Pius XII.

Flucht nach vorn

Foto: Stephan Pramme

Misstrauen und Ablehnung liegen in seiner Stimme. »Ich weiß gar nicht, warum das so eine große Sache ist«, sagt Walter Brandmüller am anderen Ende des Telefons. Der ehemalige Präsident des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften in Rom sieht in der Ankündigung des Vatikans, Dokumente aus seinem Geheimarchiv über die umstrittene Haltung von Pius XII. zum Holocaust schon in den kommenden Wochen im Internet zugänglich zu machen, einen »ganz normalen Vorgang«. Andere, wie der Regensburger Theologe Heinz-Günther Schöttler vom Arbeitskreis Juden und Christen beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken, wittern dagegen einen politischen Schachzug von Papst Benedikt XVI., der wenig mit historischer Wahrheitsfindung zu tun hat.

»Der Vatikan hat die Flucht nach vorne angetreten«, sagt Schöttler. Benedikt XVI. war unter Druck geraten, weil er die Seligsprechung des Pacelli-Papstes mit Macht vorantreibt, obwohl die Unterlagen im Geheimarchiv des Vatikans zu seiner Amtszeit erst in drei bis vier Jahren vollständig öffentlich gemacht werden sollen. So lange dauert es, die rund acht Millionen Seiten komplett zu registrieren. Spätestens seit Rolf Hochhuths Stück Der Stellvertreter von 1963 ist Pius’ scheinbares Schweigen zur Schoa ein permanenter Konfliktherd zwischen der jüdischen Gemeinschaft und der katholischen Kirche. In Yad Vashem findet sich der Name der Papstes, der von 1939 bis 1958 im Amt war, in der »Halle der Schande« wieder.

desinformation Zu Unrecht, sagt der Düsseldorfer Kirchenhistoriker Michael Hesemann. Pius XII. werde »diffamiert«, er sei vielmehr »ein Freund der Juden« gewesen, wie er umfassend auch in seinem 2008 erschienenen Buch Der Papst, der Hitler trotzte darlegt. Hesemann ist gleichzeitig der deutsche Vertreter der amerikanischen Pave The Way Foundation (PTWF), die dem Vatikan bei der Veröffentlichung der Pius-Dokumente hilft. Die Stiftung übernimmt die Kosten für das Scannen der rund 8.000 jetzt freigegebenen Seiten und darf sie dafür im Gegenzug auf ihre Internetseite www.ptwf.org stellen. Der Präsident der PTWF, der amerikanische Jude Gary L. Krupp, bemüht sich seit Jahren, Pius’ Rolle während der Nazi-Herrschaft in einem besseren Licht erscheinen zu lassen, was etwa die Anti-Defamation League als »Kampagne der Missinformation« scharf kritisiert.

Dass in die Diskussion durch die Dokumente, die bald im Internet zu finden sein werden, neue Argumente einfließen, ist kaum zu erwarten. Denn wer wollte, konnte sie bereits seit 1981 lesen. Seitdem liegt der zwölfte und letzte Band des Berichtes der 1964 von Papst Paul VI. eingesetzten Historikerkommission unter der Leitung des Jesuitenpaters Pierre Blet vor, die den Auftrag hatte, alle relevanten Papiere aus den Kriegsjahren auszuwerten. Nach Hesemanns Einschätzung umfassen die Bände 80 Prozent des infrage kommenden Materials aus dem Geheimarchiv – und sie sind es, die die Stiftung jetzt im Auftrag des Vatikans scannt.

Diplomatie Hesemann hofft, dass die Debatte um Pius XII. »nun auf der Grundlage der Dokumente« geführt werde. Seinen Kritikern wird sie jedoch kaum den Wind aus den Segeln nehmen. Der Frankfurter Erziehungswissen- schaftler Micha Brumlik, der sich seit Jahren um den Dialog zwischen Juden und Christen bemüht, sagt: »Wenn sich in den Dokumenten etwas Belastendes befände, würde der Vatikan sie nicht veröffentlichen.« Es handle sich vielmehr um einen kontrafaktiven Fall, wichtig sei also, was der Pacelli-Papst nicht gesagt habe. Anders als etwa der Münsteraner Kardinal Clemens August Graf von Gahlen oder auch die griechisch-orthodoxe Kirche in Bulgarien habe Pius XII. die Schoa nie öffentlich mit klaren Worten verurteilt. »Es geht nicht darum, den Mann wegen seiner zweifelhaften Diplomatie zu verurteilen«, sagt Brumlik, »aber eine Enzyklika unter dem Titel ›Mit brennender Sorge‹ zu veröffentlichen, reicht noch lange nicht für eine Seligsprechung aus.«

Eurovision Song Contest

Spanien bekräftigt seine Boykottdrohung für ESC

Der Chef des öffentlich-rechtlichen Senders RTVE gibt sich kompromisslos: José Pablo López wirft Israel einen »Genozid« in Gaza und Manipulationen beim Public Voting vor und droht erneut mit dem Austritt

 28.11.2025

USA

Mehrheit der Juden blickt nach Mamdani-Sieg mit Sorge nach New York

Eine Umfrage zeigt: Fast zwei Drittel der Befragten sind der Ansicht, Mamdani sei sowohl antiisraelisch als auch antisemitisch

 28.11.2025

Sport

Basketball zurück in Israel: Hamburger beginnen in Jerusalem

Israelische Basketball-Teams tragen ihre Heimspiele im Eurocup und in der Euroleague bald wieder im eigenen Land aus. Zum Auftakt kommt ein Team aus Deutschland

 28.11.2025

Berlin

Israel, der Krieg gegen die Hamas und die Völkermord-Legende

Der israelische Militärhistoriker Danny Orbach stellte im Bundestag eine Studie und aktuelle Erkenntnisse zum angeblichen Genozid im Gazastreifen vor – und beklagt eine einseitige Positionierung von UN-Organisationen, Wissenschaft und Medien

 27.11.2025

USA

Staatsanwaltschaft rollt den Fall Etan Patz neu auf

Der jüdische Junge Etan Patz verschwindet am 25. Mai 1979 auf dem Weg zur Schule. Jahre später wird er für tot erklärt

 27.11.2025

Debatte

Neue Leitlinie zum Umgang mit NS-Raubgut für Museen und Bibliotheken

In Ausstellungshäusern, Archiven und Bibliotheken, aber auch in deutschen Haushalten finden sich unzählige im Nationalsozialismus entzogene Kulturgüter. Eine neue Handreichung soll beim Umgang damit helfen

von Anne Mertens  27.11.2025

Düsseldorf

Breite Mehrheit im Landtag wirbt für Holocaust-Zentrum in NRW

Große Mehrheit im NRW-Landtag: Fast alle Fraktionen werben für NRW als Standort eines vom Bund geplanten Holocaust-Bildungszentrums. Bayern und Sachsen sind ebenfalls im Rennen

von Andreas Otto  27.11.2025

Terrorismus

Berlin: Waffenkurier der Hamas wohnte in unmittelbarer Nähe zu mehreren jüdischen Einrichtungen

Im Auftrag der Terrororganisation Hamas sollen mehrere Männer jüdische und proisraelische Ziele unter anderem in der Hauptstadt ausgespäht und Waffen eingeschmuggelt haben. Nun berichten »Zeit« und »Welt« über die Hintergründe

 27.11.2025

Bildung

Im Land der Täter

Bis März soll die Entscheidung fallen, wo die Dependance der Schoa-Gedenkstätte Yad Vashem in Deutschland angesiedelt wird

von Michael Thaidigsmann  27.11.2025