Keshet

»Wir wollen als Vorbilder Mut machen«

Leo Schapiro, Vizevorsitzender von Keshet Deutschland und Professor für Wirtschaftsrecht Foto: privat

Keshet

»Wir wollen als Vorbilder Mut machen«

Leo Schapiro über den Berliner Pride Schabbat und queere Juden in Israel und Deutschland

von Eugen El  08.08.2019 16:13 Uhr

Herr Schapiro, kürzlich feierte Keshet Deutschland zusammen mit der Berliner Fraenkelufer Synagoge einen Pride Schabbat mit mehr als 220 Gästen. Wie haben Sie die Atmosphäre des Abends erlebt?
Es war das erste Mal, dass in Deutschland in einer konservativen Synagoge ein LGBTIQ-freundlicher Schabbat stattfand. Zudem wurde der gesamte Gottesdienst von queeren Personen, insbesondere von einem schwulen Rabbiner geleitet. Viele queere Gäste berichteten uns, dass sie seit Jahren nicht mehr in einer Synagoge waren und sich diesmal erstmals willkommen gefühlt haben. Besonders gefreut haben wir uns darüber, dass auch zahlreiche nicht queere Gäste teilgenommen haben. Sie haben damit zum Ausdruck gebracht, dass sie uns bei dem Vorhaben unterstützen, uns einen selbstverständlichen Platz in den Gemeinden zu geben.

Durch den Pride Schabbat ist Keshet Deutschland innerhalb der jüdischen Gemeinschaft sichtbarer geworden. Wie ist die Resonanz?
Zwar erleben wir leider immer wieder homophobe Anfeindungen von jüdischer Seite, insbesondere in den sozialen Medien. Insgesamt haben wir aber vor allem von Jüngeren sehr positive Reaktionen auf unsere Arbeit erhalten. Viele Personen haben uns mitgeteilt, wie sehr sie auf eine LGBTIQ-freundliche jüdische Organisation gewartet haben, weil sie sich in ihren Gemeinden nicht akzeptiert fühlen.

Was meinen Sie damit konkret?
In den Gemeinden herrscht häufig ein hoher Konformitätsdruck. Es wird gemeinhin erwartet, dass man heterosexuell ist, heiratet und Kinder bekommt. Für andere Lebensmodelle bleibt wenig Raum. Außerdem wird in den Einheitsgemeinden überwiegend ein orthodoxes oder konservatives Judentum vertreten. Die Lebensrealität zeigt aber, dass vor allem junge Erwachsene verstärkt das Bedürfnis äußern, familiäre, religiöse und auch gesellschaftliche Traditionen aufzubrechen und neue Lebensentwürfe zu verfolgen.

Wie unterstützt Keshet Deutschland queere Juden, diese Lebensentwürfe umzusetzen?
Wir wollen sie darin bestärken, die Vereinbarkeit von queerer und jüdischer Identität nicht mehr in Frage zu stellen. Dazu haben wir an dem Pride-Wochenende zusammen mit der Jüdischen Studierendenunion (JSUD) ein Seminar organisiert, an dem mehrere, überwiegend queere junge Leute teilgenommen haben. Wir haben damit ein »safe space« geschaffen, in dem sich die Betroffenen über ihre Erfahrungen austauschen konnten. Mit unserer starken Präsenz in den sozialen Medien sowie unseren Veranstaltungen erreichen wir viele queere Juden, die sich bislang nicht getraut haben, ihre Identität offen zu leben. Wir wollen ihnen als Vorbilder Mut machen.

Zusammen mit der JSUD lief Keshet beim Berliner Christopher Street Day mit. Wie wurden Sie von der queeren Community aufgenommen?
Wir hatten im Vorfeld Sorge, ob wir als jüdische Gruppe mit antisemitischen oder antiisraelischen Ressentiments konfrontiert würden. Glücklicherweise haben wir keinen Vorfall dieser Art erlebt. Im Gegenteil: Die Veranstalter und etliche Teilnehmer des CSD haben uns vor Ort ihre Unterstützung erklärt, und viele haben sich unserer Gruppe angeschlossen.

Beim Berliner CSD sind aber auch Unterstützer der Israelboykott-Bewegung BDS mitgelaufen. Aus dem BDS-Umfeld hört man oft den Vorwurf, die israelische Regierung würde die Gleichstellung Homosexueller für eigene politische Zwecke missbrauchen.
Ich stehe diesem Vorwurf des sogenannten »Pinkwashing« sehr kritisch gegenüber. Ich bin überzeugt davon, dass man mit dem Hinweis auf die Rechte von Homosexuellen in Israel nicht von der Situation der Palästinenser ablenken kann. Besonders scheinheilig ist der Vorwurf auch deshalb, weil diejenigen, die sich hiermit vermeintlich für die Rechte der Palästinenser einsetzen wollen, kein Wort darüber verlieren, dass queere Menschen in den palästinensischen Gebieten geächtet oder sogar mit dem Tod bedroht werden.

Wie weit ist die Gleichstellung Homosexueller in Israel denn tatsächlich vorangeschritten?
Israel stellt sich zwar als besonders LGBTIQ-freundlich dar, doch ist die Ehe für homosexuelle Paare immer noch nicht möglich und die Leihmutterschaft für homosexuelle Paare - anders als bei Heterosexuellen - verboten. Gleichwohl werden queere Personen und Familien in der israelischen Gesellschaft auch außerhalb von Tel Aviv in hohem Maße sozial akzeptiert. Die israelische Gesellschaft ist insoweit weitaus fortschrittlicher als viele jüdische Gemeinden in Deutschland und Europa.

Was möchte Keshet Deutschland tun, damit sich das ändert?
Zunächst planen wir, in Zusammenarbeit mit der ZWST eine psychosoziale Beratungsstelle aufzubauen. Auch möchten wir in den einzelnen Gemeinden mit ausgebildeten Coaches ein Programm zur Sensibilisierung gegenüber LGBTIQ-Menschen anbieten. Wir träumen von einer jüdischen Gemeinschaft, in der Schlomo seinen Eltern davon berichtet, dass er sich in David verliebt hat und sie lediglich fragen: Ist David jüdisch, und was machen seine Eltern?

Mit dem Vizevorsitzenden von Keshet Deutschland e.V. sprach Eugen El.

Architektur

Wundervolles Mosaik

In seinem neuen Buch porträtiert Alex Jacobowitz 100 Synagogen in Deutschland. Ein Auszug

von Alex Jacobowitz  17.10.2025

Nova Exhibition

Re’im, 6 Uhr 29

Am 7. Oktober 2023 feierten junge Menschen das Leben. Dann überfielen Hamas-Terroristen das Festival im Süden Israels. Eine Ausstellung in Berlin-Tempelhof zeigt den Horror

von Sören Kittel  17.10.2025

Meinung

Entfremdete Heimat

Die antisemitischen Zwischenfälle auf deutschen Straßen sind alarmierend. Das hat auch mit der oftmals dämonisierenden Berichterstattung über Israels Krieg gegen die palästinensische Terrororganisation Hamas zu tun

von Philipp Peyman Engel  16.10.2025

Erinnerung

Gedenken an erste Deportationen aus Berlin am »Gleis 17«

Deborah Hartmann, Direktorin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, warnte mit Blick auf das Erstarken der AfD und wachsenden Antisemitismus vor einer brüchigen Erinnerungskultur

 16.10.2025

Bonn

Hunderte Menschen besuchen Laubhüttenfest

Der Vorsitzende der Synagogen-Gemeinde in Bonn, Jakov Barasch, forderte mehr Solidarität. Seit dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hätten sich hierzulande immer mehr Jüdinnen und Juden aus Angst vor Übergriffen ins Private zurückgezogen

 13.10.2025

Hamburg

Stark und sichtbar

Der Siegerentwurf für den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge steht fest

von Heike Linde-Lembke  09.10.2025

München

Mut in schwieriger Zeit

Der Schriftsteller und Historiker Rafael Seligmann stellte im Gespräch mit Christian Ude sein neues Buch im Jüdischen Gemeindezentrum vor

von Nora Niemann  09.10.2025

Halle

Erinnerung an Synagogen-Anschlag vor sechs Jahren

Am 9. Oktober 2019 hatte ein Rechtsterrorist versucht, in die Synagoge einzudringen, scheiterte aber an der Tür. Bei seiner anschließenden Flucht tötete er zwei Menschen

 09.10.2025

Daniel Donskoy

»Ich liebe das Feuer«

Der Schauspieler hat mit »Brennen« einen Roman über die Suche nach Freiheit und Freundschaft geschrieben. Ein Interview

von Katrin Richter  09.10.2025