Chukkat

Rein wie Wasser

Nicht immer geht es beim Händewaschen um Hygiene – Wasser kann auch eine spirituelle Dimension haben. Foto: Getty Images

Ihr sollt heilig sein, denn ich, der Ewige, euer Gott, bin heilig!» (3. Buch Mose 19,2) gilt uns als stetige Erinnerung unserer Aufgabe im Leben: nämlich heilig zu bleiben und dem Vorbild des Ewigen nachzueifern.

Doch diese Aufforderung Gottes an uns ist nicht so leicht umzusetzen, da Heiligkeit sowohl unseren Körper als auch unsere Seele und den dazugehörigen Geist miteinschließt. Und so fragen wir uns: Wie soll ich diese Form der Heiligkeit erreichen? Wie halte ich sie, wenn ich diesen schieren Berg des nahezu Unmöglichen erklommen habe?

Der Wochenabschnitt Chukkat scheint uns hier über einen Umweg auf die Sprünge helfen zu wollen – und er versucht, es mit dem Gedanken der Hygiene zu verbinden.

Hygiene Wenn wir über die Notwendigkeit von Hygiene in der heutigen Zeit nachdenken, dann stellen wir fest, dass sie durchaus eine Errungenschaft des modernen Menschen ist. Überlegt man sich, wie es um die Hygiene zum Beispiel im Mittelalter bestellt war oder welche Reinheitsvorschriften man zu anderen Zeiten hatte, so leben wir heute in einer Zeit, in der das Wort Hygiene mehr als nur betont wird.

Die Para Aduma hat – logisch gesehen – eigentlich keinen Grund.

Interessant wird es für uns aber, zu schauen, was die Tora zum Thema Hygiene zu sagen hat. So erfahren und lernen wir, dass es eine unbedingte Notwendigkeit gibt, sich zu reinigen.

Dabei spielt natürlich Wasser eine große Rolle. Besonders interessant ist die Verknüpfung zwischen dem reinen Körper und dem reinen Geist, der reinen Seele. Zumal wir natürlich auch etwas über die Notwendigkeit der Reinigung hören, wenn eine Person mit einem Toten in Berührung gekommen ist. Das heißt, die Tora geht sowohl auf die Reinheit des Körpers als auch auf die Reinheit der Seele ein.

Im Zentrum steht hierbei die Vorstellung von Israel als einem heiligen Volk, das sowohl körperliche als auch geistige Reinheit erfordert. In diesem Sinn dürfen wir natürlich nur Reines verzehren. Berühren wir etwas Unreines, so verunreinigen wir uns und mussten in der Antike eine bestimmte Zeit verstreichen lassen, bis der Zustand der Reinheit wiedererlangt war.

rätsel Die Tora gibt uns in diesem Zusammenhang ein großes Rätsel auf: die Para Aduma, die Rote Kuh.

Das Ritual der Roten Kuh ist für uns recht befremdlich. Die Asche dieses verbrannten Tieres wird mit Wasser vermischt und auf die verunreinigte Person gesprüht – eine Prozedur, die wir uns heute kaum mehr vorstellen können.

Es gibt Midraschim, die diesen Vorgang zu erklären versuchen. So wird die Rote Kuh dem Goldenen Kalb gegenübergestellt. Doch was hat ein lebloser goldener Götze mit einer verbrannten roten Kuh zu tun?

Die Para Aduma hat – logisch gesehen – eigentlich keinen Grund. Sie existierte vor dem Sündenfall mit dem Goldenen Kalb noch nicht und gibt uns Rätsel auf, warum gerade sie, in der Form von verbrannter Asche, einen verunreinigten Menschen von seiner Schuld befreit. Der Midrasch holt hier ein wenig aus und verbindet diese beiden Tiere mit der sogenannten Schlange aus der Geschichte von Adam und Chawa.

Wir kennen die Erzählung: Adam und Chawa wurden aus dem Paradies verbannt, nachdem sie von der verbotenen Frucht gegessen hatten. Schmackhaft war ihnen diese Frucht von der sogenannten Schlange gemacht worden. Damit hat sie, so der Midrasch, Chawa und anschließend Adam «geistig vergiftet».

Doch das Gift wirkt hier nicht wie sonst bei der Schlange durch einen Biss, sondern ist als eine Art geistige Verunreinigung zu sehen, die von innen wirkt und sich wie ein Virus ausbreitet. Und diese Verunreinigung mündete in der Sünde von Adam und Chawa.

Der Mensch vermag es, zu einem physischen Ritual ein geistiges Äquivalent zu schaffen.

Das Goldene Kalb ist eine ebensolche geistige Verunreinigung. Die Kinder Israels errichteten es, weil sie es als Vorbild aus Ägypten in ihren Köpfen mitgebracht hatten. Diese giftigen Gedanken mündeten dann in der Errichtung des goldenen Götzen.

gedanken Diese kleine Geschichte zeigt uns, dass Verunreinigung auch von innen kommen kann und nicht nur von außen, sei es durch einen banalen oder profanen unreinen Gedanken, sei es durch etwas, das man in der Vergangenheit vielleicht falsch gelernt hat, oder sei es, dass man sich fälschlicherweise zum Beispiel jemanden zum Vorbild genommen hat, der doch nicht so gut war.

Die Rabbinen zeigen uns auf kluge Art und Weise auf, dass solche Verunreinigungen manchmal auch einen weitaus höheren Schaden anrichten können, als einem bewusst ist. Etwas Unreines zu berühren, bedeutet in diesem Fall vielleicht, die Unreinheit in seine Gedankenwelt aufzunehmen. Das Erfordernis eines Rituals markiert dementsprechend für den antiken Menschen eine Notwendigkeit der Reinigung und ist somit eine Erklärung für die Rote Kuh.

Für den modernen Menschen ist dieses Ritual weiterhin interessant und lehrreich, wenn auch nicht mehr erforderlich. Der moderne Mensch vermag es besser, den Mechanismus der geistigen Verunreinigung zu verstehen, und weiß, dass die Rote Kuh nicht mehr nötig ist, um bewusst die geistige Reinheit wiederherzustellen.

Seele Trotzdem ist uns der Gedanke der Reinheit von Seele, Geist und Körper nicht fremd. Und so gibt es bis heute Rituale, die uns daran erinnern. Zum Beispiel Netilat Jedaim – die rituelle Waschung der Hände. Da geht es nicht um die physische Hygiene der Hände, sondern darum, sich einem Reinigungsritual zu unterziehen und danach ganz bewusst zu essen.

Der Mensch vermag es also, zu einem physischen Ritual ein geistiges Äquivalent zu schaffen. Dadurch bringt er sich in seiner Gedankenwelt Gott näher. Denn nur, wenn wir bewusst handeln, handeln wir auf einer Ebene, die es uns ermöglicht, Gott näher zu kommen und uns für ihn zu entscheiden. Nichts anderes ist die Rote Kuh: eine Entscheidung für Gott und seine Idee, wie wir zu leben haben – als ein Volk von Priestern und Heiligen.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).

Inhalt

Der Wochenabschnitt berichtet von der Asche der Roten Kuh. Sie beseitigt die Unreinheit bei Menschen, die mit Toten in Berührung gekommen sind. In der «Wildnis von Zin» stirbt Mirjam und wird begraben. Im Volk herrscht Unzufriedenheit, man wünscht sich Wasser. Mosche öffnet daraufhin eine Quelle aus einem Stein – aber nicht auf die Art und Weise, wie der Ewige es geboten hat. Mosche und Aharon erfahren, dass sie deshalb das verheißene Land nicht betreten dürfen. Erneut ist das Volk unzufrieden: Es ist des Mannas überdrüssig, und es fehlt wieder an Wasser. Doch nach der Bestrafung bereut das Volk, und es zieht gegen die Amoriter und die Bewohner Baschans in den Krieg und erobert das Land.
4. Buch Mose 19,1 – 22,1

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