Gregor Gysi

»Ja, da müssen Sie jetzt noch durch«

Gregor Gysi bei seiner Rede als Alterspräsident des 21. Deutschen Bundestages Foto: IMAGO/

Gregor Gysi konnte es nicht lassen, und er ließ auch fast nichts aus.

»Wie ein Presssack, in den er alles reinstopfte, was ihm irgendwie wichtig war«, habe er die Rede des Alterspräsidenten des 21. Deutschen Bundestages empfunden, befand Heribert Prantl anschließend beim TV-Sender »Phoenix«. Gysi habe »sich in gewisser Weise selbst totgeredet«, so der langjährige Redakteur der »Süddeutschen Zeitung«, der Gysi vor dem Auftritt viel Vorschusslorbeer gegeben hatte.

Der linke Politiker, der mit kurzer Unterbrechung schon seit 1990 dem Bundestag angehört und mittlerweile dessen dienstältestes Mitglied ist, hatte sich akribisch auf den Auftritt vorbereitet. Er wollte sich offenbar nicht die Gelegenheit nehmen lassen, zu allen Themen etwas zu sagen, die ihn umtreiben, und seien es auch noch so viele.

Gut 30 Minuten redete Gysi bei der Konstituierung des neuen Parlaments. Er sprach zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit, machte Vorschläge zur Rentenpolitik und für mehr Steuergerechtigkeit. Gysi forderte gerechtere Löhne, warb für eine automatische Anpassung der Gehälter an die Inflation, forderte eine einheitliche Umsatzsteuer auf Weihnachtsbäume, klagte über zu viel Bürokratie und zu lange Gerichtsverfahren, verlangte ein besseres Gesundheitswesen und die Überwindung der Benachteiligung von Ostdeutschen in der Politik.

Zudem klagte er über die mangelnde Gleichstellung der Geschlechter, schlug eine längere gemeinsame Beschulung von Kindern vor und gab Klimaaktivisten gute Ratschläge für friedliches Demonstrieren.

Gysi leitete zu Beginn die konstituierende Sitzung des 21. Deutschen BundestagsFoto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Eine weitere Erkenntnis: Gysi ist für die Benennung von Straßen nach Otto von Bismarck. Der sei eine »bedeutende historische Persönlichkeit« gewesen, auch wenn er selbst mit dem Reichskanzler im Kaiserreich kaum übereinstimme. Genauso müsse es aber möglich sein, auch Straßen nach der Kommunistin Clara Zetkin zu benennen und Universitäten nach Karl Marx, sagte der Linken-Politiker.

Und auch auf die Lage in der Welt ging der 77-Jährige ausführlich ein. Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine streifte er zu Beginn nur kurz, wohingegen er gegen Ende der Rede ausführlich auf Donald Trumps Ambitionen einging, Grönland den USA einzuverleiben. Genervte Zwischenrufe aus dem Plenum beantwortete Gysi mit einem »Ja, da müssen Sie jetzt noch durch!«

Mehr Respekt vor dem politischen Gegner

Es gebe unterschiedliche Auffassungen, wie man zum Frieden gelange, so der Linken-Politiker. »Wir müssen einfach lernen zu respektieren, dass es diese Unterschiede gibt. Wenn wir mehr Glaubwürdigkeit bei der Bevölkerung erreichen wollen, sollten wir in unserer Sprache das Maß wahren, nicht immer bei Menschen mit anderer Auffassung das Übelste unterstellen.«

Weder dürfe man die Befürworter von mehr Rüstungsausgaben als »Kriegstreiber« bezeichnen noch die Gegenseite als »Putinknechte«.

Die Mehrheit der Amerikaner habe Trump nun einmal zum Präsidenten gewählt. »Das haben wir zu respektieren«, mahnte Gysi. Trump wolle sich völkerrechtswidrig den Panamakanal aneignen und Kanada zum 51. Bundesstaat der USA machen. Falls Trump Grönland angriffe und damit Dänemark, zu dem die Insel gehört, könne Deutschland aber nicht neutral bleiben. »Wir müssten Dänemark unterstützen. Dann aber wäre die NATO tot.«

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Dass auch Kanada Teil der NATO ist und auch hier Bündnispflichten bestünden, erwähnte er nicht. Schon vor Trumps Wahl habe er eine »europäische Initiative für einen Waffenstillstand und einen Frieden zwischen Russland und der Ukraine« gefordert, sagte Gysi. Jetzt werde es wohl einen Waffenstillstand und einen Frieden geben, der aber mehr zum Nachteil der Ukraine gereichen dürfte als den, den man vorher hätte erreichen können, behauptete er – ohne allerdings Anhaltspunkte für diese These zu liefern.

Es bestehe nun die Gefahr, dass das autoritär regierte China zur Weltmacht Nummer eins werde. »Deshalb versuchen sie, die Demokratie in den USA abzubauen. Präsident Trump möchte weder von Parlamenten noch von Gerichten belästigt werden.« Die EU könnte zu einer vierten Weltmacht werden, nach den USA, China und Russland. »Ich habe aber meine Zweifel, dass sich alle Mitglieder darauf einlassen werden. Trotzdem müssen wir daran arbeiten«, so Gysi weiter.

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Und auch auf den Nahen Osten kam er zu sprechen. Wie so oft holte Gysi weit aus: »Jüdinnen und Juden wurden tausende Jahre lang in vielen Ländern diskriminiert, benachteiligt, sahen sich Verboten ausgesetzt. Bestimmte Berufe zum Beispiel wurden ihnen untersagt, so dass sie andere ergreifen mussten, was ihnen später wieder vorgeworfen wurde.«

»Aber es blieb nicht dabei. Aus dem Antijudaismus im Christentum wurde ein schlimmer Antisemitismus. Er ging letztlich so weit, dass Jüdinnen und Juden auch geschlagen und ermordet wurden. Am schlimmsten haben wir Deutsche es während der Nazizeit getrieben, indem sechs Millionen Jüdinnen und Juden industriell ermordet wurden.« Das sei »einzigartig in der Geschichte der Menschheit« gewesen, so Gysi vor den Abgeordneten des Bundestags.

»Israel muss souverän und sicher sein«

Juden weltweit müssten endlich das Recht haben, als gleichberechtigte Bürger behandelt zu werden. Und sie hätten das von den Vereinten Nationen verbriefte »Recht auf einen jüdischen Staat, auf ein sicheres Zuhause«, so Gysi weiter. »Israel muss souverän, unabhängig und sicher sein und werden. Wir haben aufgrund unserer Geschichte dafür eine besondere Verantwortung.« Dafür bekam er von allen Fraktionen Applaus.

Der Linken-Politiker Gysi ist seit 1990 mit dreijähriger Unterbrechung Mitglied des BundestagesFoto: IMAGO/epd

Nie wieder dürfe die Würde eines Menschen so angetastet werden wie im Nationalsozialismus, so Gysi: »Ich sage das auch im Wissen darum, dass meine Großmutter die Nazi-Barbarei nur überleben konnte, weil sie im nicht besetzten Teil von Frankreich Aufnahme fand. Und ihre Mutter und ihr Bruder wurden im Vernichtungslager Auschwitz ermordet.«

Doch der Alterspräsident sprach auch über die Palästinenser. Auch sie hätten das »Recht auf ein Zuhause«, seien weder israelische Staatsangehörige noch Bürger eines anderen Landes. »Es gibt für sie zur Zeit keine Aussicht auf eine zivile Zukunft, für die es sich lohnte, sich einzusetzen. Nur wenn es eine solche Aussicht gäbe – und das kann nur ein souveräner, unabhängiger, eigener Staat sein –, wäre man in der Lage, Terrororganisationen wie die Hamas und die Hisbollah zu überwinden.«

Gysi übte auch Kritik an der israelischen Regierung: »Es ist bedauerlich, dass die gegenwärtige Regierung in Israel und die gegenwärtige Mehrheit in der Knesset einen solchen Weg für die PalästinenserInnen und Palästinenser ausschließt und glaubt, alles militärisch und durch Inkaufnahme ziviler Toter lösen zu können. Wir müssen deshalb verstärkt international für die Zweistaatenlösung werben.« Auch das sei eine Lehre aus der Geschichte. Israels Botschafter Ron Prosor, der auf der Ehrentribüne saß, dürfte es vernommen haben - und sich seinen Teil gedacht haben.

Julia Klöckner (CDU) löst Bärbel Bas (SPD) als Bundestagspräsidentin abFoto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Der Applaus für Gysi hielt sich anschließend in Grenzen. Nur die Mitglieder seiner eigenen Fraktion klatschten anhaltend Beifall. Die CDU-Politikerin Julia Klöckner, die wenig später mit 382 Stimmen der 630 Mitglieder des Bundestags zur neuen Präsidentin gewählt wurde, und ihre Vorgängerin Bärbel Bas von der SPD spendeten nur höflichen Applaus. Viele im Plenum waren wohl froh, dass Gysis Auftritt vorbei war. Der CSU-Politiker Sepp Müller zeigte seinen Protest dadurch, dass er demonstrativ während der Ansprache in einem Buch des SED-Opfers Hubertus Knabe las und damit gegen Gysis Rolle in der DDR protestierte.

Die einzige Ausnahme bildeten die Linken-Parlamentarier. »Es war alles richtig und klug«, was Gysi gesagt habe, schwärmte ihre Fraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek später bei »Phoenix«. Sie hätte Gysi noch stundenlang zuhören können.

Vor allem, dass er den Nahostkonflikt angesprochen habe, lobte Reichinnek. »Er hat zu Recht gesagt, dass Deutschland nicht nur eine Verantwortung für Israel hat, sondern auch für den Staat Palästina. Ich finde, das ist ein Punkt, darüber müssen wir uns mal unterhalten.«

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