich gezwungen sah zu handeln.

Doch schon kurz darauf folgte eine Welle an Beschwerden jüdischer Unternehmer, die sich von den »exorbitanten Preisen« ähnlich überrumpelt fühlten. Die gestiegenen Koscher-Gebühren müssten sie dann an ihre Kunden weitergeben. »Es ist nicht fair, dass koscheres Essen zu einem Luxus wird, den sich nur Reiche leisten können«, sagt eine Händlerin aus Johannesburg dem Radiosender ChaiFM.

kosten Die Café-Inhaberin Elana Godley klagt, das Anbieten koscherer Speisen koste sie jeden Monat umgerechnet mehr als 1000 Euro. Ein weiterer Unternehmer berichtet, dieses Jahr für eine Koscher-Zertifizierung zum Pessachfest umgerechnet 2500 Euro bezahlt zu haben. Was auch schmerze: Eine Halal-Zertifizierung koste nur einen Bruchteil.

Seit dem Ende der Apartheid 1994 zählt Südafrika in Sachen Religionsfreiheit zu einem der fortschrittlichsten Länder.

Seit dem Ende der Apartheid 1994 zählt Südafrika in Sachen Religionsfreiheit zu einem der fortschrittlichsten Länder. Einige Konzerne am Kap verzichten auf Zutaten, an denen die jüdische oder muslimische Minderheit Anstoß nimmt. So entfernte eine Fast-Food-Kette Schweinespeck aus ihren Burgern.

Laut einer Umfrage der Universität Kapstadt ist jeder dritte jüdische Haushalt im Land koscher. »Doch die Kosten, die damit einhergehen, steigen immer mehr«, sagt der Kapstädter David Jacobson. Viele Unternehmen reagieren darauf, indem sie sich den Hechscher aus Übersee holen statt von der eigenen Kaschrut-Behörde.

Etliche jüdische Händler bekommen ihr Zertifikat inzwischen aus London. Und ein Milchverarbeiter berichtet dem »Jewish Report«, er arbeite nun mit »Montreal Kosher« in Kanada zusammen. Den jüdischen Verantwortlichen in Südafrika wirft er »fehlendes Engagement« vor.

Beit Din Beobachter sehen Südafrikas Beit Din in der Krise. Zwar hält die UOS fest: »Wir schicken niemanden weg, wenn er sich die volle Gebühr nicht leisten kann«, und man sei als Non-Profit-Organisation ohnehin nicht an Gewinn interessiert.

Doch scheint die Krise wachzurütteln. So leiteten die Verantwortlichen eine Untersuchung ein und versprachen, in Hinblick auf ihre Preispolitik künftig Rat von Experten einzuholen. Zudem gibt es ab Dezember eine neue Kategorie für Kleinstunternehmen: Für sie gebe es einen Hechscher dann schon ab 28 Euro, abhängig von der Größe des Geschäfts und der Anzahl koscherer Produkte.

Im Streit zwischen der UOS und dem Eiscremeproduzenten Georghiou kommen diese Schritte zu spät. Der Unternehmer hat die Kaschrutbehörde wegen unlauterer Geschäftspraxis bei Südafrikas Wettbewerbsaufsicht angezeigt − und die UOS drohte, ihn wegen Rufschädigung zu verklagen.

Kommentar

Der »Tages-Anzeiger« und das Geraune von der Lobby

Die Zeitung unterstellt, erst eine Intervention des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes habe zur Absage einer Veranstaltung mit Francesca Albanese durch die Uni Bern geführt. Dabei war die Intervention richtig

von Michael Thaidigsmann  15.09.2025

Argentinien

Raubkunst in der Immobilienanzeige

Die Tochter eines Naziverbrechers wollte ihre Villa verkaufen und führte Ermittler auf die Spur einer gestohlenen Kunstsammlung

von Andreas Knobloch  13.09.2025

München/Gent

Charlotte Knobloch spricht von »historischem Echo«

Nach der Ausladung des israelischen Dirigenten Lahav Shani von einem Musikfestival meldet sich Charlotte Knobloch mit deutlichen Worten

 11.09.2025

Italien

Jüdisches Touristen-Paar in Venedig attackiert

Die Täter schrien »Free Palestine«, bevor sie die Ehefrau mit einer Flasche attackierten und ihren Ehemann ohrfeigten

 11.09.2025

Georgien

Sicher und schön

Der Kaukasus-Staat pflegt Erbe und Zukunft der Juden. Und bietet atemberaubende Natur. Ein Besuch

von Michael Khachidze  11.09.2025

Belgien

Argerich, Maisky, Schiff empört über Gent-Festival

Bekannte jüdische und nichtjüdische Musiker haben eine Petition gestartet, um gegen die Ausladung der Münchner Philharmoniker und ihres Dirigenten Lahav Shani zu protestieren

 11.09.2025

Imanuels Interpreten (13)

Herb Alpert: Der Universalkünstler

Vom Trompeter zum Philantropen: Der Sohn jüdischer Einwanderer aus Kalifornien erreichte in den 90 Jahren seines bisherigen Lebens viel

von Imanuel Marcus  10.09.2025

Bundesamt für Statistik

Dieser hebräische Vorname ist am beliebtesten bei Schweizer Eltern

Auch in der Schweiz wählen Eltern weiterhin häufig biblische Namen für ihr Neugeborenes

von Nicole Dreyfus  10.09.2025 Aktualisiert

Südafrika

Unvergessliche Stimme

Die Schoa-Überlebende Ruth Weiss hat sich als Journalistin, Schriftstellerin und Kämpferin für Menschenrechte einen Namen gemacht. Sie wurde 101 Jahre alt. Ein Nachruf

von Katrin Richter  10.09.2025