Dank

Prägende Gestalt

Sein Lachen rührte die Seele: William Wolff sel. A. Foto: imago images/BildFunkMV

Wie Menschen kann man Zeiten an ihrem Gang erkennen, nicht an ihrem Lauf. Noch vor einem Jahr hat die Stadt Schwerin einen Ehrenbürger gekannt, den ihre Einwohner an seinem Gang erkannten. Eine geschätzt einen Meter fünfzig große Gestalt, elegant in Mantel und Hut gekleidet, wandelte durch die mecklenburgische Hauptstadt. Sie besuchte Premieren des Mecklenburgischen Staatstheaters, kehrte im Café »Prag« oder im Fischrestaurant »Lukas« zu einer Mahlzeit ein, kaufte ihre Tageszeitungen am Kiosk des Hauptbahnhofs und besorgte sich in den Schweriner Buchhandlungen daheim bereits in mehrfacher Fassung angesammelte Ausgaben klassischer Weltliteratur.

Diese in Zentimetern gemessen kleine Erscheinung verbreitete neben dem Duft des Eau de Toilette »Fahrenheit« eine besondere Aura, die bei Passanten eine unbändige Neugierde erweckte. Das Gesicht: eine von tiefen Furchen und Falten gezeichnete Landkarte des Lebens. Strenge, wissende und schelmisch funkelnde Augen harmonierten mit dem verspielten, vor Lebensenergie strotzenden und gleichzeitig nach innen gekehrten Gangbild des Landesrabbiners.

schelfstadt William Wolff sel. A. verstarb am 8. Juli 2020 im Alter von 93 Jahren in London, aber meine Augen suchen noch heute im Gedränge flanierender Menschen im Schweriner Schlossgarten oder in der Schelfstadt seinen von Hut und Mantel gekennzeichneten Schatten, auch wenn ich darum weiß, in meinem Leben einem solchen Menschen kein zweites Mal begegnen zu können.

Geboren am 13. Februar 1927, war William Wolff eines von drei Kindern einer mittelständischen jüdischen Berliner Familie. 1933 wandte sie Nazideutschland den Rücken und floh mit einem Nachtzug nach Amsterdam; 1939 folgte die Ausreise nach London. Wenige Jahre später zerbrach die unglückliche Ehe der Eltern. Den Tod seiner Schwester bei einem Autounfall und den Selbstmord seines Zwillingsbruders, der in Australien als Germanistikprofessor tätig war, empfand William als schmerzvolle Schicksalsschläge.

Im Alter von 53 Jahren erfüllte sich Wolff einen Kindheitstraum und ließ sich zum Rabbiner ausbilden.

Dem Leiden seines Lebenswegs entfliehend, widmete sich William nur Tätigkeiten, die ihm Freude bereiteten. Glückliche Erinnerungen verdankte er seinem jahrelangen Engagement als Politikkorrespondent der Zeitung »The Mirror«. Im Alter von 53 Jahren absolvierte er eine rabbinische Ausbildung am Leo Baeck College und erfüllte sich damit eine Kindheitssehnsucht.

2002 folgte die Berufung des englischen Gentlemans zum Landesrabbiner Mecklenburg-Vorpommerns, ein Umzug, der die Kanten seines Lebens abrunden sollte. Die durchdringende Stimme seines Gesangs und sein echoreiches Lachen rührten die Seelen der Menschen, und Meinungsdifferenzen zerbarsten an seiner Herzlichkeit und Güte. William Wolff leistete Großes beim Wiederaufbau jüdischen Lebens in Norddeutschland. 2006 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald, ein Jahr später das Bundesverdienstkreuz.

Hilfestellungen Er durchschritt schwierige Zeiten, aber er gestaltete ein gehaltvolles Leben und verlieh auch dem meinen, als seiner Schülerin und Freundin, Gehalt. Meine Familie hatte die Ehre, mit William einen Teil dieser Welt zu bereisen, für ihn zu kochen und ihm bei Krankheit beizustehen. Ich hatte das Glück, so manches Buch aus seiner Bibliothek in meine Privatsammlung überführen zu können.

Sein Gangbild blieb aufrecht und leichtfüßig, denn es strahlte Freude und Zufriedenheit aus. Im Wissen um all jene Spuren, die diese Menschengestalt in meinem Leben hinterlassen hat, empfinde ich tiefste Dankbarkeit.

KZ-Befreiungen

Schüler schreibt über einzige Überlebende einer jüdischen Familie

Der 18-jährige Luke Schaaf schreibt ein Buch über das Schicksal einer Jüdin aus seiner Heimatregion unter dem NS-Terrorregime. Der Schüler will zeigen, »was Hass und Hetze anrichten können«

von Stefanie Walter  29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025

Berlin

Bebelplatz wird wieder zum »Platz der Hamas-Geiseln«

Das Gedenkprojekt »Platz der Hamas-Geiseln« soll laut DIG die Erinnerung an die 40 in Geiselhaft getöteten Israelis und an die 59 noch verschleppten Geiseln wachhalten

 28.04.2025

Berlin

Jüdische Gemeinde erinnert an Warschauer Ghetto-Aufstand

Zum Abschluss der Namenslesung vor dem Jüdischen Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße ist für den Abend ein Gedenken mit Totengebet und Kranzniederlegung geplant

 28.04.2025

Düsseldorf

Erinnerungen auf der Theaterbühne

»Blindekuh mit dem Tod« am Schauspielhaus stellt auch das Schicksal des Zeitzeugen Herbert Rubinstein vor

von Annette Kanis  27.04.2025

Hanau

Jüdische Gemeinde feiert Jubiläum

»Im Grunde genommen ist es mit das Größte und Schönste, was eine Gemeinde machen kann: eine neue Torarolle nach Hause zu bringen«, sagt Gemeinde-Geschäftsführer Oliver Dainow

 25.04.2025

Begegnung

Raum für das Unvergessene

Jede Woche treffen sich Schoa-Überlebende im Münchner »Café Zelig«, um Gemeinschaft zu finden im Schatten der Geschichte. Ein Ortsbesuch

von Katrin Diehl  23.04.2025

Interview

»Das Gedenken für Jugendliche greifbar machen«

Kurator Pascal Johanssen zur neuen Ausstellung im ehemaligen Jüdischen Waisenhaus in Pankow

von Gerhard Haase-Hindenberg  21.04.2025

Porträt der Woche

Austausch mit Gleichen

Maria Schubert ist Gemeindesekretärin in Magdeburg und tanzt gern

von Alicia Rust  18.04.2025