Porträt der Woche

Mann fürs Rückgrat

»80 Prozent der Rückenoperationen sind überflüssig«: Martin Marianowicz Foto: Christian Rudnik

Porträt der Woche

Mann fürs Rückgrat

Martin Marianowicz ist Orthopäde und hat eine eigene Heilmethode entwickelt

von Katrin Diehl  25.06.2012 18:20 Uhr

Ich bin im Fußballfieber. Wann immer es geht, schaue ich mir Spiele an. Aber dabei sitze ich nicht faul auf der Couch, sondern stehe auf meinem Crosstrainer und laufe. Zwei Stunden lang, so lange, wie ein Spiel eben dauert. Ich habe meinen eigenen Raum, darin steht mein Laufband, und oben hängt der Fernseher. Wenn der Schiedsrichter anpfeift, laufe ich los. Das muss man mögen, ist nicht jedermanns Sache. Aber Hauptsache Sport. Das ist enorm wichtig, und zwar regelmäßig, am besten drei- bis viermal in der Woche. Das brauche ich, das mache ich, und das sieht man mir vielleicht auch an. Es gibt kein Medikament und keine Therapie, die so erfolgreich das Leben verlängert wie Sport. Jeden Tag eine halbe Stunde lässt uns statistisch zehn Jahre älter werden.

Ich bin Arzt. Mein Beruf ist nach meiner Familie das Beste, was mir in meinem Leben passieren konnte. Als Orthopäde kümmere ich mich vor allem um den Rücken und die Schultern meiner Patienten. Meine Praxis liegt in der Maxvorstadt in München, wo ich über mehrere Stockwerke verteilt ein orthopädisch ausgerichtetes Ärzteteam leite.

Tegernsee Daneben bin ich seit 2006 medizinischer Direktor der Privatklinik »Jägerwinkel« in Bad Wiessee am Tegernsee, die von meiner Frau Yvonne geleitet wird. Unsere Klinik ist mit ihrem Blick auf die Berge und den Rosengarten, der sie umgibt, etwas ganz Besonderes. Wir sind auf Orthopädie, Kardiologie, Innere Medizin und Psychosomatik spezialisiert.

Mein Terminplan ist voll. Dennoch finde ich meinen Beruf nicht wirklich anstrengend. Die Arbeit am Patienten fällt mir leicht, trotz der großen Verantwortung, die damit verbunden ist. Ich bin wohl dafür gemacht. Dazu kommt ein Grundgefühl der Zufriedenheit, etwas, das ich wohl von meiner Mutter mitbekommen habe. Sie hat immer Zufriedenheit ausgestrahlt.

Polen Geboren wurde ich 1955 in Warschau. Mein Elternhaus war nicht sonderlich religiös, eher ein bisschen links orientiert, weshalb wir nach dem Krieg erst einmal in Polen geblieben sind. Ich erinnere mich an dicke Bände in den Bücherregalen meines Vaters, Dokumentationen der Jahrestreffen des Zentralkomitees. Erst 1958 sind wir nach Deutschland gegangen, als sich der Ostblock mit dem zweiten israelisch-arabischen Krieg offen auf die arabische Seite schlug und es für Juden wieder einmal ungemütlich wurde.

Ich kann noch Polnisch. Meine Mutter hat immer gedacht, sie würde, als wir dann in Deutschland waren, Deutsch reden. Aber es war Polnisch – nein, eigentlich eine Mischung aus Jiddisch und Polnisch. Jiddisch kann ich auch, ich liebe diese Sprache. Es gibt da Wörter, die eine ganze Welt in sich tragen.

Mit meiner Frau und meinen beiden Töchtern lebe ich in einem bewusst traditionellen, koscheren Haushalt. Wir haben zwei Waschbecken, zwei Spülmaschinen, kaufen koscheres Fleisch und begehen die Feiertage. So oft ich kann, gehe ich am Schabbat in die Synagoge. Mir gefällt das, und hinterher trifft man sich auf einen Kaffee.

Engagement Nach so vielen Jahren in München ist mein Kontakt zur Gemeinde natürlich eng, auch wenn sich mein Engagement im Moment in Grenzen hält. Bei mir ist es einfach so: Wenn ich etwas tue, dann tue ich das ganz. Und gerade bin ich ganz Arzt. Aber das kann sich ja auch einmal ändern. So alt bin ich ja noch nicht.

In keinem anderen Beruf bekommt man so viel zurück wie als Arzt. Wenn man es schafft, einen Patienten ohne Operation endlich schmerzfrei zu machen, dann ist das, als habe man einen Hebel umgelegt. Da fallen einem die Leute schon mal um den Hals. Und solche Momente machen süchtig. Ja, ich gebe zu, dass ich süchtig danach bin. Und stolz.

Zusammen mit meinem Ärzteteam habe ich ein wegweisendes Konzept der Schmerztherapie entwickelt, einen Stufenplan, durch den sich Operationen vermeiden lassen. In Deutschland wird ja viel zu viel und viel zu schnell operiert. 80 Prozent der Rückenoperationen sind überflüssig. Ich gebe meinen Patienten und jedem der rückengesund bleiben will, die »Marianowicz-Methode« mit auf den Weg. So heißt übrigens auch mein neues Buch, und der Titel ist mir fast ein bisschen peinlich.

Bildergläubig Der Arzt von heute ist zu bildergläubig, und er hat verlernt zuzuhören. Zwei Sätze sind es, mit denen sich meine Patienten oft vorstellen: »Hier sind meine Bilder« und »Ich fasse mich kurz«. Wenn sie sich dann gar nicht kurz fassen müssen, sind sie völlig erstaunt. Meine Zeit gehört den Patienten. Von morgens bis abends.

Um 20 vor sieben klingelt mein Wecker. Den Kaffee habe ich am Abend schon vorbereitet, ich muss also nur noch den Knopf drücken. Dann gönnen wir uns, meine Frau und ich, eine ruhige Tasse. Den Tag über sehen wir uns ja kaum. Die Leitung der Klinik, die Kinder, das Haus – das ist nicht wenig für Yvonne. Zur Tasse Kaffee gibt es nichts, da bin ich ganz Südländer, auch wenn das nicht sonderlich gesund ist. Nach dem Kaffee: duschen, ins Auto und weg. Von Bogenhausen zur Praxis sind es gerade mal zehn Minuten.

Eine Ausnahme gibt es allerdings im morgendlichen Ritual, und zwar dann, wenn meine Tochter Jill – sie ist 17 und macht gerade Abitur – einen Frühstückswunsch äußert. Dann erfülle ich den. Bitten in diesem Alter muss man genießen. Jill will nach dem Abitur mit Medizin anfangen. Unsere große Tochter Joy – sie ist 21 – studiert Werbung in London. Beide Mädchen machen mich sehr stolz.

Planung So gegen acht Uhr bin ich in meinem Büro, das schräg gegenüber der Praxis liegt. Ich gehe mit der Sekretärin die Post durch, wir planen die Tage, und um neun Uhr beginnt die Sprechstunde. Montags, mittwochs und freitags bin ich in der Stadt, dienstags und donnerstags am Tegernsee.

Die Mischung macht es. In der Stadt arbeite ich direkt am Patienten, draußen am Tegernsee bin ich eher der Spiritus Rector, der Ideengeber. Therapieschemata werden festgelegt, Besprechungen finden statt, ich habe Vorstellungstermine. Und dienstagabends gibt’s den »Patientencocktail«, das haben wir eingeführt, damit sich alle kennenlernen können.

Um 18 Uhr schließt die Praxis. In der Regel fahre ich dann nach Hause, und wenn kein Fußballspiel kommt, lege ich mich mit Zeitungen oder einem historischen Roman auf die Couch, bis gegen 22 Uhr. Dann beginnt mein zweites Leben.

Präsident Ab 22 Uhr bin ich Präsident des »Peres Center for Peace« Deutschland, das ich 2006 zusammen mit Freunden gegründet habe und in dem es auf der Basis der Zweistaatenlösung darum geht, die verhärteten Fronten auf beiden Seiten aufzuweichen und eine sinnvolle Infrastruktur für das palästinensische Leben aufzubauen.

Vergangenen Herbst haben wir zum Beispiel in Nablus ein Schmerztherapieprojekt mit der palästinensischen Autonomiebehörde begonnen. Bei allem, was wir dort tun, stelle ich immer wieder fest, dass sich die Menschen auf beiden Seiten sehr ähnlich sind und dass jeder aus seiner Sicht recht hat.

Ich verstehe die israelische Seite, die natürlich auch die meine ist, die am Glück festhalten muss, nach 2.000 Jahren endlich eine jüdische Heimstätte gefunden zu haben. Aber natürlich verstehe ich auch die palästinensischen Kollegen, die sagen: Nach 60 Jahren haben wir das Recht, dass wir alleine über unser Schicksal bestimmen dürfen. Und so sitze ich nachts da und organisiere und plane, zum Beispiel die nächste Benefizveranstaltung.

Zweimal im Jahr mache ich mich auf zu meinem größten Vergnügen: zu einer Segeltour. Diesen Sommer geht es mit meiner Crew nach Griechenland. Vier Männer sind wir: vier Freunde auf einem Boot. Die reine Männerwirtschaft! Wunderbar.

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