Antisemitismus

Kräfte bündeln

Marina Chernivsky, Benjamin Steinitz und Aron Schuster (v.l.) bei der Unterzeichnung des Kooperationsvertrags Foto: Rolf Walter/xpress.berlin

Um den von Antisemitismus Betroffenen im gesamten Bundesgebiet Unterstützung zukommen zu lassen, wollen die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST), die Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung OFEK und der Bundesverband der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) künftig noch enger zusammenarbeiten. Eine entsprechende Kooperationsvereinbarung wurde von Vertretern der drei Organisationen in der vergangenen Woche in Berlin feierlich unterzeichnet.

Alltag »Auch 75 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz gehören Stigmatisierungen, Beleidigungen, Belästigungen und nun auch tätliche Angriffe zum Alltag der jüdischen Community in Deutschland und Europa«, sagte der Direktor der ZWST, Aron Schuster.

Die intensive Zusammenarbeit mit RIAS und OFEK sei in der aktuellen Situation eine Notwendigkeit. »Wir müssen uns im Kampf gegen den Antisemitismus noch professioneller aufstellen, um den unterschiedlichen Bedürfnissen der Betroffenen gerecht werden zu können«, sagte Schuster. »Die jetzt auf den Weg gebrachte Kooperationsvereinbarung gibt unserer bereits in der Vergangenheit gelebten Zusammenarbeit ein weiteres wichtiges Fundament«, sagte der ZWST-Direktor.

MELDEPORTAL Die Kooperation regelt die Dokumentation und Veröffentlichung von antisemitischen Vorfällen und den Austausch mit den jüdischen Institutionen sowie die Verweisberatung und Begleitung von Betroffenen. So kann der Bundesverband RIAS Ratsuchende, die sich über das bundesweite Portal www.report-antisemitism.de an ihn wenden und Beratungsangebote suchen, künftig direkt und ohne bürokratische Umwege an OFEK vermitteln.

»Es ist das Ziel, unsere Fachkompetenzen in die Arbeit einzubringen«, sagte Marina Chernivsky.

Das niedrigschwellige Angebot beruht auf dem bereits seit einigen Jahren existierenden mehrsprachigen Online-Portal, über das sich Betroffene jederzeit an das Projekt wenden können. Zusammen mit dem bundesweit agierenden Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment der ZWST wollen die Partner zudem neue Qualitätsstandards entwickeln, die auch in der präventiv-pädagogischen Bildungsarbeit genutzt werden können.

OFEK »In ganz Deutschland sollen Betroffene von antisemitischen Vorfällen auf gut funktionierende Handlungs- und Interventionsmöglichkeiten zurückgreifen können«, sagte OFEK-Geschäftsführerin Marina Chernivsky. Die nun getroffene Kooperationsvereinbarung werde dabei helfen, verlässliche Unterstützungsangebote weiter auszubauen und neue Formen der Hilfestellung zu erarbeiten. »Es ist das Ziel, unsere jeweiligen Fachkompetenzen noch stärker in die gemeinsame Arbeit einzubringen und dadurch zu bündeln«, so Chernivsky.

Auch der Geschäftsführer des RIAS-Bundesverbands, Benjamin Steinitz, zeigte sich zuversichtlich, dass die vereinbarte Kooperation ein wichtiger zukunftsweisender Meilenstein für die Antisemitismusbekämpfung in der Bundesrepublik ist. »Beim Kampf gegen Antisemitismus kommt es in erster Linie darauf an, geschlossen aufzutreten«, sagte Steinitz.

»Nicht erst der neonazistische Anschlag auf die Synagoge von Halle hat gezeigt, wie tiefgreifend Antisemitismus den Alltag von Juden in Deutschland prägen kann.« Eine gute und intensive Koordination zwischen jüdischen und nichtjüdischen Beratungseinrichtungen auf Bundes- und Landesebene sei deswegen unabdingbar. »Für unsere Arbeit als Bundesverband RIAS ist die Perspektive der Betroffenen die entscheidende Grundlage.«

VORBILD Der RIAS-Bundesverband hatte sich im November 2018 mit Unterstützung des Zentralrats der Juden, der ZWST und dem Bundesfamilienministerium nach dem Vorbild der in Berlin bereits seit Längerem existierenden Meldestelle für judenfeindliche Vorfälle gegründet. Ziel ist die Sicherstellung einer bundesweit einheitlichen und zivilgesellschaftlichen Erfassung antisemitischer Übergriffe.

»Viele Juden zeigen antisemitische Straftaten nicht bei der Polizei an«, sagte Benjamin Steinitz.

Die ermittelten Daten sind auch deshalb so wichtig, da sie die Grundlage für die Entwicklung bedarfsgerechter Beratungs- und Hilfsangebote der Kooperationspartner darstellen. Das Meldesystem erfasst nämlich auch solche Vorfälle, die polizeilich keinen Straftatbestand darstellen und die nicht mit direkter Gewaltanwendung verbunden sind. RIAS kritisiert, dass die Zahlen der Polizeistatistik nicht das Ausmaß antisemitischer Vorfälle in Deutschland abbilden und die Tätergruppen zu ungenau erfasst würden.

FRAGWÜRDIG »Viele Juden zeigen antisemitische Straftaten nicht bei der Polizei an, weil sie resigniert haben«, sagt Steinitz. Zudem sei die Zuordnung von Delikt und Täter häufig äußerst fragwürdig. Damit in der PKS ein Vorfall als antisemitisch eingestuft wird, müssen die zuständigen Polizeibeamten bei der Feststellung der Tat diese als antisemitisch definieren.

Doch genau hier liegt oftmals das Problem. »Leider wird Antisemitismus als Motiv häufig nicht erkannt«, sagt Steinitz. Wenn die antisemitische Motivation aber doch offenbar wird, werden die Täter entsprechend der Ermittlungen als »rechts«, »links«, in »ausländische« oder »religiöse Ideologien« eingeordnet. Bleiben die Täter unbekannt, ordnet die Polizei den Vorfall automatisch dem Spektrum »rechts« zu.

BUNDESKRIMINALAMT Laut der vom Bundeskriminalamt jährlich veröffentlichten Statistik »Politisch motivierte Kriminalität« (PMK) wurden im Berichtsjahr 2018 bundesweit 1799 antisemitische Straftaten registriert. Zu Fast 90 Prozent sind die antisemitisch motivierten Straftaten dem BKA zufolge der Kategorie »rechts« zuzuordnen. Bei den antisemitischen Gewalttaten waren laut BKA 49 »rechts«, drei »links«, zehn durch eine »ausländische Ideologie« und vier »religiös« motiviert. Drei Straftaten ließen sich von den Beamten nicht zuordnen.

Zieht man zum Vergleich die von RIAS ermittelten Zahlen für denselben Erfassungszeitraum heran, ergibt sich ein anderes Lagebild. Für 2018 zählte RIAS allein für Berlin insgesamt 1083 Delikte. Darunter waren 46 Angriffe, 46 Bedrohungen, 43 gezielte Sachbeschädigungen, 873 Fälle »verletzenden Verhaltens« sowie 117 antisemitische Massenzuschriften. Auch RIAS ordnete die Mehrheit der Vorfälle dem rechtsextremen Spektrum zu.

Berlin

Für mehr Sichtbarkeit

Wenzel Michalski wird Geschäftsführer des Freundeskreises Yad Vashem. Eine Begegnung

von Christine Schmitt  30.04.2025

Hanau

Das zarte Bäumchen, fest verwurzelt

Vor 20 Jahren gründete sich die jüdische Gemeinde – zum Jubiläum wurde eine neue Torarolle eingebracht

von Emil Kermann  30.04.2025

20 Jahre Holocaust-Mahnmal

Tausende Stelen zur Erinnerung - mitten in Berlin

Selfies auf Stelen, Toben in den Gängen, Risse im Beton - aber auch andächtige Stille beim Betreten des Denkmals. Regelmäßig sorgt das Holocaust-Mahnmal für Diskussionen. Das war schon so, bevor es überhaupt stand

von Niklas Hesselmann  30.04.2025

KZ-Befreiungen

Schüler schreibt über einzige Überlebende einer jüdischen Familie

Der 18-jährige Luke Schaaf schreibt ein Buch über das Schicksal einer Jüdin aus seiner Heimatregion unter dem NS-Terrorregime. Der Schüler will zeigen, »was Hass und Hetze anrichten können«

von Stefanie Walter  29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025

Berlin

Bebelplatz wird wieder zum »Platz der Hamas-Geiseln«

Das Gedenkprojekt »Platz der Hamas-Geiseln« soll laut DIG die Erinnerung an die 40 in Geiselhaft getöteten Israelis und an die 59 noch verschleppten Geiseln wachhalten

 28.04.2025

Berlin

Jüdische Gemeinde erinnert an Warschauer Ghetto-Aufstand

Zum Abschluss der Namenslesung vor dem Jüdischen Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße ist für den Abend ein Gedenken mit Totengebet und Kranzniederlegung geplant

 28.04.2025

Düsseldorf

Erinnerungen auf der Theaterbühne

»Blindekuh mit dem Tod« am Schauspielhaus stellt auch das Schicksal des Zeitzeugen Herbert Rubinstein vor

von Annette Kanis  27.04.2025

Hanau

Jüdische Gemeinde feiert Jubiläum

»Im Grunde genommen ist es mit das Größte und Schönste, was eine Gemeinde machen kann: eine neue Torarolle nach Hause zu bringen«, sagt Gemeinde-Geschäftsführer Oliver Dainow

 25.04.2025