EKD-Synode

»Unrühmliches Kapitel der Kirchengeschichte«

Josef Schuster Foto: Christoph Boeckheler

Auch in diesem Jahr gab es – so wie bereits in den Jahren zuvor – viele Berührungspunkte zwischen der evangelischen Kirche und der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. Dazu haben wir eine gemeinsame Tagung in Berlin veranstaltet – eine Premiere. (...)

Unser Vertrauensverhältnis wirkt sich auch positiv auf den Umgang mit dem Reformationsjubiläum aus. Schon früh wurde auf Ihrer Seite das problematische Verhältnis des Reformators zu den Juden thematisiert. Sie haben diese unangenehme Seite Luthers nicht ausgeblendet, obwohl sie unbequeme Fragen aufwirft.

Sicherlich wäre es wünschenswert gewesen, wenn die EKD dieses Thema schon früher aufgegriffen und selbstkritisch reflektiert hätte. Doch manchmal braucht es einen historischen Anlass und genügend Abstand zum Geschehen.

Denn im Zuge der Auseinandersetzung mit den antisemitischen Schriften des späten Luther stellt sich stets die Frage nach dem Verhalten der evangelischen Kirche im Nationalsozialismus. Ebenso wirft die Beschäftigung mit Luther die Frage auf, ob es eine direkte Linie von seiner Judenfeindlichkeit zur Schoa gibt.

Kronzeuge Ich bin weder Theologe noch Kirchenhistoriker und möchte deshalb nur so viel dazu sagen: Sicherlich haben die Nazis die antijüdischen Ressentiments, die die Kirchen über Jahrhunderte geschürt hatten, für ihre Zwecke genutzt. Oder wie Sie es in der Synoden-Erklärung treffend formuliert haben: Luther konnte für den theologischen und kirchlichen, aber auch für den politischen Antisemitismus als Kronzeuge in Anspruch genommen werden.

Auch wenn wir keine direkte Linie ziehen von Luther zur Schoa, ist es für den christlich-jüdischen Dialog wichtig, dass sich die evangelische Kirche klar von den antisemitischen Seiten Luthers distanziert.

Bei unserer gemeinsamen Luther-Tagung im Juni habe ich gesagt, dass ich mir im Rahmen des Reformationsjubiläums ein entsprechendes Zeichen der EKD wünsche. Ich freue mich, dass Sie mit der jetzt vorliegenden Erklärung der Synode dieses Zeichen setzen wollen. Sie sprechen darin von einer »Schuldverstrickung der Reformatoren und der reformatorischen Kirchen« und von einem »schuldhaften Versagen gegenüber dem Judentum« in der Zeit des Nationalsozialismus.

Das sind wirklich deutliche Worte. Ebenso wird in der Erklärung die Verantwortung betont, die die Evangelische Kirche bis heute trägt – die Verantwortung, »jeder Form von Judenfeindschaft und -verachtung zu widerstehen und ihr entgegenzutreten«. In dieser Hinsicht ist die Erklärung ein bedeutsamer Schritt, der unser Vertrauen in die evangelische Kirche weiter stärkt! Ein beherztes Engagement gegen jegliche Form von Antisemitismus und Israelfeindlichkeit heute wäre für mich so etwas wie die praktische Umsetzung dieser Erklärung.

Vage Erklärung Was wir allerdings in dem Text vermissen, ist eine ebenso deutliche Distanzierung von der Judenmission. In diesem Punkt bleibt die Erklärung leider sehr vage. Das Thema ist aber für uns sehr wichtig. Denn über Jahrhunderte hat die kirchliche Judenmission sehr viel Unheil über uns Juden gebracht.

Die Judenmission gehört ohne Frage zu den unrühmlichen Kapiteln in der Kirchengeschichte. Und Martin Luther stand mit seinen Ansichten über das Judentum in dieser kirchlichen Tradition. Ihr zutreffendes Urteil, dass Luther die biblischen Aussagen zu G’ttes Bundestreue gegenüber seinem Volk und zur bleibenden Erwählung Israels verkannt habe, wird nur dann glaubwürdig, wenn Sie jeder Form von Judenmission eine klare Absage erteilen.

Dazu zählen aus unserer Sicht auch moderne Formen der Judenmission in unserer heutigen Zeit. Ich weiß, dass in diesem Punkt in Ihren Reihen zum weitaus größten Teil Konsens besteht. Daher bin ich zuversichtlich, dass Sie bis 2017 hier noch nachbessern werden.

Feiern Manchmal werde ich gefragt, ob es überhaupt angemessen sei, 500 Jahre Reformation zu feiern. Mal abgesehen davon, dass ich als Außenstehender Ihnen nicht zu sagen habe, was Sie feiern sollen und was nicht, möchte ich festhalten: Martin Luther hat die Reformation angestoßen, die letztlich kirchenstiftend gewesen ist.

Damit hat das Jubiläum für die evangelischen Christen weltweit eine große Bedeutung. Und so, wie Sie das Reformationsjubiläum angehen, bietet es eine große Chance, verbindend zu wirken – in der Ökumene und im Verhältnis zu den Juden in Deutschland.

Ich blicke daher in ganz positivem Sinne mit gespannter Erwartung auf das Jubiläumsjahr 2017 und wünsche Ihnen für Ihren Weg bis dahin, für Ihre Vorbereitungen und Beschlussfassungen eine glückliche Hand, viel Erfolg und den Segen unseres gemeinsamen Herrn im Himmel!

Auszüge aus dem Grußwort von Zentralratspräsident Josef Schuster am 8. November bei der EKD-Synode in Bremen (laut Redemanuskript)

Konzil

»Eine besondere Beziehung«

»Nostra Aetate« sollte vor 60 Jahren die Fenster der katholischen Kirche weit öffnen – doch manche blieben im christlich-jüdischen Dialog verschlossen. Ein Rabbiner zieht Bilanz

von David Fox Sandmel  21.11.2025

Toldot

An Prüfungen wachsen

Warum unsere biblischen Ureltern Hungersnöte und andere Herausforderungen erleben mussten

von Vyacheslav Dobrovych  20.11.2025

Kalender

Der unbekannte Feiertag

Oft heißt es, im Monat Cheschwan gebe es keine religiösen Feste – das gilt aber nicht für die äthiopischen Juden. Sie feiern Sigd

von Mascha Malburg  20.11.2025

Talmudisches

Gift

Was unsere Weisen über die verborgenen Gefahren und Heilkräfte in unseren Speisen lehren

von Rabbinerin Yael Deusel  20.11.2025

Jan Feldmann

Eine Revolution namens Schabbat

Wir alle brauchen einen Schabbat. Selbst dann, wenn wir nicht religiös sind

von Jan Feldmann  19.11.2025

Religion

Rabbiner: Macht keinen Unterschied, ob Ministerin Prien jüdisch ist

Karin Priens jüdische Wurzeln sind für Rabbiner Julian-Chaim Soussan nicht entscheidend. Warum er sich wünscht, dass Religionszugehörigkeit in der Politik bedeutungslos werden sollte

von Karin Wollschläger  19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

USA

6500 Rabbiner auf einem Foto

»Kinus Hashluchim«: Das jährliche Treffen der weltweiten Gesandten von Chabad Lubawitsch endete am Sonntag in New York

 17.11.2025

Talmudisches

Torastudium oder weltliche Arbeit?

Was unsere Weisen über das rechte Maß zwischen Geist und Alltag lehren

von Detlef David Kauschke  14.11.2025