München

Kampf um Gerechtigkeit

Wenn 40 Jahre IKG-Kulturzentrum und 14. Jüdische Filmtage zusammenkommen, dann darf man etwas Besonderes erwarten. Und so war kurz vor Anbruch der Sommerpause der österreichische Spielfilm Schächten im Jüdischen Gemeindezentrum zu sehen, der es auf 40 internationale Festivals geschafft hat. Ohne einen deutschen Filmverleih aber wurde die Präsentation in Anwesenheit des renommierten Regisseurs Thomas Roth in München zur Erstaufführung.

Für diese Konstellation war einiges zusammengekommen. Der Filmstoff wurde als zutiefst österreichisches Thema wahrgenommen, als ob die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, respektive deren Verweigerung, nicht auch ein deutsches wäre. Mit Fragen der Finanzierung habe man spät begonnen, erläuterte der Regisseur, oft klappe es mit der Grundfinanzierung relativ schnell, für das letzte Drittel brauche man länger.

Mittel von Filmfonds oder Sendeanstalten in Deutschland gab es nicht.

Mittel von Filmfonds oder Sendeanstalten in Deutschland gab es nicht, das wirke sich auf das entsprechende Interesse zur Ausstrahlung aus. Von den Vereinigten Staaten bis Australien, so Roth, »wurde der Film von Publikum und Veranstaltern sehr positiv aufgenommen«. Man fragte ihn im Ausland, ob man sich mit so einem schwierigen Thema Freunde mache. Roth, der mit Unterbrechungen insgesamt sieben Jahre daran arbeitete, ließ sich nicht beirren. Nicht einmal die Pandemie, die 2020/2021 die konkreten Vorbereitungen und Dreharbeiten durchkreuzte, konnte ihn aufhalten.

GERICHTSVERFAHREN Wie Thomas Roth im Gespräch mit Gastgeberin Ellen Presser, der Leiterin der Kulturabteilung der Israelitischen Kultusgemeinde, nach der Vorführung berichtete, war er vor Jahren auf ein Buch von Simon Wiesenthal, Recht, nicht Rache, aufmerksam geworden. In diesen 1988 erschienenen Erinnerungen des Schoa-Überlebenden waren unzählige Gerichtsverfahren zu Verbrechen in der NS-Zeit dokumentiert. Es gab aber nur wenige Verurteilungen. Und 1955 wurde die juristische Verfolgung praktisch abgeschafft, »es gab so viele Minderbelastete«, die man brauchte. Für Regisseur Thomas Roth ein Unding.

Als Sohn des renommierten österreichischen Schriftstellers Gerhard Roth, der sich in seinen Werken immer wieder kritisch mit der österreichischen Vergangenheit und Gegenwart auseinandersetzte, war Thomas Roth anders geprägt. Als er 2015 auf den jüdischen Filmproduzenten Michel Wagner und dessen Familiengeschichte aufmerksam wurde, kam das seinen eigenen Intentionen entgegen. Was einer gut integrierten jüdischen Familie angetan wurde, wie unbeirrt der Großvater um die Restitution des Familienbesitzes rang, wie Nazi-Verbrecher vor Gericht die Opfer verspotteten, freigesprochen wurden und ungestört weiterlebten, trieb ihn um.

Roth verlegte die Geschichte der Familie Wagner in die 60er-Jahre, sodass seine Hauptfigur Victor Dessauer, gespielt von Jeff Wilbusch, »jung genug war, um als Kind die Gräuel der dunklen Zeit überstehen zu müssen, und noch nicht zu alt, um den Zorn der Jugend verloren zu haben«, wie es in seinem Regiekommentar heißt. Gleichzeitig »wollte ich diese Zeit des Aufbruchs festhalten, eine Zeit der Erneuerung und Auseinandersetzung mit der Nazidiktatur«.

RACHE Für zwei tragende Rollen hatte Roth Schauspieler mit jüdischem Hintergrund einsetzen wollen. So verkörperte der 1987 in Israel geborene Jeff Wilbusch den wie sein Vater Gerechtigkeit suchenden, doch nur Rache findenden Victor. Christian Berkel brachte die »intuitive Intelligenz« mit, Simon Wiesenthal, der bei seiner Verfolgung von NS-Tätern stets unbedingten Wert auf den Rechtsweg gelegt hatte, zu verkörpern. Dessen Pose, Sprache, sogar die Art, die Zigarette zu halten, erarbeitete Berkel sich durch das Studium von historischen Aufnahmen.

Dass 60 Prozent seiner Landsleute kein Interesse an dem Thema haben, hält Thomas Roth nicht ab.

Michel Wagner, der »schuld an der Grundidee« war, kam zur Vorführung. Bei allen Freiheiten, die das Filmdrehbuch aufweise, seien die kämpferische Haltung seines Großvaters und die Selbstbehauptung seines Vaters, der ebenfalls Victor heiße und in seinen jungen Jahren im Security-Team der Israelitischen Kultusgemeinde Wien aktiv war, gewahrt. Ansonsten gehorcht der Spielfilm anderen dramaturgischen Gesetzen, greift konkret die Geschichte des NS-Peinigers und Uhrmachers Johann Gogl auf, der 1972 und 1975 freigesprochen wurde. Im Film – höchst überzeugend abstoßend als fiktive Gestalt Kurt Gogl von Paulus Manker verkörpert – kommt es zur Selbstjustiz.

Der Filmtitel Schächten, der manchen Zeitgenossen abschrecken mag, stört den Krimi-erfahrenen Regisseur Thomas Roth indes nicht. Was er binnen 26 Drehtagen in Niederösterreich, Wien, Salzburg und New York mit täglichen Corona-Tests und strengen Auflagen für alle Beteiligten schuf, ist »kein Feel-Good Movie« geworden. Am Ende heißt es, das Erbe der Nazis sei immer noch da. Dass 60 Prozent der Österreicher kein Interesse an diesem Thema haben, hält Thomas Roth nicht ab. Im Gegenteil. Man wünscht ihm – auch wenn es über Streamingdienste sein sollte – noch viele Zuschauer für dieses Werk.

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