Berlin

Griffig, konkret und alltagsnah

Wie kann jeder Einzelne Antisemitismus im Alltag begegnen? Dieser Frage widmet sich das Projekt »Stop Antisemitismus«. Als bislang einzigartiger Zusammenschluss verschiedener bundesweiter Organisationen, Institute, Initiativen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Bildung bündelt es die Kompetenz und langjährige Erfahrung im Erkennen, Erforschen und Bekämpfen von Antisemitismus.

Beteiligt an dem Projekt sind sowohl Vertreter des Zentralrats der Juden als auch des Zentralrats der Muslime sowie zivilgesellschaftliche Akteure, darunter die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA), das Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment der Zentralwohlfahrtsstelle (ZWST), die Bildungsabteilung im Zentralrat der Juden, Step 21, Initiative für Toleranz und Verantwortung, die Bildungsstätte Anne Frank, das Jüdische Museum Frankfurt, die TU Berlin, die Frankfurt University of Applied Sciences und die Bundeszentrale für Politische Bildung. Unterstützt wird das Projekt von Felix Klein, dem Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus.

LAUNCH Am Mittwoch, dem Anne-Frank-Gedenktag, wurde die Initiative im Max-Liebermann-Haus in Berlin-Mitte nebst dazugehöriger Webseite vorgestellt. Initiator ist die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, die Idee geht auf die freie ZEIT-Journalistin Sarah Levy zurück. »Als uns ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo in der Kuratoriumssitzung im April vergangenen Jahres die Idee vorstellte, waren wir schnell überzeugt«, sagte der ZEIT-Stiftungsvorsitzende Michael Göring.

»Wir müssen die Menschen mitnehmen, die Antisemitismus bezeugen, aber sich vielleicht nicht trauen, etwas zu sagen«, sagte Felix Klein.

Denn das Projekt vernetze nicht nur verschiedene Beteiligte mit dem Ziel, die Zivilgesellschaft für Antisemitismus zu sensibilisieren, sondern gebe konkrete Handlungsanleitungen, wie jeder Einzelne im Alltag Antisemitismus entgegentreten könne.

Vor allem drei Begebenheiten hätten ihm zu denken gegeben: die Attacke auf einen Kippa tragenden Israeli im April 2018 in Berlin-Prenzlauer Berg, die Angst einer jüdischen Mutter vor antisemitischem Mobbing ihrer Kinder an der Grundschule und die Begegnung mit KIgA-Chef Dervis Hizarci, der in dem jüdischen Fußballverein Makkabi kickt und in seinem Schulalltag und mit KIgA das Problem Antisemitismus aktiv angeht. »Es ist genau die Aufgabe einer gemeinnützigen Stiftung, verschiedene Menschen in dieser Situation zusammenzubringen und daraus etwas Neues zu gestalten«, sagte Göring.

ZIVILCOURAGE Dieses Projekt sei »wirklich etwas Neues«, das ihn von Anfang an begeistert habe, sagte Felix Klein. Der Ansatz habe ihn überzeugt, denn der Kampf gegen Antisemitismus sei eine »nie endende Aufgabe von Staat und Gesellschaft«. Der Staat alleine könne es nicht. »Wir brauchen die Zivilcourage der Zivilgesellschaft, wenn Leute Antisemitismus wahrnehmen – am Arbeitsplatz, im Alltag, auf dem Fußballplatz. Wir müssen die Menschen mitnehmen, die Antisemitismus bezeugen, aber sich vielleicht nicht trauen, etwas zu sagen – zu Alltagssituationen liefert die Webseite Beispiele, Orientierung und Handlungsoptionen.«

Griffig, klar und alltagsnah will die Webseite sein. Die Beispiele entspringen realen, von Betroffenen erlebten Situationen. Die Fälle wurden anonymisiert.

»Komm her, du Jude!« ist so ein Beispiel – eine Situation auf dem Schulhof. Dahinter stehen die Hashtags #judealsschimpfwort und #schule, darunter kann man sich durch die Buttons »Was steckt dahinter?«, »Wie kann man reagieren?« und »Wo bekomme ich Hilfe?« klicken. Insgesamt werden 35 konkrete Szenen und authentische Aussagen beleuchtet. Die antisemitischen Facetten reichen dabei von klassischen Vorurteilen und NS-Sprache bis Schoa-Leugnung und Nahostkonflikt.

Eine umfangreiche und laufend aktualisierte Adressdatenbank listet hilfreiche Kontakte bei antisemitischen Vorfällen und Anlaufstellen auf.

»Uns geht es vor allem darum, dass Leute ihre Stimme erheben und sich im besten Fall Verbündete suchen und im Zweifel nachfragen«, sagt Projektleiterin Sarah Levy, die das Projekt auch weiterhin betreuen wird, eingebunden in die Arbeit der KIgA, wo es künftig angesiedelt sein wird. Die Idee sei vor allem, so Levy, die vielen Initiativen, die es schon gebe, sichtbar zu machen. Zudem liste eine umfangreiche und laufend aktualisierte Adressdatenbank hilfreiche Kontakte bei antisemitischen Vorfällen und Anlaufstellen auf. Dazu zählen Museen und Gedenkstätten sowie Veranstalter von Workshops, Fortbildungen und Seminaren für Lehrer, Jugendliche, Eltern und interessierte Bürger.

Er erlebe, auch zugetragen von Lesern, »eine große Hilflosigkeit«, sagte Giovanni di Lorenzo. »Es passiert etwas, und man weiß nicht, wie man reagiert. Daher war die Idee, eine Art digitales Handbuch zu schaffen – mit konkreten Sprüchen, konkreten Mustern und den Argumenten dagegen.« Niemand solle glauben, dass so etwas nur auf Schulhöfen stattfindet.

Lesen Sie mehr in unserer nächsten Printausgabe.

Sanktionen

Von der Leyen: EU-Kommission stoppt Zahlungen an Israel

Unter anderem wegen des Widerstandes der Bundesregierung kann sich die EU bislang nicht auf Strafmaßnahmen gegen Israel einigen. Nun kommt es zu einem Alleingang der Europäische Kommission

 10.09.2025

Debatte

Genozid-Experten fordern Rücknahme der Völkermord-Resolution

Mehr als 500 Wissenschaftler und Institutionen fordern von der International Genocide Scholars Association, ihre Anschuldigungen zurückzunehmen

 10.09.2025 Aktualisiert

Nahost

Israels Luftwaffe greift erneut im Jemen an

Immer wieder feuern die Huthi im Jemen Raketen und Drohnen in Richtung Israel. Der jüdisch Staat regiert mit Gegenschlägen

 10.09.2025

Berlin

Francesca Albanese bei Tagung an der Freien Universität

Der umstrittenen UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese wird immer wieder Antisemitismus vorgeworfen. Am Mittwoch war sie zu Gast an einer Berliner Universität

 10.09.2025

Berlin

Israel-Vorstoß: Wadephul und Dobrindt widersprechen von der Leyen

Während der Bundesaußenminister nochmal über eine Aussetzung der Unterstützungszahlungen der EU sprechen will, wird der Innenminister deutlicher

 10.09.2025

Washington D.C.

Brisanter Scheck: Epstein-Foto heizt Debatte um Trump an

Seit Monaten schwelt die Debatte über Verbindungen des Straftäters zum Präsidenten. Nach einem angeblichen Brief von letzterem wirft nun das Foto eines Schecks Fragen auf

 10.09.2025

Meinung

Eskalation in Katar?

Es ist heuchlerisch, Katar als Friedensvermittler zu bezeichnen. Wer die Hamas in Gaza unterstützt, in Doha Terroristen hofiert und mit Al Jazeera weltweit den Hass auf den jüdischen Staat befördert, sollte sich nicht wundern, wenn Israel zurückschlägt

von Philipp Peyman Engel  10.09.2025

Generalbundesanwaltschaft

Anklage gegen »Sächsische Separatisten«

Ihnen werde »die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens« vorgeworfen, hieß es

 10.09.2025

Analyse

Ursula von der Leyen macht Israel zum Bauernopfer

Vor dem Europaparlament schlägt die EU-Kommissionspräsidentin harte Töne gegen Israel an - wohl wissend, dass die notwendige Mehrheit für Sanktionen womöglich nie zustande kommt. Eine Analyse

von Michael Thaidigsmann  10.09.2025