Hamburg

Von einem, der sich freischwimmt

Gabriel Herlich lebt mit Frau und Tochter in Hamburg. Foto: Heike Linde-Lembke

Donnie ist einsam. Der 21-Jährige kommt aus einer gut situierten Familie. Donnie studiert Kunst. Ein Außenseiter. Ein Loser. Nur die Rechtsradikalen bieten ihm eine »Heimat«. Mit ihnen zieht er herum, lässt antisemitische Sprüche ab, bringt damit seine Familie gegen sich auf. Bis er in einem Schwimmbad, dem Freibad Dulsberg in Hamburg, das Mädchen Meggie kennenlernt. Und sich in sie verliebt. Sie ist schön. Und sieht so gar nicht aus wie eine Jüdin.

Gabriel Herlich beschreibt in seinem Debütroman Freischwimmer die bizarre Karriere des Sohnes aus gutem Hause, der auf die rechtsextreme Bahn gerät. Gabriel Herlich ist Jude, lebt in Hamburg und erzählt, wie und warum jemand wie Donnie abdriftet und zum Antisemiten wird, vor allem aber, wie er aus dem Schlamassel wieder rauskommt.

Perspektive Der Autor bringt Donnies Geschichte aus einer ungewöhnlichen Perspektive, aus der des Antisemiten und nicht aus der des Juden. Das macht den Roman so spannend, wobei der Autor keinesfalls die psychologische Mitleidstour fährt. Sondern einfach nur berichtet, warum jemand den Neonazis ins Netz geht.

Gabriel Herlich ging in Frankfurt auf die jüdische Grundschule.

Der Debütroman des Hamburgers erinnert beim Lesen stark an Tschick von Wolfgang Herrndorf, der ebenfalls Hamburger war. Auch Freischwimmer ist ein Roadmovie, ein Abenteuer- und Entwicklungsroman, mit einer gehörigen Portion Zeitkritik, mit Liebe und Romantik und der Auseinandersetzung mit der deutsch-jüdischen Vergangenheit in der dritten Generation nach der Schoa.

Seine plötzliche Liebe zur Jüdin Meggie verwirrt den Neonazi völlig, und er spürt, dass er sich seinem Leben endlich stellen muss, dem er bisher erfolgreich ausgewichen ist. Er, der sich resigniert durchs Dasein treiben ließ, wird gezwungen, in sein Inneres zu gucken, und was er dort entdeckt, stimmt ihn nicht gerade froh.

DEBÜTROMAN Er muss sich für eine Lebensform entscheiden und für diese Entscheidung auch noch die Verantwortung tragen. Als er zu Sozialstunden in einem Altersheim verdonnert wird, trifft er Vincent, den tiefgründigen Pfleger, der ihm einen Weg aus seinem Lebenswirrwarr weist.

Wer aber ist dieser Autor, dessen Debütroman sogar verwöhnte Leserinnen und Leser derart packt, dass sie »Freischwimmer« in einer Nacht durchlesen müssen – so ist es mir geschehen –, und warum hat er dieses Buch geschrieben?

Gabriel Herlich wurde 1988 in Frankfurt am Main geboren, ging dort zur jüdischen Grundschule, später auf ein allgemeines Gymnasium. »Dort war ich unter 1400 Schülern der einzige Jude, aber meine Mitschüler waren neugierig, und ich habe sogar ein Referat über das Judentum gehalten, mit Tallit und Tefillin«, erinnert sich Herlich.

Er studierte Betriebswirtschaftslehre in Wien, auch weil dort Familie von ihm wohnt. Seine Mutter ist Österreicherin, der eine Großvater lebte in Kärnten, der andere, Großvater Herlich, in Ramat Gan bei Tel Aviv. Die Nazis deportierten ihn in mehrere KZs. Auch Großmutter Shoshana Mandelbaum war Schoa-Überlebende. Herlichs Vater wurde in Israel geboren. Doch die Ehe scheiterte, der Großvater zog nach Deutschland, nach Offenbach – obwohl die Nazis seine erste Ehefrau und den ersten Sohn ermordet hatten. »Aber nie haben sie uns etwas von der Schoa erzählt«, bedauert Gabriel Herlich. Als die Großeltern noch lebten, war er oft in Israel und absolvierte in Tel Aviv auch ein Praktikum. »Ich wollte testen, was für mich richtig ist, ich habe in Grenoble studiert und arbeitete bei Banken in Frankfurt«, erzählt Herlich. Das Studium in Grenoble war auch Impulsgeber, seinen Protagonisten Donnie mit Meggie nach Frankreich zu schicken.

»SILBERSACK« Bereits mehrere Master in der Tasche, führte ihn 2013 das Praktikum in einem Unternehmen der Tech-Branche nach Hamburg. Er blieb. Und wohnte an einem der berüchtigtsten Orte der Stadt, in einer Dachwohnung an der Silbersacktwiete. Seine Nachbarn waren die Kneipe »Silbersack« und eine berühmte Schwulenkneipe, in der Rosa von Praunheim und Hape Kerkeling oft zu Gast waren. »Dort kann man sich nie allein fühlen, es war die coolste Bude der Zeit«, freut sich Herlich, zumal auch sein Lieblingsitaliener »Cuneo« gleich nebenan ist. 2019 heiratete er, vor fünf Monaten wurde Tochter Livia geboren. »Das Beste, was uns passieren konnte«, sagt er stolz.

Wie aber kam der Marketingmanager zum Schreiben? »Ich konsumiere gern Geschichten, egal, in welcher Form, und dann kommt man irgendwann nicht umhin, selbst eine Geschichte zu schreiben«, sagt Herlich. Er habe es immer bewundert, wie Autorinnen und Autoren es schaffen würden, 200 Seiten am Stück zu schreiben, er sei nie über drei Seiten hinausgekommen. »Der Traum ist lange Jahre in mir gewachsen, und als er konkret wurde, habe ich mir eine Roman-Coachin genommen, die mir das Handwerk erst einmal beigebracht hat«, verrät er.

Einen Roman zu schreiben, war
lange Jahre sein Traum.

Der schönste Moment sei gewesen, als er das Manuskript von Freischwimmer einer Literaturagentin gab und sie sagte, dass man es vermarkten könne. »Das hat mir gezeigt, ich kann schreiben«, sagt Gabriel Herlich sichtlich zufrieden. »Ich bin dankbar für alles, was ich gelernt habe, für jede Kritik und jede Korrektur, nehme gern Rat und Tipps an, aber ich entscheide auch, dass die Kerngeschichte bleibt und – wann Schluss ist«, resümiert der Autor.

»Es war ein sehr schönes Gefühl, das Manuskript abzugeben, doch jetzt kann ich auch nichts mehr kontrollieren.« Er will weiter schreiben: »Wenn einmal die Hürde geknackt ist und man einen ganzen Roman geschrieben hat, will man immer wieder neue Geschichten entwickeln.«

Mit Freischwimmer geht er auch auf Lesereise. Und würde gern mit einer ganz besonderen Spezies über seinen Roman diskutieren: »Ich fände es cool, wenn Rechtsradikale das lesen.«

Gabriel Herlich: »Freischwimmer« Pendragon Verlag, Bielefeld 2023, 268 S., 24 Euro

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