Kiel

Ehrung für einen Europäer

Bewegender Moment: Rabbiner Henry G. Brandt (l.) gratuliert dem Träger der Buber-Rosenzweig-Medaille 2014, György Konrád, zur Auszeichnung. Foto: imago

Sichtlich bewegt schien György Konrád, als er am Sonntag im Kieler Opernhaus die Buber-Rosenzweig-Medaille aus den Händen von Rabbiner Henry G. Brandt und Eva Schulz-Jander, der katholischen Präsidentin des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, entgegennahm. Mit dem Festakt in Kiel wurde auch die bundesweite Woche der Brüderlichkeit eröffnet.

Der Koordinierungsrat würdigte Konráds entschlossenes Engagement, für eine freie Gesellschaft und wider den Ungeist von Rassismus und Antisemitismus insbesondere in seinem Heimatland Ungarn vorzugehen. Konráds Werben für ein Europa, dessen Seele sich den Werten von Freiheit und Frieden, Vielfalt und Toleranz verdankt, steht im Zentrum seiner Romane und Erzählungen wie auch seiner Essays und öffentlichen Reden. Zuvor hatte Konrád bereits den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (1991) erhalten, wurde mit dem Internationalen Karlspreis zu Aachen (2001) geehrt und erhielt das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik (2003).

ERbe
Als europäischer Jude knüpft er dabei nicht zuletzt an das dialogische Erbe Martin Bubers und Franz Rosenzweigs an. Damit verkörpere Konrád auf vorbildliche Weise, was die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit in ihrem Jahresthema für 2014 zum Ausdruck bringen wollten: »Freiheit – Vielfalt – Europa«.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig lobte György Konrád als großen Mahner, »der sich entschlossen für eine tolerante Gesellschaft einsetzt«. Mit der undotierten Buber-Rosenzweig-Medaille werden seit 1968 Personen oder Gruppen geehrt, die sich für die Verständigung zwischen Christen und Juden intensiv einsetzen, unter anderem Yehudi Menuhin (1989), Joschka Fischer (2003) und im vergangenen Jahr die Autorin und Übersetzerin Mirjam Pressler. Die Auszeichnung ist nach den jüdischen Philosophen Martin Buber (1878–1965) und Franz Rosenzweig (1886–1929) benannt.

Ungarn Der Antisemitismus in Ungarn und die aktuelle politische Revolution in der Ukraine sowie die Krim-Krise standen im Mittelpunkt der Gespräche, die Moderatorin Petra Gerster beim Festakt führte. Besorgt merkte Albig an, dass der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Budapest befürchte, Ungarn werde kein Land bleiben, in dem Juden leben könnten. Er warnte vor Fremdenhass: »Es zeigt sich wieder das Ungeheuer, das Faschismus heißt, das Ungeheuer, das Antisemitismus heißt.«

»György Konrád hat zwei Diktaturen durchlebt und durchlitten, und er weiß, wie gefährdet die Werte Europas sind«, hatte Schulz-Jander schon vor der Feier betont. Er sei ein wahrer Europäer, der sich für Freiheit, Toleranz und Bürgerrechte einsetze.

Versteck Konrád wurde 1933 in der Universitätsstadt Debrecen geboren. Im Mai 1944 wurden seine Eltern deportiert. Sie wurden nicht ermordet, wie in Peter Schmidts Film über Konrád dargestellt wird, sondern überlebten die Zwangsarbeit. Der Film wurde während der Feierstunde gezeigt, und Laudator Hellmuth Karasek korrigierte den Fehler.

György Konrád, 1944 elf Jahre alt, entging der Deportation nur knapp und versteckte sich mit seinen Geschwistern in einer Budapester Wohnung. Der Schweizer Botschaftsangehörige Carl Lutz beschützte die Kinder. Später studierte Konrád in Budapest Literaturwissenschaft, Soziologie und Psychologie. Der Ungarn-Aufstand 1956 bereitete seinem Studium ein jähes Ende. »Die Russen schossen mit ihren Panzern in jedes Fenster«, erinnerte sich Konrád. Der Eiserne Vorhang fiel. Konrád saß dahinter. Doch zu fliehen, kam dem Ungarn nicht in den Sinn. »Ich glaube an die Vision, dass auch Ungarn nur in einem gemeinsamen Europa eine Zukunft hat«, sagte der 80-Jährige und ergänzte: »Doch Ungarn tut sich bis heute schwer mit der Demokratie.« Er nennt daher sein Land eine Autokratie.

RE-Sowjetisierung Zum schwelenden Antisemitismus seiner Heimat sagte Konrád im Gespräch mit Petra Gerster: »Viktor Orbán mag die autoritäre Führung, doch eine Re-Sowjetisierung wäre fürchterlich. Autokratie ist derzeit in Mode, und auch Ungarns Premier ist nicht frei davon.« Um dem Antisemitismus und jeglicher Art von Fremdenhass vorzubeugen, müsse jeder Einzelne »die Freiheit verbreiten«.

Der Schriftsteller nahm auch zur Krise in der Ukraine und auf der Krim Stellung: »Ich denke nicht, dass die Russen unsere Feinde sind, doch der russische Präsident sollte auch kein Feind seines eigenes Volkes sein.« Zudem befürwortet der ehemalige Präsident der Berliner Akademie der Künste und des internationalen PEN, dass der politische Westen Wladimir Putin mit Sanktionen drohen solle, um den russischen Präsidenten zum Einlenken zu bewegen. Konráds scharfer Verstand und sein feiner Humor begeisterten die 800 Gäste in der voll besetzten Oper, die sich ihm zu Ehren erhoben und applaudierten.

Die Laudatio hielt der Journalist, Buchautor und Literaturkritiker Hellmuth Karasek (80). Auch er beklagte einen »latenten Antisemitismus« in Ungarn. Vor diesem Hintergrund seien Menschen, die wie Konrád ihre Stimme erheben, umso wichtiger.

Versöhnung »Wir haben zur gleichen Zeit die Sonnenfinsternis beobachtet, György Konrád in Budapest, ich in Stuttgart, und wir deuteten es als gutes Zeichen für Europa«, fuhr Karasek fort. »Sie werden noch sehr gebraucht, vor allem in Ungarn«, sagte Karasek zu Konrád. »Er als Überlebender der Schoa und der Aufstände muss den Toten eine Stimme geben. Er musste überleben, um Zeugnis abzulegen und wieder Menschlichkeit unter die Menschen zu bringen«, betonte Karasek.

»Wir müssen den Samen von Versöhnung und Verständigung zwischen Juden und Christen immer weiter säen«, hatte die Moderatorin Petra Gerster zum Auftakt der Veranstaltung gefordert. Es gebe auch Jahrzehnte nach der Schoa immer noch keine Normalität.

Ministerpräsident Albig freute sich, dass die Woche der Brüderlichkeit in seinem Bundesland eröffnet wurde. »Jüdisches Leben ist ein Teil unseres kulturellen Erbes«, sagte Albig. Seit den 90er-Jahren seien viele jüdische Familien aus den Ländern der GUS auch nach Schleswig-Holstein eingewandert. Es gebe jetzt fast ebenso viele Juden im Land wie vor der Schoa. »Das ist ein Geschenk, doch dieses Geschenk müssen wir auch pflegen«, sagte Albig.

»Die Christen haben Europa geprägt, allerdings nicht immer zum Besten«, räumte Friedhelm Pieper ein, evangelischer Präsident des Deutschen Koordinierungsrats, und wies damit auf das Motto der Woche der Brüderlichkeit mit einer Vielzahl von Veranstaltungen bis Ende Juni hin: »Freiheit – Vielfalt – Europa«.

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