Rosch Haschana

Hoffnung und Zuversicht

Apfelscheiben, Granatäpfel, Honig und Schofar: Gmar chatima tova! Foto: Marina Maisel

An Rosch Haschana sollen wir Juden Bilanz über das religiöse und moralische Verhalten im abgelaufenen Jahr ziehen und uns mit Gebeten für eine gute Zukunft einsetzen. Gottes Erbarmen, das über allem steht, macht Rosch Haschana deshalb zu einem Fest der Freude, nicht zu einem Trauertag.

Die Augen können wir aber nicht verschließen. Das zurückliegende Jahr mit seinen Ereignissen und Entwicklungen habe ich mir in dieser Form nicht ausmalen können und nicht ausmalen wollen. Doch die terroristischen Exzesse, die auch Deutschland, Bayern, München und damit meine Heimat erreicht haben, die weitere Verfestigung antisemitischer Thesen und Praktiken sowie die Renaissance des Rechtsextremismus sind längst keine abstrakten Gedankenspiele mehr, sondern Bestandteil einer Welt, die sich verändert hat.

Trotzdem dürfen wir nicht den Fehler machen, der allgemein um sich greifenden Aufregung und bisweilen Hysterie nachzugeben oder ihr gar anheimzufallen. Europa und speziell Deutschland bleiben eine gute Heimat, auch und gerade für jüdische Menschen.

frieden Die islamistischen Terroristen, die Panik und Schrecken verbreiten möchten und dieses Ziel auch erreichen, bringen vor allem Trauer und Schmerz über unzählige Familien. So auch in Israel, dem jüdischen Staat, der seit dem Tag seiner Gründung existenziell bedroht ist und der in jüngster Zeit eine neue Welle des Terrors und des antijüdischen Hasses erlebt. Dabei ist leider zu konstatieren, dass die Welt auf den Terror in Israel im Gegensatz zu Brüssel, Paris, Nizza und andernorts mit weit weniger Mitgefühl reagiert – wenn überhaupt. So endet dieses Jahr mit einem Gefühl der Verunsicherung und einem erneut gestiegenen Bedürfnis nach Sicherheit.

Es ist die Sehnsucht nach Frieden, die uns diesmal noch stärker als in früheren Jahren ins neue Jahr begleitet. Hinzu kommen Wut und Unverständnis, dass der alltägliche Terror in Israel viele Menschen weltweit weniger zu rühren scheint, als wenn er andernorts geschieht. Absolut unerträglich ist auch die teilweise inakzeptabel einseitig und schlecht recherchierte mediale Berichterstattung, die das ohnehin vorhandene Feindbild Israel in den Köpfen zu vieler Menschen noch stärker verfestigt.

So korrespondiert in der jüdischen Gemeinschaft die allgemeine Sorge angesichts der globalen und hiesigen Sicherheitslage mit der konkreten Bedrohung durch Antisemitismus. Diese ist nicht nur verbunden mit einer konkreten körperlichen Gefahr. Sie besteht insbesondere in einem Gefühl des Unwohlseins und des Unbehagens angesichts der wahrnehmbaren Abneigung gegenüber Juden, die immer mehr Menschen auch in Deutschland immer offener und ungenierter zum Ausdruck bringen. Sie bedeutet eine Einbuße an Geborgenheit und an Heimatgefühl, das wir uns speziell in Deutschland so mühevoll erarbeitet haben.

zukunft Ihrer Stärken sollte sich die jüdische Gemeinde trotz allem bewusst sein, auch wenn die bei vielen, zu vielen Mitbürgern zutage tretende Gleichgültigkeit und Geschichtsvergessenheit eine fatale ideologische Allianz heraufbeschwören, von der sich auch Teile einer neuen Politikergeneration vereinnahmen lassen, die sich ihrer Verantwortung für die Zukunft jüdischen Lebens in Deutschland nicht oder nicht mehr bewusst ist. Eine Renaissance der rechtsextremistischen Kräfte, die Begriffe wie »völkisch« allen Ernstes positiv besetzen wollen und mit wachsendem Erfolg um die Köpfe und Herzen der Menschen buhlen, ist die Folge. Sie können mit demokratischen Errungenschaften und Visionen wetteifern, die vielen Menschen nicht mehr attraktiv und Erfolg versprechend erscheinen. Das ist erschreckend.

Wir erleben eine unverhoffte Kumulation aus obsessivem Israel-Bashing, einem neuen alten Judenhass, einem braunen Déjà-vu und schließlich der Flüchtlingssituation, die unser ganzes Land in Atem hält, und von der wir noch nicht wissen, was sie für uns als jüdische Gemeinschaft bedeuten wird. Fest steht allerdings, dass eine scheiternde Integration dieser Menschen zu einem weiteren Anwachsen des muslimischen Antisemitismus in Deutschland führen und auch die Terrorgefahr in unserem Land erhöhen wird.

Und dennoch sind wir als jüdische Menschen in der Pflicht, uns für Flüchtlinge, die ein Recht auf Hilfe haben, einzusetzen und starkzumachen. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind ebenso wie jede Form von Antisemitismus unbedingt zu bekämpfen und dürfen von uns niemals unwidersprochen bleiben. Zugleich die wirksame Verteidigung unserer Freiheit und Demokratie, unseres modernen Lebensstils und unserer Werte anzumahnen, ist für uns, für mich persönlich, verpflichtend.

Mit der gerade erfolgten Eröffnung des Jüdischen Gymnasiums hat die Israelitische Kultusgemeinde einmal mehr demonstriert, dass eine sichtbare und selbstbewusste Präsenz als jüdische Gemeinschaft in München, Bayern und der Bundesrepublik auf Dauer angelegt ist. Wir sind da, wir sind geblieben und wir bleiben. Wir sind eine starke Gemeinschaft mit herausragenden Persönlichkeiten und wertvollen Kompetenzen in allen Bereichen, mit denen wir einen wertvollen und unverzichtbaren Beitrag zur Gestaltung der Gegenwart und Zukunft in Deutschland leisten.

selbstbewusst Wir werden nicht zulassen, dass diese Tatsache in Vergessenheit gerät, ebenso wenig wie der Holocaust als Teil der deutschen Geschichte relativiert oder vernachlässigt werden darf. Und schließlich ist alles daranzusetzen, dass unsere Interessen nicht hinter jene von anderen Minderheiten zurücktreten.

Gerade in diesen Zeiten ist es wichtig, mit Hoffnung und Zuversicht in das kommende Jahr zu blicken. Wir sind eine große, starke und selbstbewusste Gemeinde. Wir werden wieder mit der enormen Kraft, die wir aus unserem Zusammenhalt, unseren Traditionen, unserer Kultur und Religion ziehen, als jüdische Gemeinde auftreten und unsere großen Projekte vorantreiben. Unser Jüdisches Gymnasium, das gerade seine Arbeit aufgenommen hat, ist nur ein Beispiel von vielen.

Gemeinsam haben wir bereits vieles erreicht, gemeinsam werden wir auch in Zukunft das jüdische Leben in München, Bayern, Deutschland und Europa verteidigen, stärken und weiterentwickeln. In diesem Sinn wünsche ich allen ein gesundes, süßes und gebentschtes neues Jahr.

Möge 5777 nur Gutes bringen und Gottes Segen ein steter Begleiter sein.

Mitzvah Day

Im Handumdrehen

Schon vor dem eigentlichen Tag der guten Taten halfen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentralrats bei der Berliner Tafel, Lebensmittel zu prüfen

von Sören Kittel  20.11.2025

Misrachim

»Selbst vielen Juden ist unsere Kultur unbekannt«

Ihre Familien kommen aus Marokko, Libyen, Irak und Aserbaidschan. Ein Gespräch über vergessene Vertreibungsgeschichten, sefardische Synagogen und orientalische Gewürze

von Joshua Schultheis, Mascha Malburg  20.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Berlin

450 Einsatzkräfte schützen jüdische Einrichtungen

Zudem seien im laufenden Jahr zwei Millionen Euro in bauliche Sicherheitsleistungen für jüdische Einrichtungen investiert worden sowie 1,5 Millionen Euro in mobile Sicherheitsleistungen für jüdische Gemeindeeinrichtungen

 19.11.2025

Ehrung

»Gräben aufgerissen«

Der Preis Augsburger Friedensfest ehrt Personen, die sich um ein friedvolles Miteinander der Religionen bemühen. Jetzt ging er an Josef Schuster vom Zentralrat der Juden. Er äußert sich bei der Verleihung kritisch

von Christopher Beschnitt  18.11.2025

Leipzig

Henriette Goldschmidt: Feministin der ersten Stunde

Sie wollte Frauen durch Bildung und Erwerbstätigkeit mehr Unabhängigkeit ermöglichen: Henriette Goldschmidt eröffnete in Leipzig die erste »Hochschule für Frauen«. Vor 200 Jahren wurde sie geboren

von Katharina Rögner  17.11.2025

Judenhass

Charlotte Knobloch warnt: Zukunft jüdischen Lebens ungewiss

Die Hintergründe

 16.11.2025

Porträt der Woche

Bühne und Heimweh

Emiliia Kivelevich inszeniert Theater zwischen Kunst, Glaube und Migration

von Christine Schmitt  16.11.2025

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025