Vortrag

Gefährliche Nachbarschaft

Edgar Feuchtwanger im Alter von elf Jahren Foto: Duncker & Humblot

Vortrag

Gefährliche Nachbarschaft

Der englische Historiker Edgar Feuchtwanger berichtet über seine Kindheit in München

von Ellen Presser  26.06.2012 18:17 Uhr

Wenn einer aus einer alteingesessenen jüdischen Familie in München stammt, Hitlers Nachbar war und Historiker geworden ist, dann hat er etwas zu erzählen. Zur Vorstellung seiner Memoiren Erlebnis und Geschichte. Als Kind in Hitlers Deutschland (Duncker & Humblot, Berlin 2010) kam Edgar Feuchtwanger, der Neffe des Schriftstellers Lion Feuchtwanger (1884–1958), kürzlich ins Münchner Stadtarchiv.

Für Michael Stephan, den Leiter des Hauses, und das Publikum in der Rotunde wurde es eine Sternstunde. Münchens früherer Oberbügermeister Hans-Jochen Vogel war um ein persönliches Wort gebeten worden. Er kennt den Bestseller Erfolg von Lion Feuchtwanger über die heraufziehende Katastrophe des Nationalsozialismus. Vogel ist dankbar, dass der Schriftsteller »auf die eine oder andere Weise Frieden mit München« schloss, auch wenn er den 1957 ihm zugesprochenen Literaturpreis nicht mehr in Empfang nehmen konnte.

Vogel erinnerte sich an den Besuch der Schriftstellerwitwe Marta Feuchtwanger Ende der 60er-Jahre und an seinen Gegenbesuch bei ihr in Los Angeles. Die weitverzweigte Familie sei bis zum Aufstieg der Nationalsozialisten mit München eng verbunden gewesen. Mit den Erinnerungen von Edgar Feuchtwanger sei »wieder ein Stück München in Bayerns Hauptstadt zurückgekehrt«.

Der 88-jährige Zeitzeuge Feuchtwanger stellte im Gespräch mit dem Historiker Andreas Heusler sein hervorragendes Gedächtnis und seine Erzählgabe, gepaart mit liebenswürdigem Humor und britischem Understatement, unter Beweis.

Memoiren Warum er sein Buch geschrieben habe? Der Impuls sei von außen gekommen. Er hätte sich nicht vorstellen können, dass seine Memoiren interessant wären. Als Dozent für englische Geschichte an der University of Southhampton hatten ihn seine Studenten nach Hitler befragt. Er habe sich als »Berührungsreliquie« gefühlt, weil er diesem unfreiwillig so nahe gekommen war.

Seit seinem Geburtsjahr 1924 wohnte Edgar Feuchtwanger mit seinen Eltern in der Grillparzerstraße 38. Fünf Jahre später war es mit der Ruhe vorbei. Der neue Nachbar schräg gegenüber in der Prinzregentenstraße 16 hatte zwar seinen Namen nicht am Klingelschild. Doch Hitlers Gegenwart war dennoch spürbar. So wurde den Feuchtwangers regelmäßig die Milch nicht ausgeliefert, weil sie für die SS-Leibwächter gebraucht wurde. Einmal ist Hitler dem jungen Edgar im Gedränge vor dem Haus sogar auf den Fuß getreten. Später durften Zivilisten nur noch den gegenüberliegenden Gehsteig benutzen.

Der Vater Ludwig Feuchtwanger, der jüngere Bruder des Schriftstellers, war von 1914 bis 1933 Leiter des Verlags Duncker & Humblot und betreute Autoren wie Carl Schmitt, der ihn nach 1933 verleugnete, als seien sie nie befreundet gewesen. Aus dem Verlag entlassen, begann der Vater Vollzeit für die Israelitische Kultusgemeinde und jüdische Medien zu arbeiten.

Das Leben als Bürger zweiter Klasse in einem »orthodoxen Ghetto« hätte er hingenommen, die KZ-Haft nach der Pogromnacht änderte jedoch alles. Im Februar 1939 gelang es, den Sohn Edgar nach England zu schicken. Die Eltern folgten bald. »Natürlich war es ein Bruch, aber auch eine Art Wiedergeburt. Ich wusste, dass ich etwas ganz Schlimmem entronnen war.«

Am Abend der Buchvorstellung Feuchtwangers blieb natürlich auch die Frage nach dem berühmten Onkel nicht aus, der am Tag der Bücherverbrennung nicht in Deutschland war. Gut gekannt hatte Edgar Feuchtwanger ihn nicht, war dieser doch schon 1925 nach Berlin gezogen. Staunen löste seine Bemerkung aus, Lion Feuchtwanger sei »kein wirklich politischer Mensch« gewesen. Politisch informiert und hellsichtig in Bezug auf Hitler, aber in Stalin habe er sich sehr getäuscht. »Es ist ein großer Unterschied«, sagte Edgar Feuchtwanger, »Kommentator zu sein oder politisch zu handeln.«

Hamburg

»Strong. Jewish. Here.«

Der Jugendkongress 2026 der ZWST setzt ein bewusstes Zeichen des Selbstbewusstseins und der Präsenz

von Imanuel Marcus  18.12.2025

Umbenennung

Medien: Berlin erhält Yad-Vashem-Straße

Ein neues Holocaust-Gedenken mitten im Berliner Regierungsviertel - Ein Teilabschnitt der Dorotheenstraße soll künftig den Namen der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem tragen. Die zweite Umbenennung in kurzer Zeit

 18.12.2025

Chanukka

Berliner Chanukka-Licht entzündet: Selbstkritik und ein Versprechen

Überschattet vom Terroranschlag in Sydney wurde in Berlin am Mittwoch mit viel Politprominenz das vierte Licht an Europas größtem Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor entzündet

von Markus Geiler  18.12.2025

Sicherheit

»Keine jüdische Veranstaltung soll je abgesagt werden müssen«

Nach dem Massaker von Sydney wendet sich Zentralratspräsident Josef Schuster in einer persönlichen Botschaft an alle Juden in Deutschland: Lasst euch die Freude an Chanukka nicht nehmen!

von Josef Schuster  17.12.2025

Deutschland

»Das Licht wird nicht erlöschen«

Trotz des Terroranschlags in Sydney lassen es sich viele Juden in Deutschland nicht nehmen, öffentlich Chanukka zu feiern. Ein Stimmungsbild

von Christine Schmitt, Helmut Kuhn, Nicole Dreyfus, Ulrike Gräfin Hoensbroech  17.12.2025

Interview

Holocaust-Überlebender Weintraub wird 100: »Ich habe etwas bewirkt«

Am 1. Januar wird Leon Weintraub 100 Jahre alt. Er ist einer der letzten Überlebenden des Holocaust. Nun warnt er vor Rechtsextremismus und der AfD sowie den Folgen KI-generierter Fotos aus Konzentrationslagern

von Norbert Demuth  16.12.2025

Magdeburg

Neuer Staatsvertrag für jüdische Gemeinden in Sachsen-Anhalt

Das jüdische Leben in Sachsen-Anhalt soll bewahrt und gefördert werden. Dazu haben das Land und die jüdischen Gemeinden den Staatsvertrag von 2006 neu gefasst

 16.12.2025

Bundestag

Ramelow: Anschlag in Sydney war Mord »an uns allen«

Erstmals gab es in diesem Jahr eine Chanukka-Feier im Bundestag. Sie stand unter dem Eindruck des Anschlags auf eine Feier zum gleichen Anlass am Sonntag in Sydney

 16.12.2025

Attentat in Sydney

»Was würden die Opfer nun von uns erwarten?«

Rabbiner Yehuda Teichtal hat bei dem Attentat in Sydney einen Freund verloren und wenige Stunden später in Berlin die Chanukkia entzündet. Ein Gespräch über tiefen Schmerz und den Sieg des Lichts über die Dunkelheit

von Mascha Malburg  16.12.2025