Magdeburg

Unruhiger Ort

Wer in Magdeburg als liberaler Jude keine Angehörigen und kein Geld hat, wird von Amts wegen nicht auf dem jüdischen Friedhof bestattet. Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Larisa Korshevnyuk ist empört: Die Stadt Magdeburg in Sachsen-Anhalt verweigert Juden die finanzielle Unterstützung für eine traditionelle jüdische Beerdigung. Und zwar dann, wenn Angehörige die Kosten dafür nicht aufbringen können oder es gar keine Angehörigen gibt, erklärt die Vorsitzende der liberal ausgerichteten Jüdischen Gemeinde Magdeburg die Situation.

Sie habe es kaum glauben können. Aber diese Erfahrung habe sie gemacht. Denn es gibt in Magdeburg keinen Vertrag der Jüdischen Gemeinde mit einer städtischen Behörde, die solche Situationen regelt. Das heißt, ein möglicher Automatismus für die Bestattung gläubiger Jüdinnen und Juden in nachweisbar sozial prekärer Situation ist in der Landeshauptstadt nicht möglich.

Normalfall Der Jüdischen Allgemeinen erklärt Eike Heinicke vom Gesundheitsamt, dass es diesen Automatismus auch gar nicht geben könne. Im Normalfall seien Angehörige für die Bestattung zuständig. Und nur im äußersten Notfall kümmere sich die Stadt. Von 4500 Verstorbenen im Jahr würden 4300 Menschen von Verwandten bestattet. Die restlichen 200 Menschen seien »atypische Fälle«.

Bei fehlenden finanziellen Mitteln und Verwandten könne ein Antrag beim Sozialamt gestellt werden, heißt es in einem Brief der Stadt Magdeburg an die Jüdische Gemeinde. So weit, so gut. Eine finanzielle Unterstützung durch das Sozialamt für die Bestattung jüdischer Menschen aber sei nicht aus einer gesetzlichen Verpflichtung zur Bestattung abzuleiten.

Eine Behörde wird natürlich erst dann eingreifen, wenn es keine Angehörigen gibt, die den Verstorbenen bestatten können. Das ist in ganz Deutschland so und hat unter anderem auch mit dem postmortalen Persönlichkeitsrecht zu tun. In Magdeburg ist in solchen Fällen das Gesundheitsamt zuständig, um »akute Gefahr abwenden zu können«, sagt Eike Heinicke.

Nach heftigem Streit ist nun also die Erdbestattung erlaubt, allerdings nur auf dem städtischen Westfriedhof.

Von Amts wegen gibt es in Magdeburg in diesen Fällen jedoch nur die Feuerbestattung. Dagegen haben sich die beiden Jüdischen Gemeinden der Stadt verwahrt. Eine Feuerbestattung ist für gläubige jüdische Menschen undenkbar. »Es hat uns ungeheuer viel Kraft gekostet, dass verstorbene Juden wenigstens nicht mehr verbrannt werden«, sagen beide Gemeinden.

Nach heftigem Streit ist nun also die Erdbestattung erlaubt. Jedoch findet die nicht auf dem jüdischen, sondern auf dem städtischen Westfriedhof statt. »Die Gemeindemitglieder dürfen sich zwar von dem Verstorbenen verabschieden, doch von der Beisetzung werden sie ausgeschlossen, wurde mir vom Gesundheitsamtsleiter gesagt«, sagt Larisa Korshevnyuk entsetzt. Und in dem Brief des Amtes heißt es darüber hinaus: »Eine Bestattung auf dem jüdischen Friedhof kann nur von bestattungspflichtigen Personen oder Dritten z.B. Ihrer Gemeinde erfolgen.«

Das heißt, wer keine Verwandten und kein Geld hat und nicht der Synagogengemeinde angehört, kommt schon von Amts wegen nicht auf den jüdischen Friedhof. Dagegen protestierte Larisa Korshevnyuk in Briefen an alle Parteien – außer der AfD – und an den Landtag bereits im Jahr 2019. Erfolgversprechende oder fundierte Antworten gab es nach ihrer Aussage nicht.

In dem Brief des Gesundheitsamtes wird abschließend eine Sterbeversicherung oder eine andere Bestattungsvorsorge empfohlen. Bei einer sehr kleinen Rente oder anderem geringsten Einkommen wirkt das wie blanker Sarkasmus.

Das Gesundheitsamt schlägt vor, eine Sterbeversicherung abzuschließen.

Im Nachbarland Thüringen gibt es derlei Probleme nicht. »Die meisten Gemeindemitglieder sind auf Unterstützung angewiesen«, weiß Landesrabbiner Alexander Nachama. Demzufolge übernehmen Jüdische Gemeinde und das Sozialamt die Kosten für eine traditionelle jüdische Bestattung. Büroleiterin Uschi Ulbricht ergänzt: »Sozial schwach oder nicht – beerdigt wird auf dem jüdischen Friedhof.«

Und selbst für nichtjüdische Ehepartner gilt diese Regelung. Die Kosten liegen bei 2500 Euro. Hinzu kommen noch die Beträge für das jeweilige Bestattungsinstitut. Thüringen hat sowohl in Erfurt als auch in Nordhausen aktive jüdische Friedhöfe. Die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde aus anderen Orten, beispielsweise aus Jena oder Weimar, werden ebenfalls in Erfurt beigesetzt. Ganz gleich, ob Angehörige die Kosten übernehmen können oder aber eine Behörde helfen muss. »Das ist einfach eine Selbstverständlichkeit«, sagt Reinhard Schramm, Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen.

Auch in Niedersachsen reagiert man fassungslos auf die Situation in Magdeburg. »Wir haben Religionsfreiheit«, betont Josef Zweigel. Er ist jüdischer Bestatter in Hannover und kann nicht glauben, dass seitens der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt so mit verstorbenen bedürftigen Juden umgegangen wird. In Hannover werde das Ordnungsamt aktiv, wenn weder Verwandte noch genug Geld vorhanden seien, um Verstorbene zu bestatten. »Intern holt sich das Amt aber das Geld vom Sozialamt zurück«, erklärt Zweigel die alltägliche Situation in Hannover. Warum das in Magdeburg nicht gehen sollte, sei unverständlich.

Regeln »Das Gesundheitsamt in Magdeburg richtet sich zwar nach seinen Regeln. Es interessiert sich aber nicht dafür, dass es um jüdische Menschen geht«, klagt Larisa Korshevnyuk. Sie würde gern den in Paragraf 1 des Bestattungsgesetzes von Sachsen-Anhalt festgelegten Grundsatz gewahrt wissen, dass »man sich nach den bekannt gewordenen sittlichen, weltanschaulichen und religiösen Vorstellungen der Verstorbenen zu richten« habe.

In Halle und Dessau - ebenfalls in Sachsen-Anhalt - gibt es sehr wohl entsprechende Verträge zwischen den Jüdieschen Gemeinden und dem Ordnungsamt.

In Halle und Dessau gebe es übrigens Verträge zwischen den Jüdischen Gemeinden und dem Ordnungsamt, macht Larisa Korshevnyuk deutlich. Dort werden die Kosten für die Bestattung auf dem jüdischen Friedhof übernommen. Beide Städte liegen ebenfalls in Sachsen-Anhalt.

Und in Form eines Briefes von der Synagogen-Gemeinde Magdeburg sieht Korshevnyuk weitere Probleme auf sich zukommen. Drei Mitglieder der liberalen Gemeinde hätten die Fristen für die Bezahlung der Bestattungskosten verstreichen lassen, daher sehe sich die Synagogen-Gemeinde gezwungen, bei »künftigen Bestattungsaufträgen eine Kaution in Höhe von 1800 Euro zu erheben«. Diese werde zurückbezahlt, wenn die Bestattungskosten entweder vom Auftraggeber oder vom Leistungsträger beglichen seien.

»Keiner von uns führt 1800 Euro einfach so in der Tasche mit sich herum«, sagt Korshevnyuk und sieht darin eine Schikane vonseiten der orthodoxen Gemeinde gegenüber der liberalen. »Wir haben noch alle unsere Rechnungen bezahlt«, sagt sie und weiß sich keinen anderen Rat, als den Brief an die Landes- und Kommunalbehörden sowie den Zentralrat weiterzuleiten.

Berlin

Margot Friedländer Preis wird verliehen

Die mit insgesamt 25.000 Euro dotierte Auszeichnung gehe an Personen, die sich für Toleranz, Menschlichkeit, Freiheit und Demokratie einsetzen

 15.09.2025

München

»In unserer Verantwortung«

Als Rachel Salamander den Verfall der Synagoge Reichenbachstraße sah, musste sie etwas unternehmen. Sie gründete einen Verein, das Haus wurde saniert, am 15. September ist nun die Eröffnung. Ein Gespräch über einen Lebenstraum, Farbenspiele und Denkmalschutz

von Katrin Richter  14.09.2025

Hamburg

»An einem Ort getrennt vereint«

In der Hansestadt soll die Bornplatzsynagoge, die in der Pogromnacht von den Nazis verwüstet wurde, wiederaufgebaut werden. Ein Gespräch mit dem Stiftungsvorsitzenden Daniel Sheffer über Architektur, Bürokratie und Räume für traditionelles und liberales Judentum

von Edgar S. Hasse  13.09.2025

Meinung

»Als Jude bin ich lieber im Krieg in der Ukraine als im Frieden in Berlin«

Andreas Tölke verbringt viel Zeit in Kyjiw und Odessa – wo man den Davidstern offen tragen kann und jüdisches Leben zum Alltag gehört. Hier schreibt er, warum Deutschland ihm fremd geworden ist

von Andreas Tölke  13.09.2025

Porträt der Woche

Das Geheimnis

Susanne Hanshold war Werbetexterin, Flugbegleiterin und denkt über Alija nach

von Gerhard Haase-Hindenberg  13.09.2025

Jahrestag

»So betäubend wie damals«

Am Mahnmal in Fürstenfeldbruck wurde an die Opfer des Olympia-Attentats von 1972 erinnert

von Luis Gruhler  13.09.2025

Feiertage

Tradition im Paket

Das Familienreferat des Zentralrats der Juden verschickt die neuen Mischpacha-Boxen mit allerhand Wissenswertem rund um Rosch Haschana und Sukkot

von Helmut Kuhn  12.09.2025

Interview

»Berlin ist zu meiner Realität geworden«

Die Filmemacherin Shoshana Simons über ihre Arbeit, das Schtetl und die Jüdische Kunstschule

von Pascal Beck  11.09.2025

München

Ein Fundament der Gemeinde

Die Restaurierung der Synagoge an der Reichenbachstraße ist abgeschlossen. In den Erinnerungen der Mitglieder hat das Haus einen besonderen Platz

von Luis Gruhler  11.09.2025