Tübingen

Muss der Name weg?

Den Namen trägt die Universität seit 1769. Foto: picture alliance / dpa

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) sieht »woke Cancel Culture« am Werk. Für Hanna Veiler, Vorstandsmitglied der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD), wäre es hingegen das längst überfällige Ende der »Ehrung eines Antisemiten«. An der Eberhard Karls Universität Tübingen wird zurzeit heftig um eine mögliche Namensstreichung ihres umstrittenen Gründers, Graf Eberhard im Bart, debattiert.

Eberhard war der Herzog von Württemberg und Teck. Als er 1477 die Universität in Tübingen gründete, verbot er gleichzeitig, dass sich Juden in der Stadt niederlassen. In seinem Testament aus dem Jahr 1492 verordnete er zudem, dass nach seinem Tod alle Juden aus seinem Herrschaftsgebiet verbannt werden sollen.

studierendenvertreter Historiker, die sich mit Eberhard beschäftigt haben, sind sich einig, dass der Fürst aus judenfeindlichen Motiven heraus gehandelt hat. Aus diesem Grund hatten bereits im vergangenen Jahr jüdische Studierendenvertreter eine Namensänderung der Universität Tübingen gefordert.

In einem offenen Brief erneuerte die JSUD jetzt zusammen mit weiteren Studierendenverbänden diese Forderung und nannte sie einen »dringend notwendigen politischen Schritt« und ein »lange überfälliges Zeichen« gegen Antisemitismus. Am vorvergangenen Mittwoch fand an der Universität Tübingen schließlich ein Podium zur Namensdebatte statt.

Im Vorfeld war ein von der Universität selbst in Auftrag gegebenes Gutachten veröffentlicht worden, das zu dem Ergebnis gekommen war, dass Eberhard »mit der Mehrheit der kirchlichen und weltlichen Elite seiner Zeit eine antijüdische Haltung« geteilt habe. Aber: »Eberhard war kein ›Antisemit‹« im modernen Sinne.

gutachten Die Tübinger Geschichtsprofessorin Sigrid Hirbodian, unter deren Leitung das Gutachten entstanden war, verteidigte bei der Podiumsdiskussion diese Sichtweise: Die Vorwürfe »gegen Eberhard sind unhistorisch«, er sei »ein Mensch seiner Zeit gewesen«. Dagegen seien seine Verdienste um die Stadt groß. »Was wäre Tübingen ohne Universität?«, fragte Hirbodian. Darüber hinaus würde die Streichung seines Namens auch eine »kritische Auseinandersetzung mit ihm und seiner Zeit« verhindern.

Eberhards Politik hat »den Antisemitismus in Württemberg auf Jahrhunderte befeuert«, sagt Hanna Veiler von der JSUD.

Hanna Veiler, die als Rednerin ebenfalls auf dem Podium saß, widerspricht im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen Hirbodians Argumenten. Eberhards Politik habe »den Antisemitismus in Württemberg auf Jahrhunderte befeuert« und sei dafür von den Nationalsozialisten verehrt worden.

»Antijudaismus und Antisemitismus sind nicht trennbar«, glaubt Veiler. Zudem sei es durchaus zulässig, »Geschichte auch aus der Gegenwartsperspektive zu beurteilen«. Für sie ist es daher kein Anachronismus, zu sagen: »Die Tübinger Universität trägt den Namen eines Antisemiten.«

Boris Palmer Auch der Tübinger Oberbürgermeister schaltete sich in die Debatte ein. In einem Facebook-Post schrieb Boris Palmer, die Forderung nach der Namensänderung entspringe »dem Bedürfnis, sich selbst über andere zu erheben«. Die in dem Gutachten angeführten Belege für Eberhards Judenfeindschaft seien »im Kontext der Zeit keineswegs drastisch«.

Außerdem stehe hinter dem Ansiedlungsverbot für Juden in Tübingen ein »konkretes und nachvollziehbares Motiv«: Eberhard habe verhindern wollen, dass sich die Studenten der Stadt »durch die Aufnahme von Krediten bei Juden und anderen Geldverleihern verschuldeten«, zitiert Palmer das Gutachten der Uni Tübingen. Eberhard aus dem Namen der Universität zu streichen, halte er für »grundlegend verfehlt«.

Welche Argumente sich am Ende in der Namensdebatte durchsetzen können, wird sich bald zeigen. Am 21. Juli soll im Akademischen Senat der Universität Tübingen abgestimmt werden, ob sie ihren Namen ändern wird oder nicht. Hanna Veiler findet, dass in der Diskussion aber auch jetzt schon ein wichtiger Fortschritt gemacht wurde: »Das erste Mal spielen auch Stimmen von Betroffenen eine Rolle«, sagt sie.

Immobilie

Das jüdische Monbijou

Deutschlands derzeit teuerste Villa auf dem Markt steht auf Schwanenwerder und soll 80 Millionen Euro kosten. Hinter dem Anwesen verbirgt sich eine wechselvolle Geschichte

von Ralf Balke  22.12.2025

Erfurt

Die Menschen halfen einander

Pepi Ritzmann über ihre Kindheit in der Gemeinde, ihre Familie und Antisemitismus. Ein Besuch vor Ort

von Blanka Weber  22.12.2025

Geburtstag

Holocaust-Überlebender Leon Weintraub wird 100 Jahre alt

Dem NS-Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau entkam Leon Weintraub durch eine Augenblicks-Entscheidung. Heute warnt er als Zeitzeuge in Schulklassen vor Rechtsextremismus. Am 1. Januar feiert er seinen 100. Geburtstag

von Norbert Demuth  22.12.2025

Didaktik

Etwas weniger einseitig

Das Israel-Bild in deutschen Schulbüchern hat sich seit 2015 leicht verbessert. Doch der 7. Oktober bringt neue Herausforderungen

von Geneviève Hesse  22.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025

Aufgegabelt

Apfel-Beignets

Rezept der Woche

von Katrin Richter  20.12.2025

Porträt

Am richtigen Ort

Arie Oshri ist Koch, Dragqueen und lebt in seiner Wahlheimat Berlin

von Alicia Rust  20.12.2025

Umbenennung

Yad-Vashem-Straße in Berlin: Wegner will schnelle Umsetzung

Nach der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem soll ein Straßenabschnitt im Herzen von Berlin benannt werden. Der Regierende Bürgermeister hofft auf eine schnelle Umsetzung

von Jonas Grimm  18.12.2025