Bildung

Eine Frage der Motivation

Nicht immer geht es im Religionsunterricht so geordnet zu. Foto: imago

Endlich Ferien. Sechs Wochen Pause vom Unterricht, Zeit, um in der Eisdiele, am Badesee oder weit weg im Urlaub am Meer das Leben zu genießen. In zwei Wochen werden auch die letzten Bundesländer ihre Schüler in die großen Ferien entlassen. Doch der Abschluss eines Schuljahres bedeutet auch immer, Bilanz zu ziehen. Und die fiel – zumindest im Nachbarland Schweiz – nicht so gut aus. So beschwerte sich David Polnauer, Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Bern, dass es mit Disziplin und Motivation der Jugend im Religionsunterricht nicht zum Besten steht. Immer häufiger müsse er seine Schüler ermahnen, regelmäßig am Unterricht teilzunehmen, pünktlich zu erscheinen und nicht zu früh zu gehen.

Doch Polnauer spricht von der Schweiz, hier in Deutschland sind die Schüler viel motivierter, könnte man meinen, und Polnauers Klage als typische Klage eines Vertreters der älteren Generation abtun. Und dass die Älteren immer darüber klagen, dass die Jungen sich zu leicht ablenken lassen, rasch gelangweilt sind und nicht den nötigen Eifer und Respekt mitbringen, ist nun auch nicht wirklich neu.

Begeisterung Einige Pädagogen machen indes auch in Deutschland täglich ähnliche Erfahrungen wie ihr Kollege in der Schweiz. Jonathan Grünfeld, Lehrer an der Düsseldorfer Yitzhak-Rabin-Grundschule, ist sich sicher, dass die Motivation der Kinder mit den pädagogischen Fähigkeiten des Lehrers steigt und fällt. »Wenn ein Lehrer seine Schüler nicht begeistern kann, schalten sie nun einmal früher oder später ab.« Deshalb komme es darauf an, sie aktiv in den Unterricht einzubeziehen. »Ist zum Beispiel das Thema Pessach an der Reihe, kann man mit Fingerpuppen oder anderen Theaterelementen arbeiten, die den Auszug aus Ägypten anschaulich und erlebbar machen.«

Ähnlich sieht es der Dortmunder Gemeinderabbiner Avichai Apel. »Erfolgreicher Unterricht hängt von der richtigen Didaktik ab. Wenn man Schüler altersgerecht unterrichtet, entwickeln sie von ganz allein Interesse«, erklärt er. »Wenn man sie langweilt oder nur behauptet, dass etwas schön ist, ohne die Schüler es selbst fühlen zu lassen, wird es schwierig.«

Auch Esther Walter (Name geändert) hat die Erfahrung gemacht, dass der Lernerfolg der Schüler vor allem vom »richtigen« Lehrer abhängt. Nachdem ihr Sohn sich nach einem Lehrerwechsel im Religionsunterricht nicht mehr wohlfühlte, hat sie schlicht und einfach einen Rabbinatsstudenten engagiert, der den Zwölfjährigen auf seine Barmizwa vorbereitete. Im Nachhinein sei sie froh darüber, sagt Walter. »Meinem Sohn hat der Privatunterricht viel gebracht und eine Menge zu seiner jüdischen Identität beigetragen. Ich kann das nur jedem empfehlen – auch wenn ich weiß, dass sich das nicht jeder
leisten kann.«

Doch Walter weiß auch, dass der Grad zwischen Förderung und »Überforderung« eines Kindes schmal sein kann. Ihr Sohn nimmt einmal pro Woche Gitarrenunterricht in einer Musikschule, ist Mitglied in einem Fußballverein und möchte in seiner Freizeit überdies auch regelmäßig etwas mit Freunden unternehmen.

kleine Klassen Ruth Röcher lässt die Disziplindebatte kalt, sie kann keine nennenswerten Probleme mit der Motivation ihrer Schüler feststellen. Seit rund zwei Jahrzehnten unterrichtet sie in Chemnitz, Leipzig und Dresden junge Gemeindemitglieder in jüdischer Religion. »In meinem Unterricht von maximal zehn Schülern fällt es allerdings auch leicht, auf jeden individuell einzugehen.« Im Laufe der Jahre sei ihr aber etwas ganz anderes aufgefallen: »Früher wollten die jungen Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion wissen, was es bedeutet, Jude zu sein.« Heutzutage seien es hingegen eher die Eltern, die besonderen Wert darauf legen, dass ihre Kinder in ihrer jüdischen Identität gestärkt werden.

Dass manchmal das Engagement der Eltern für die Motivation der Kinder, am Religionsunterricht teilzunehmen, entscheidend ist, zeigt ein anderes Beispiel. Der Jazzmusiker Max Doehlemann hatte für die Barmizwa-Gruppe seines Sohnes Leonard eine Facebook-Gruppe gegründet. »Vorher gab es immer wieder organisatorische Probleme, mal kamen die Schüler, mal kamen sie nicht. Der Unterricht fiel deswegen manchmal aus.« Seitdem die Schüler online an ihre Termine erinnert werden, steigt ihr Engagement.

Sein Sohn jedenfalls hat den Unterricht bei Rabbiner Tovia Ben-Chorin und dem Rabbinatsstudenten Lior Bar-Ami gerne besucht. Der 13-jährige Schüler der Jüdischen Oberschule Berlin ist überzeugt: »Es verlangt natürlich ein gewisses Maß an Hingabe, um am Religionsunterricht teilzunehmen. Man muss sich darauf einlassen.« Doch er muss zugeben, dass ihm dieser Einsatz nicht immer perfekt gelingt. »Meistens schon. Nur in den letzten Wochen war es schwer, es nicht zu kurz kommen zu lassen. Schließlich war Fußball-Europameisterschaft.«

Tradition Die Religiosität der Eltern spielt auch bei Familie Jonas aus Baden-Württemberg eine wichtige Rolle für das Engagement der drei Kinder beim Unterricht. Als Minderheit unter den russisch sprechenden Schülern hatten sie nach und nach die Lernfreude in der Kindergruppe der Gemeinde verloren. »Eine Zeitlang habe ich sie noch genötigt, hinzugehen«, erzählt Alina Jonas, »es aber dann irgendwann gelassen, weil ich selbst auch nur mäßig religiös bin.

»Meinen jüngsten Sohn werde ich demnächst vielleicht mal wieder in die Gemeinde bringen, um zu gucken, ob er sich dort mittlerweile wohler fühlt«, sagt Jonas. »Für meinen ältesten Sohn hingegen ist dieser Zug sicher schon abgefahren.« Zumal ihr Sohn eine nichtjüdische Schule besuche und der Religionsunterricht einen zusätzlichen Zeitaufwand bedeutet.

Abgesehen davon ist die Mutter überzeugt, dass ihre Kinder daheim genug Jüdischkeit mitkriegen. Was sie später daraus machen, bleibe ohnehin ihnen selbst überlassen. Jonas’ Fazit: »Schade, dass es nicht geklappt hat mit der formalen religiösen Erziehung – aber als jiddische Mamme kann man es so oder so ohnehin nur falsch machen«, sagt sie schmunzelnd.

Jom Haschoa

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