UNESCO

Erfurt hofft auf die Strahlkraft seines jüdischen Erbes

Das Steinerne Haus in Erfurt Foto: Stadtverwaltung Erfurt

UNESCO

Erfurt hofft auf die Strahlkraft seines jüdischen Erbes

Die Stadt hat gute Chancen, auf die Welterbe-Liste zu kommen

von Matthias Thüsing  15.09.2023 11:46 Uhr

Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) hat für Sonntag und Montag alle Termine in seinem Kalender geblockt.

Irgendwann in dieser Zeit wird im »Al-Faisaliah«-Hotel in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad die Bewerbung Erfurts um den Eintrag in die Liste des Weltkulturerbes verhandelt. Bausewein hat eine städtische Delegation eigens dafür in die saudische Wüste geschickt.

Livestream Er selbst will sich die Entscheidung mit möglichst vielen Erfurtern per Livestream im Ratssaal anschauen. »Ich hoffe, wir schaffen es«, sagt das Stadtoberhaupt. »Der Welterbetitel würde Erfurt zusätzlich adeln und uns so viel bedeuten.«

Konkreter will sich der Kommunalpolitiker nicht zu seinen Erwartungen äußern. Seine städtische Beauftragte für das Erfurter Unesco-Weltkulturerbe, Maria Stürzebecher, hat die Devise ausgegeben, die Entscheider im fernen Riad nicht mit allzu viel Siegesgewissheit unter Druck zu setzen und möglicherweise zu verärgern, heißt es aus dem Rathaus. Dabei würde schon ein Blick auf die geübte Praxis der bisherigen Entscheidungen Anlass zu durchaus konkreteren Hoffnungen geben. Wessen Antrag unter dem Tagesordnungspunkt »Nominierungen für die Welterbeliste« aufgerufen wird, hat es so gut wie geschafft.

»Das Welterbe-Komitee folgt den Empfehlungen seiner Beratungsorganisationen in der Regel, wenn auch nicht immer«, teilte die Deutsche Unesco-Kommission dem Evangelischen Pressedienst (epd) auf Anfrage mit. Schon im Vorfeld bemühe sich das Gremium um Konsens. Daher gingen den Entscheidungen, ob einer Aufnahme zugestimmt werde oder nicht, intensive Diskussionen voraus.

empfehlung Liege zur entscheidenden Sitzung des Komitees »eine eindeutige Empfehlung zur Aufnahme einer Stätte seitens der Beratungsorganisationen vor, folgt das Komitee dem in aller Regel«.

Genau das ist vor sechs Wochen geschehen: Icomos, der internationale Rat für Denkmalpflege, hat für das jüdisch-mittelalterliche Erbe in Erfurt seine Empfehlung ausgesprochen.

Volle 14 Jahre haben Maria Stürzebecher und ihr Team an der Bewerbung um die Aufnahme der Alten Synagoge, der Mikwe und des sogenannten Steinernen Hauses ins Weltkulturerbe gearbeitet . Alle drei Bauwerke sind in ihrer Art einzigartig für die mitteleuropäische Geschichte. So sticht etwa die Alte Synagoge aus dem 11. Jahrhundert als eine der größten und am besten erhaltenen Synagogen dieser Zeit heraus. Vergleichbare Bauten sind entweder zerstört und wieder aufgebaut oder nur in deutlich geringerem Umfang noch original erhalten.

Solitär Auch die 2010 ausgegrabene Mikwe sei in ihrer Art einzigartig, argumentieren die Bewerber: Das jüdische Ritualbad aus dem 13. Jahrhundert verfüge über eine Bauform, für die es bislang keine Parallele gebe. Die Qualität der Ausführung sei außerordentlich.

Und auch ein nahe gelegenes Wohnhaus, das einem mittelalterlichen Eigentümer zugeordnet werden könne, verfüge über außergewöhnlich viel Substanz, die noch aus der Erbauungszeit von 1250 stamme. Bei dem »Steinernen Haus« handele es sich um ein herausragendes Zeugnis spätmittelalterlicher profaner Baukultur, das die beiden Ritualbauten in der Unesco-Bewerbung ergänze.

Miteinander Der 1998 in der Altstadt ausgegrabene Erfurter Schatz, die noch erhaltenen hebräischen Handschriften und zahlreiche geborgene Grabsteine ergänzten diese Bauzeugnisse. Alles zusammen bilde einen Beleg für das Miteinander von Christen und Juden während des Mittelalters. Ein Miteinander, das übrigens - darauf weist der Chef der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, Reinhard Schramm, hin - bis heute andauere.

Auch er hofft auf einen Erfurter Erfolg: »Ich weiß um die harte Arbeit aller Beteiligten« sagt Schramm, der dies mit der Hoffnung verbindet, dass nicht nur das jüdische Erbe, sondern auch das jüdische Leben in Thüringen eine große Öffentlichkeit erfährt.

Mitzvah Day

Im Handumdrehen

Schon vor dem eigentlichen Tag der guten Taten halfen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentralrats bei der Berliner Tafel, Lebensmittel zu prüfen

von Sören Kittel  20.11.2025

Misrachim

»Selbst vielen Juden ist unsere Kultur unbekannt«

Ihre Familien kommen aus Marokko, Libyen, Irak und Aserbaidschan. Ein Gespräch über vergessene Vertreibungsgeschichten, sefardische Synagogen und orientalische Gewürze

von Joshua Schultheis, Mascha Malburg  20.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Berlin

450 Einsatzkräfte schützen jüdische Einrichtungen

Zudem seien im laufenden Jahr zwei Millionen Euro in bauliche Sicherheitsleistungen für jüdische Einrichtungen investiert worden sowie 1,5 Millionen Euro in mobile Sicherheitsleistungen für jüdische Gemeindeeinrichtungen

 19.11.2025

Ehrung

»Gräben aufgerissen«

Der Preis Augsburger Friedensfest ehrt Personen, die sich um ein friedvolles Miteinander der Religionen bemühen. Jetzt ging er an Josef Schuster vom Zentralrat der Juden. Er äußert sich bei der Verleihung kritisch

von Christopher Beschnitt  18.11.2025

Leipzig

Henriette Goldschmidt: Feministin der ersten Stunde

Sie wollte Frauen durch Bildung und Erwerbstätigkeit mehr Unabhängigkeit ermöglichen: Henriette Goldschmidt eröffnete in Leipzig die erste »Hochschule für Frauen«. Vor 200 Jahren wurde sie geboren

von Katharina Rögner  17.11.2025

Judenhass

Charlotte Knobloch warnt: Zukunft jüdischen Lebens ungewiss

Die Hintergründe

 16.11.2025

Porträt der Woche

Bühne und Heimweh

Emiliia Kivelevich inszeniert Theater zwischen Kunst, Glaube und Migration

von Christine Schmitt  16.11.2025

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025