Regensburg

Braune Domspatzen

Die Domspatzen bei einer NS-Veranstaltung Foto: PR

Regensburg

Braune Domspatzen

Eine Dokumentation arbeitet die NS-Verstrickung des berühmten Chores auf

von Harald Raab  09.10.2017 11:55 Uhr

Kultur kommt nach dem Brot. Bertolt Brecht hat diese Tatsache drastisch auf den Punkt gebracht: »Erst kommt das Fressen und dann die Moral.« Dass diese illusionslose Beurteilung auch für eine Institution gilt, die sich als Hüterin der Moral versteht, die katholische Kirche, das ist besonders irritierend – auch wenn sich dies in Zeiten eines brutalen Unrechtsregimes zutrug.

Die Regensburger Domspatzen waren ein williges Werkzeug für die Nazi-Kulturfunktionäre: Zu diesem Ergebnis kommt eine wissenschaftliche Studie am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Regensburg. Dort hat der Historiker Roman Smolorz untersucht, welche Rolle der berühmte Knabenchor zwischen 1933 und 1945 gespielt hat und wie er sich für NS-Propaganda benutzen ließ.

Forschung Unter dem Titel Die Regensburger Domspatzen im Nationalsozialismus – Singen zwischen Katholischer Kirche und NS-Staat ist die Forschungsarbeit jetzt als Buch im Regensburger Pustet-Verlag erschienen. Erst vor wenigen Monaten war im Auftrag des Bistums Regensburg der Abschlussbericht über die Fälle jahrelangen sexuellen Missbrauchs und die Prügelpraxis in dem Knabenchor publik gemacht worden. Jetzt ein weiteres Stück unrühmlicher Vergangenheit, das bislang nicht aufgearbeitet wurde. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg tourten die Domspatzen, finanziert vom Propagandaministerium, durch Europa, einmal sogar bis Südamerika, um zu demonstrieren, welch hohen Stellenwert Kunst im Dritten Reich einnehme.

Smolorz gelang der Nachweis, in welch hohem Maß die Verantwortlichen aus unterschiedlichen Motiven den Chor dem NS-Staat ausgeliefert haben. Er legte das Beziehungsgeflecht zwischen dem Regensburger Bischof Michael Buchberger, dem Domkapellmeister Theobald Schrems und dem damaligen Vorsitzenden des Vereins der Freunde des Domchors, Martin Miederer, einerseits und Adolf Hitler, seinem Staatsapparat sowie der Nationalsozialistischen Partei andererseits offen.

»Wir sind ein Chor mit einer außergewöhnlichen Tradition. Damit sollte man sorgsam umgehen«, sagt der heutige Vorsitzende der Freunde des Regensburger Domchors, Marcus Weigl. Dazu gehöre auch, »ein dunkles Kapitel der Domspatzen sauber wissenschaftlich untersuchen zu lassen«, erläutert er den mutigen Schritt seines Vereins, die verdrängte NS-Vergangenheit der Domspatzen offenzulegen.

Als der Domchor 1933 eine Konzertreise nach Italien machte, kamen die ersten Zuschüsse aus dem Goebbels-Ministerium. Vollends in den Bann des NS-Staates geriet der Domchor im Oktober 1933. Damals besuchte Hitler zum ersten Mal als Reichskanzler Regensburg. Bischof Buchberger hatte seinen Domchor zur Ausgestaltung des Empfangs im Historischen Reichssaal der Stadt zur Verfügung gestellt. Der Diktator zeigte sich so begeistert, dass er dem Chor jährlich einen Zuschuss in Höhe von 12.000 Reichsmark zur Verfügung stellte. Das Geld kam aus Hitlers Privatvermögen und wurde bis einschließlich 1945 stets pünktlich überwiesen.

Obersalzberg Dafür stattete man dem Führer in seiner Residenz auf dem Obersalzberg zweimal einen Besuch ab, das war in den Jahren 1936 und 1938. Die Chorknaben sangen in Uniformen des Jungvolks der Hitlerjugend vor dem »Führer« und seiner Entourage. Begleitet wurden sie von ihrem Domkapellmeister Schrems. Zweimal traten die Domspatzen beim Nürnberger Reichsparteitag auf.

Gesungen wurde auch bei anderen Parteifeiern, beispielsweise 1935 bei der Beerdigung des Gauleiters der Ostmark, Hans Schemm. Zum Repertoire gehörten bei solchen Anlässen Volks- und Soldatenlieder. Geistliche Lieder schienen weniger zu passen. Auch das Horst-Wessel-Lied war für den Domchor kein Tabu.

Die Möglichkeit, einen berühmten Chor zu leiten, war höchstwahrscheinlich das Motiv des Domkapellmeisters, sich auf die Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten einzulassen. Ein überzeugter Nazi war er dennoch nicht, obwohl er selbst interne Einladungen zu Chorproben mit dem Hitlergruß unterschrieb. Die Nationalsozialisten sollten ihm die Bühne bereiten, die ihm zu Ruhm und Anerkennung verhelfen sollte. Nach Aussagen von Zeitgenossen war Schrems ein »gnadenloser Opportunist«. Der einzige Nationalsozialist aus Überzeugung im Domspatzen-System war der Vorsitzende des Vereins der Freunde des Domchors, Martin Miederer, der bis 1937 im Amt blieb.

Mangelnder Mut Die nach Smolorz zentrale Figur der Indienststellung des Regensburger Domchors für die NS-Kulturpolitik war Bischof Michael Buchberger. Er konnte bestimmen, wo sein Domchor sang. Seine Tragik: Er war zwar ein Gegner der nationalsozialistischen kirchenfeindlichen Ideologie, aber gleichzeitig der größte Bedenkenträger im deutschen Episkopat.

Deutlich kommt die Haltung Buchbergers in einem Schreiben von 1941 an Kardinal Faulhaber zum Ausdruck. Darin warnt er vor einer Kanzelerklärung, die den Nazis Paroli bieten sollte: »Was mich nach wie vor besonders beunruhigt, ist der Zeitpunkt, an welchem das Hirtenwort verkündet werden soll. Das deutsche Volk sieht in Bangen dem derzeitigen furchtbaren Ringen im Osten und in Afrika zu. Es hat das Bewusstsein: Hier wird um eine Entscheidung gerungen, die für das deutsche Volk Sein oder Nichtsein bedeutet.« Der deutsche Raubkrieg gegen Russland war im Verständnis Buchbergers also bloß eine Bollwerk-Maßnahme gegen den Sowjetkommunismus.

Als die Synagoge 1938 niedergebrannt wurde, sah sich der Bischof in seinem Palais – keine 300 Meter entfernt – moralisch nicht verpflichtet, den Juden Regensburgs beizustehen. Die Männer und Jugendlichen der jüdischen Gemeinde mussten danach in einem »Schandzug« durch die Stadt marschieren. Auch beim Abtransport der Regensburger Juden 1942 in die Konzentrationslager schwieg Buchberger.

Aufarbeitung Allzu lang habe man in Regensburg, wie in anderen Städten auch, nicht darüber gesprochen, sagt Ilse Danziger, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Regensburg. »Vor allem auch über die erschreckende Tatsache, dass den bedrängten jüdischen Mitbürgern in den Zeiten der Not nicht beigestanden wurde.« Sie begrüße daher den Schritt der Domspatzen-Verantwortlichen, die Verstrickung des Chores in die NS-Kulturpropaganda offenzulegen. »Da passiert in der letzten Zeit einiges«, kommentiert Danziger die Aufarbeitung.

Von Hilfe durch den Klerus konnte also keine Rede sein. Ganz im Gegenteil, die Einstellung der bayerischen Bischöfe zu den verfolgten Juden wird exemplarisch am Verhalten des Münchner Kardinals Michael Faulhaber. In einem Brief an seinen Breslauer Amtskollegen Adolf Johannes Bertram schrieb er 1941: »Ein Eintreten für Juden allgemein würde bei den Behörden kein Verständnis finden. Auf diese Rasse sei ein Bannfluch gelegt. Schutzbedürftig seien nur Juden, die sich taufen ließen.«

Albert Hartl, SS-Offizier und Ex-Priester aus Bayern, der zeitweilig Leiter des Kirchenreferats im Reichssicherheitshauptamt war, gab nach dem Krieg seiner Verwunderung darüber Ausdruck, wie wenig substanziellen Widerstand die Kirchen gegen das NS-Regime geleistet hätten. Die führenden Kräfte der Domspatzen sind ein beredtes Beispiel dafür.

Roman Smolorz: »Die Regensburger Domspatzen im Nationalsozialismus – Singen zwischen Katholischer Kirche und NS-Staat«. Pustet, Regensburg 2017, 256 S., 22 €

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