Schoa-Gedenken

Bundestag: Redner appellieren an Menschlichkeit

In der Gedenkstunde des Bundestags für die Opfer des Nationalsozialismus haben die Holocaust-Überlebende Eva Szepesi und Marcel Reif als Sohn eines Überlebenden zu mehr Menschlichkeit und Widerspruch gegen Rassismus aufgerufen. »Wer schweigt, macht sich mitschuldig«, sagte Szepesi im Bundestag mit Verweis auf erstarkenden Judenhass und Rechtsextremismus.

»Die Schoah begann nicht mit Auschwitz, sie begann mit Worten - und sie begann mit dem Schweigen und dem Wegschauen der Gesellschaft«, sagte die 91-Jährige, die das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau überlebte. Marcel Reif appellierte mit den Worten seines Vaters an die Parlamentarier: »Sei ein Mensch.«

Der Sportjournalist erzählte in seiner Rede davon, dass sein Vater, ein polnischer Jude, der aus einem Deportationszug der Nazis gerettet wurde, nie über das Erlebte sprach. »Wir sollten, wir durften nicht in jedem Postboten, Bäcker, Straßenbahnfahrer einen möglichen Mörder unserer Großeltern vermuten«, sagte Reif, dessen Großeltern von den Nationalsozialisten ermordet wurden.

»Sei ein Mensch«

Diesen »warmen, kuscheligen Mantel des Schweigens« habe er angenommen, später aber verstanden, dass sein Vater doch gesprochen und ein Vermächtnis in diesem Satz hinterlassen habe: »Sei ein Mensch.«

Über den Schrecken des Holocaust sprach die aus Ungarn stammende Szepesi in der Gedenkstunde des Bundestags, zu der traditionell auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und die Vertreter aller weiteren Verfassungsorgane gekommen waren.

Nachdem die Nazis Ungarn besetzt hatten, schickte Szepesis jüdische Mutter die damals 11-Jährige mit der Tante auf die Flucht, in der Hoffnung, dass sie den Deportationen entkommen könnte. Ende 1944 wurde sie dennoch deportiert. »Im überfüllten Viehwaggon wurde die Luft immer weniger, mein Hunger immer quälender, meine Angst immer größer«, schilderte sie das Grauen.

Kalter Schnee

Szepesi, inzwischen 12 Jahre alt, kommt nach Auschwitz, gibt sich dort als 16-Jährige aus und erlebt die Befreiung durch die sowjetische Armee völlig entkräftet auf einer Liege im Vernichtungslager. »Irgendwann spürten meine vom Fieber brennenden Lippen eine Hand, die mich mit kaltem Schnee fütterte«, berichtete sie.

»Es war der 27. Januar 1945 - und ich lebte.« Erst Jahre später erfuhr sie, dass ihre Mutter und ihr damals achtjähriger Bruder wenige Monate vor ihr nach Auschwitz gebracht und sofort nach der Ankunft in der Gaskammer ermordet wurden.

Seit der damalige Bundespräsident Roman Herzog den Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz zum Gedenktag erklärt hatte, findet rund um das Datum die Gedenkstunde im Bundestag statt.
Immer wieder ist sie Anlass, zu Aufmerksamkeit und Widerstand gegen neue Formen von Intoleranz und Menschenfeindlichkeit aufzufordern.

Lautes Schweigen

Vor dem Hintergrund des starken Zuspruchs der zumindest in Teilen rechtsextremen AfD, Berichten über Pläne rechtsextremer Netzwerke zur Vertreibung von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte aus Deutschland und dem Anstieg antisemitischer Angriffe in Deutschland seit dem Überfall der Hamas auf Israel fielen die Appelle in diesem Jahr noch eindringlicher aus.

Szepesi sagte, sie wünsche sich, dass nicht nur an Gedenktagen und nicht nur an die ermordeten Opfer des Holocaust erinnert werde, sondern auch an die Überlebenden. »Sie brauchen jetzt Schutz.«

Sie beklagte ein »lautes Schweigen der Mitte der Gesellschaft« und »Gespräche, die mit ‚Ja, aber‘ beginnen«. Erst 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann Szepesi, über ihre Erlebnisse zu sprechen. Nie sei es wichtiger gewesen als jetzt, Zeugnis abzulegen, sagte sie vor dem Bundestag, »denn ‚Nie wieder‘ ist jetzt«.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) sagte, das »Nie wieder« bleibe ein Auftrag für die gesamte Gesellschaft, unabhängig davon, was die eigenen Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern getan und erlitten hätten - »oder wo sie herkommen«. Judenhass sei kein Problem nur der Vergangenheit. »Antisemitismus ist ein Problem der Gegenwart«, sagte Bas. epd

Existenzrecht Israels

Objektive Strafbarkeitslücke

Nicht die Gerichte dafür schelten, dass der Gesetzgeber seine Hausaufgaben nicht macht. Ein Kommentar

von Volker Beck  23.11.2025

Dortmund

Ermittlungen gegen Wachmann von NS-Gefangenenlager 

Die Polizei ermittelt gegen einen Ex-Wachmann des früheren NS-Kriegsgefangenenlagers in Hemer. Er soll an Tötungen beteiligt gewesen sein - und ist laut »Bild« inzwischen 100 Jahre alt

 22.11.2025

Deutschland

»Völlige Schamlosigkeit«: Zentralrat der Juden kritisiert AfD-Spitzenkandidat für NS-Verharmlosung

Der AfD-Spitzenkandidat aus Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, äußert sich einschlägig in einem Podcast zur NS-Zeit

von Verena Schmitt-Roschmann  21.11.2025

München

»Wir verlieren die Hoheit über unsere Narrative«

Der Publizist und Psychologe Ahmad Mansour warnte in München vor Gefahren für die Demokratie - vor allem durch die sozialen Netzwerke

von Sabina Wolf  21.11.2025

Kommentar

Wenn Versöhnung zur Heuchelei wird

Jenaer Professoren wollen die Zusammenarbeit ihrer Universität mit israelischen Partnern prüfen lassen. Unter ihnen ist ausgerechnet ein evangelischer Theologe, der zum Thema Versöhnung lehrt

von Tobias Kühn  21.11.2025

Kommentar

Martin Hikel, Neukölln und die Kapitulation der Berliner SPD vor dem antisemitischen Zeitgeist

Der bisherige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln ist abgestraft worden - weil er die Grundwerte der sozialdemokratischen Partei vertreten hat

von Renée Röske  21.11.2025

Gespräch

»Der Überlebenskampf dauert an«

Arye Sharuz Shalicar über sein neues Buch, Israels Krieg gegen den palästinensischen Terror und die verzerrte Nahost-Berichterstattung in den deutschen Medien

von Detlef David Kauschke  21.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  21.11.2025

Deutschland

»Hitler ist niedergekämpft worden. Unsere Städte mussten in Schutt und Asche gelegt werden, leider«

Militanter Linker, Turnschuhminister, Vizekanzler und Außenminister: Das sind die Stationen im Leben des Grünenpolitikers Joschka Fischer. Warum er heute vom CDU-Kanzler Konrad Adenauer ein anderes Bild als früher hat

von Barbara Just  21.11.2025