Meinung

Sukkot und die Asyldebatte

Das Laubhüttenfest ist eine gute Gelegenheit, sich daran zu erinnern, dass es auch heute noch Vertriebene und Geflüchtete gibt – und dass sie nicht nur unserer Empathie, sondern auch unserer Hilfe bedürfen

von Joshua Schultheis  16.10.2024 12:16 Uhr

Seid kreativ, liebe Yudaya-jin! Foto: Charlotte Bolwin

Das Laubhüttenfest ist eine gute Gelegenheit, sich daran zu erinnern, dass es auch heute noch Vertriebene und Geflüchtete gibt – und dass sie nicht nur unserer Empathie, sondern auch unserer Hilfe bedürfen

von Joshua Schultheis  16.10.2024 12:16 Uhr

Sukkot ist ein fröhliches Fest. Die siebentägigen Feierlichkeiten sind erfüllt von den warmen, erdigen Farben und Geschmäckern des Herbstes. Familien und Gemeinden kommen zusammen, es wird viel gegessen. Der historische Hintergrund von Sukkot ist aber ein ernster: Die typische provisorische Behausung des Festes, die Laubhütte oder Sukka, vergegenwärtigt die Zeit der Flucht der Israeliten von Ägypten ins Gelobte Land. Es ist eine gute Gelegenheit, sich daran zu erinnern, dass es auch heute noch Vertriebene und Geflüchtete gibt – sei es in Nahost, in Europa oder dem Rest der Welt – und dass sie nicht nur unserer Empathie, sondern auch unserer Hilfe bedürfen.

Nicht zuletzt brauchen wir hier in Deutschland derzeit diese Ermahnung. Der Diskurs über Geflüchtete hat eine Härte angenommen, wie sie selten zuvor herrschte. Zwar ist der Status quo – Tausende Tote auf dem Mittelmeer und eine mangelnde Kontrolle über Migrationsbewegungen – nicht zu verteidigen, und dass die AfD dieses Thema für ihre Hetze nutzt, verwundert nicht. Doch auch in den demokratischen Parteien droht derzeit, einiges in Schieflage zu geraten.

Der Diskurs über Geflüchtete hat eine Härte angenommen, wie sie selten zuvor herrschte.

Manche Einlassungen von Ampel-Politikern, nun müsse endlich in großem Umfang und auch in Kriegsgebiete abgeschoben werden, wecken weitgehend unerfüllbare Hoffnungen, oder – schlimmer noch – suggerieren, politische Macht stehe über dem Recht. Aus den Reihen der Unionsparteien wird immer wieder das individuelle Recht auf Asyl und damit eine entscheidende Lehre aus dem Nationalsozialismus infrage gestellt: Nicht zuletzt, weil sich damals viele Staaten weigerten, verfolgte Juden aufzunehmen, wurde dieses Recht in Grundgesetz und UN-Konvention aufgenommen.

Auch die Forderung, Geflüchtete an der deutschen Grenze abzuweisen, könnte uns in überwunden geglaubte Zeiten zurückführen: Wie nach dem Zweiten Weltkrieg zögen wieder umherirrende Menschen mitten durch Europa.

Der Anspruch, das deutsche und europäische Asylsystem auf neue Beine zu stellen, ist richtig. Er sollte aber viel stärker als aktuell mit der deutlich bekundeten Bereitschaft einhergehen, auch künftig wichtiges Aufnahmeland für Verfolgte zu sein. Zu oft wirken deutsche Debatten wie ein Wettrennen nach unten, an dessen Ende hier kein einziger Geflüchteter mehr willkommen wäre. Vielleicht besucht der ein oder andere deutsche Spitzenpolitiker dieses Jahr einmal eine Sukka. Dort sollte ihm neben einer Kürbissuppe auch eine Geschichtslektion serviert werden.

schultheis@juedische-allgemeine.de

Meinung

Syrien: Warum machen wir immer wieder den gleichen Fehler?

Sollte der Westen einem Mann vertrauen, der bislang als Terrorist gesucht wurde?

von Jacques Abramowicz  11.12.2024

Meinung

Papst Franziskus, Jesus und ein gefährliches Manöver

Die Kirche rüttelt an ihrem eigenen fragilen Fundament, wenn dem Juden Jesus seine Herkunft, seine Abstammung und seine Identität abgesprochen werden

von Daniel Neumann  11.12.2024

Meinung

Syrien und die verfrühte Freude des Westens über den Sieg der Islamisten

Ein Gastkommentar von Ingo Way

von Ingo Way  11.12.2024

Meinung

PEN Berlin war kurz davor, auf der Seite der Feinde Israels zu stehen

Nur knapp konnte verhindert werden, dass die Schriftstellervereinigung eine Resolution annahm, die von glühender »Israelkritik« geprägt war

von Stefan Laurin  10.12.2024

Meinung

Der Papst und sein einseitiges Mitgefühl für Judenfeinde

Das Jesus-Kind in ein Palästinensertuch einzuwickeln zeigt, dass der Vatikan seine Tradition verleugnet, um im Nahostkonflikt Partei zu ergreifen

von Maria Ossowski  10.12.2024

Meinung

Amnesty, Israel und die »Untermenschen«

Die Verleumdung Israels durch die Menschenrechtsorganisation ist einmal mehr beispiellos. Ein Kommentar von Wolf J. Reuter

von Wolf J. Reuter  10.12.2024

Kommentar

Vor den Messern der Islamisten sind wir alle gleich

Dastan Jasim warnt vor dem einseitigen Blick deutscher Experten auf Syrien

von Dastan Jasim  09.12.2024

Meinung

Die Siedlerfantasten in der israelischen Regierung

Ein Ex-Verteidigungsminister spricht von »ethnischer Säuberung« in Gaza. Premierminister Benjamin Netanjahu tut zu wenig, um den Vorwurf auszuräumen

von Joshua Schultheis  07.12.2024

Andreas Nachama

Gesine Schwan rechnet die Schoa gegen Israels Politik auf

Die SPD-Politikerin sollte die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit würdigen, doch ihre Rede geriet zur Anklage gegen Israel

von Rabbiner Andreas Nachama  07.12.2024