Staatsweingut

Wo die Rabbis den Most holen

Etwa 3000 bis 4000 Flaschen Riesling und rund 4000 Flaschen Lemberger entsprechen gerade einmal 2,5 Prozent des jährlichen Ausstoßes. Doch es ist ein besonderer Saft, der derzeit in den Kellern des Staatsweinguts Weinsberg reift: der erste koschere Wein aus Baden-Württemberg.

Die Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg (LVWO), an der im Jahr 1929 die Rebsorte Kerner, 1955 der Dornfelder geboren wurde, hat die Herausforderung angenommen. Für sie betreut Simon Bachmann, in der Kellerwirtschaft zuständig für alles »von der Traube bis zur Flasche«, das komplexe Projekt.

TANKS Önologe Bachmann führt über steile Stahlwendeltreppen hinab in den zweiten, tief unter dem großen Gelände in der Weinsberger Innenstadt gelegenen Reifekeller. Edelstahltank reiht sich an Edelstahltank – alle zusammen können 400.000 Liter Wein fassen –, es riecht ein wenig nach Hefe und gärenden Mosten. Bei zwei Tanks sind alle Öffnungen bis hin zum großen Mannloch mit gelbem Klebeband verschlossen.

An einem der Behälter prangt ein handgeschriebenes Schild: »Jahrgang/Rebsorte: Koscher 2022 Riesling, Lage/Qualität: Weinsberg Schemelsberg, Lesedatum: 19.09.22, Wein Nr. 22-01-01-21.« Schräg gegenüber reift im ebenfalls zugeklebten Edelstahltank ein Teil des Lembergers, ein anderer Teil soll in neuen 225-Liter-Barriquefässern seinen speziellen Geschmack entwickeln.

»Die Lernkurve war auf beiden Seiten ziemlich hoch«, fasst der Mittdreißiger den herausfordernden Verlauf des Pilotprojekts mit den Israelitischen Religionsgemeinschaften in Württemberg und Baden zusammen. In Gesprächen mit Landesrabbiner Moshe Flomenmann (Baden) und Rabbiner Yehuda Pushkin (Württemberg) über entsprechende Fachliteratur hat sich der Önologe in das komplexe Thema eingearbeitet.

»So offen wie möglich und so streng wie nötig« sollte nach rabbinischer Vorstellung die Produktion ablaufen. Im September haben Juden und Nichtjuden beiderlei Geschlechts in den Steillagen mit dem Namen »Himmelreich« bei Gundelsheim und am Schemelsberg bei Weinsberg die Lemberger- und Rieslingtrauben von Hand gelesen. »Wir konnten mit vielen Vorurteilen aufräumen«, berichtet Bachmann, »etwa damit, dass Frauen nicht an der Produktion beteiligt sein dürfen.«

Die Kaschrut stellt hohe Anforderungen an alle Beteiligten.

Im Keller freilich sind die Regeln streng: »Pressen, Zuber, Schläuche, Dichtungen, Tanks, Hefen, Behandlungsstoffe bis hin zu den Flaschen muss alles koscher sein«, berichtet Bachmann. Maschgiach David Asher Poretski, der Koscher-Beauftragte, wirkt als verlängerter Arm von Kellermeister Florian Solymari.

Er reist regelmäßig aus Stuttgart an, erledigt jeden Arbeitsschritt selbst, dokumentiert und versiegelt. Die Kaschrut stellt hohe Anforderungen an alle Beteiligten. »Da gibt es Hunderte Regeln zu beachten, aber vieles ist auch Auslegungssache«, hat Bachmann gelernt. Besonders am Anfang, wenn während der Gärung täglich Proben genommen werden, sei alles sehr aufwendig.

Design Im Frühjahr nächsten Jahres soll der Riesling, im Herbst der Lemberger auf den Markt kommen. Der Aufwand wird sich Bachmann zufolge auch im Preis niederschlagen. Rund zehn Euro soll eine 0,75-Liter-Flasche kosten. Die Etiketten sind bereits fertig. Sie stammen von der Agentur Wineworlds in Ellerstadt in der Pfalz und orientieren sich am Corporate Design des Staatsweinguts Weinsberg mit entsprechendem Schriftzug und Landes-Löwen. Der Markenname lautet »Le Chaim« – »Auf das Leben«.

Initiiert haben das Pilotprojekt der baden-württembergische CDU-Fraktionsvorsitzende Manuel Hagel und sein Landtagskollege Christian Gehring. Beide machen sich schon lange gegen Antisemitismus und für die Pflege der jüdischen Kultur in Deutschland stark. Landwirtschaftsminister Peter Hauk unterstützt das Pilotprojekt mit 20.000 Euro.

Rabbiner Pushkin sagt: »Gerade der Wein besitzt in unseren beiden Religionen eine hohe sakrale Bedeutung und verbindet unsere Kulturen.« Der Gedanke scheint aufzugehen: Die Studierenden und Auszubildenden der Lehr- und Versuchsanstalt interessierten sich sehr für die Herstellung von koscherem Wein, registriert Simon Bachmann. Wenn es nach ihm geht, soll das Projekt keine Eintagsfliege bleiben. Er hofft »auf eine längerfristige Zusammenarbeit«.

Um den Verkauf macht er sich keine Sorgen: Es gebe bereits Anfragen aus ganz Deutschland. Zudem weist koscherer Wein eine Besonderheit auf: Er ist vegan.

Antisemitismusverdacht

Ermittlung wegen Plakat »Juden haben hier Hausverbot« läuft

Ein antisemitischer Aushang in einem Flensburger Geschäft sorgt für Entsetzen. Politiker und Bürger reagieren deutlich. Die Staatsanwaltschaft schaltet sich ein

 18.09.2025

Nürnberg

Annäherung nach Streit um Menschenrechtspreis-Verleihung

Die Israelitische Kultusgemeinde hatte den diesjährigen Träger des Nürnberger Menschenrechtspreises nach Bekanntgabe des Juryvotums kritisiert. Nach Gesprächen gibt es nun offenbar eine Verständigung

 18.09.2025

Berlin

Zwölf Rabbiner blasen das Schofar

Die Jüdische Gemeinde Chabad Berlin lud zum Neujahrsempfang. Zu Gast war auch der Regierende Bürgermeister Kai Wegner

von Detlef David Kauschke  18.09.2025

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  18.09.2025 Aktualisiert

Berlin

Zentralrat der Juden begeht sein 75. Jubiläum

Die Dachorganisation der jüdischen Gemeinden lud zahlreiche Gäste aus Politik und Zivilgesellschaft nach Berlin. Der Bundeskanzler hielt die Festrede

von Imanuel Marcus  17.09.2025

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Auszeichnung

Düsseldorfer Antisemitismusbeauftragter erhält Neuberger-Medaille

Seit vielen Jahren setze sich Wolfgang Rolshoven mit großer Entschlossenheit gegen Antisemitismus und für die Stärkung jüdischen Lebens in Düsseldorf ein, hieß es

 16.09.2025

Erinnerung

Eisenach verlegt weitere Stolpersteine

Der Initiator des Kunst- und Gedenkprojekts, Gunter Demnig aus Köln, die Stolpersteine selbst verlegen

 16.09.2025

Porträt der Woche

Passion für Pelze

Anita Schwarz ist Kürschnerin und verdrängte lange das Schicksal ihrer Mutter

von Alicia Rust  16.09.2025