Techelet

Die Farbe der Stachelschnecke

Foto: Thinkstock

Bekanntlich schreibt die Tora den Israeliten vor, an die Ecken viereckiger Bekleidungsstücke Schaufäden (hebräisch: Zizit) anzubringen. Wer in unseren Tagen Schaufäden genauer betrachtet, dem fällt auf, dass zwei unterschiedliche Modelle getragen werden.

Meistens sind acht weiße Fäden zu sehen; manchmal jedoch können wir sechs weiße und zwei blaue Fäden zählen. Unbestritten ist, dass im Mittelalter Juden nur weiße Fäden benutzt haben. Zwei Fragen drängen sich nun auf: Welche Farbgebung fordert die Heilige Schrift? Und wie ist es zur heutigen Uneinheitlichkeit gekommen?

Im Toraabschnitt über die Zizit, den man täglich sowohl im Morgen- als auch im Abendgebet rezitiert, heißt es: »Sie sollen an die Sprossen der Ecke einen Faden Techelet geben« (4. Buch Mose 15,38). Wie soll man »Techelet« ins Deutsche übersetzen?

schaufäden Im heutigen Hebräisch meint Techelet eine hellblaue, himmelblaue Farbe. Aber sowohl Leopold Zunz als auch Naftali Herz Tur-Sinai übersetzen: purpurblau. In ihrer Verdeutschung der Schrift sprechen Martin Buber und Franz Rosenzweig von einem hyazinthenen Faden. Erstaunlicherweise erklärt Rabbiner Schlomo Ben Jitzchak (Raschi) dagegen, Techelet sei grün. Wie Techelet auch aussehen mag: Die Tora verlangt neben Weiß auch eine andere Farbe der Schaufäden.

Tatsache jedoch ist, dass die Juden mehr als 1000 Jahre lang nur weiße Wollfäden eingesetzt haben! Wann genau und warum die biblische Tradition abgerissen ist, darüber gibt es verschiedene Theorien. Das Wissen, wie man Techelet produziert, ging im Verlauf des 7. Jahrhunderts allerdings verloren.

Aus dem früher abgeschlossenem Talmud geht hervor, dass man Techelet nur aus Chilason, einem Meereslebewesen, gewonnen hat. Eine zum Verwechseln ähnliche Farbe, die man aus einer Pflanze herstellen kann, ist nach rabbinischer Ansicht für das Färben der Schaufäden nicht zulässig. Vor Fälschungen wurde gewarnt!

chilason Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam ein chassidischer Meister, der Radzyner Rebbe (Rabbiner Gerschon Chanoch Leiner), auf die revolutionäre Idee, den Techelet-Faden erneut einzuführen. Er reiste nach Italien, um den Chilason zu finden, und gelangte zu dem Schluss, gemeint sei der Tintenfisch (Sepia Officinalis).

Rabbiner Leiner fand eine Prozedur, um aus dem Tintenfisch eine blaue Farbe herzustellen; und seine Chassidim begannen sofort, Zizit mit Techelet zu tragen. Allerdings hat Rabbiner Yitzchak Herzog in seiner Dissertation im Jahre 1913 aufgrund chemischer Untersuchungen bewiesen, dass die Auffassung des Rebben nicht richtig sein kann. Bis heute aber stellen Radzyner Chassidim weiterhin Techelet nach dem Rezept von Rabbiner Leiner her.

In den vergangenen Jahrzehnten ist eine Gruppe von Forschern hervorgetreten, die eine andere Sorte Techelet propagiert. Einer ihrer Sprecher, der Physiker Baruch Sterman, hat ein Buch (The Rarest Blue) verfasst, in dem er zu beweisen versucht, dass die Abgestumpfte Stachelschnecke (Murex Trunculus) der im Talmud erwähnte Chilason ist. Sterman beschreibt, wie aus der Stachelschnecke eine Flüssigkeit gewonnen wird, die bei Sonnenlicht die Farbe Blau annimmt. Es ist überraschend zu erfahren, dass man etwa 20.000 Schnecken braucht, um ein Kilogramm Wolle zu färben.

tradition Ist das Techelet-Rätsel gelöst worden? Sollte man jetzt die untergegangene Techelet-Tradition wiederbeleben? Die Dezisoren (hebräisch: Poskim) sind sich in dieser Frage bedauerlicherweise nicht einig. Manche Poskim befürworten die Neuerung, andere lehnen sie aus verschiedenen Gründen ab.

Diese Meinungsverschiedenheit erklärt die Uneinheitlichkeit in der Zizit-Gestaltung, die wir heute feststellen können. Auch wer die zeitgenössische Techelet-Bewegung kritisch beurteilt, wird zugeben müssen, dass sie nachdrücklich auf einen Punkt der Tora aufmerksam gemacht hat, der ernste Betrachtung verdient.

Was lehrt uns das Techelet-Gebot? Diese schlichte Frage hat mehrere Antworten hervorgebracht. Angeführt sei hier nur eine Interpretation. Nach Ansicht von Rabbiner Samson Raphael Hirsch steht fest, dass Techelet die Grundfarbe des Heiligtums und der hohepriesterlichen Kleidung war.

Es war das Purpurblau, das in seiner Farbe den Himmel und das Israel offenbar gewordene Himmlische vergegenwärtigte: »Ein Faden der Techelet-Farbe an unseren Gewändern gab uns allen das Abzeichen hohepriesterlichen Berufes und sprach symbolisch die Bestimmung aus: Ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein!« (2. Buch Mose).

Konzil

»Eine besondere Beziehung«

»Nostra Aetate« sollte vor 60 Jahren die Fenster der katholischen Kirche weit öffnen – doch manche blieben im christlich-jüdischen Dialog verschlossen. Ein Rabbiner zieht Bilanz

von David Fox Sandmel  21.11.2025

Toldot

An Prüfungen wachsen

Warum unsere biblischen Ureltern Hungersnöte und andere Herausforderungen erleben mussten

von Vyacheslav Dobrovych  20.11.2025

Kalender

Der unbekannte Feiertag

Oft heißt es, im Monat Cheschwan gebe es keine religiösen Feste – das gilt aber nicht für die äthiopischen Juden. Sie feiern Sigd

von Mascha Malburg  20.11.2025

Talmudisches

Gift

Was unsere Weisen über die verborgenen Gefahren und Heilkräfte in unseren Speisen lehren

von Rabbinerin Yael Deusel  20.11.2025

Jan Feldmann

Eine Revolution namens Schabbat

Wir alle brauchen einen Schabbat. Selbst dann, wenn wir nicht religiös sind

von Jan Feldmann  19.11.2025

Religion

Rabbiner: Macht keinen Unterschied, ob Ministerin Prien jüdisch ist

Karin Priens jüdische Wurzeln sind für Rabbiner Julian-Chaim Soussan nicht entscheidend. Warum er sich wünscht, dass Religionszugehörigkeit in der Politik bedeutungslos werden sollte

von Karin Wollschläger  19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

USA

6500 Rabbiner auf einem Foto

»Kinus Hashluchim«: Das jährliche Treffen der weltweiten Gesandten von Chabad Lubawitsch endete am Sonntag in New York

 17.11.2025

Talmudisches

Torastudium oder weltliche Arbeit?

Was unsere Weisen über das rechte Maß zwischen Geist und Alltag lehren

von Detlef David Kauschke  14.11.2025