Wes Geistes Kind die Alternative für Deutschland (AfD) ist, zeigte sich heute wieder in der Debatte des Bundestags anlässlich des 30. Jahrestages des Völkermords von Srebrenica. Im Juli 1995 wurden mehr als 8300 Bosniaken von Soldaten und Freischärlern der abtrünnigen »Republika Srpska« gezielt ermordet, zerstückelt und später in Massengräbern in der Gegend verscharrt.
Gleich mehrere Redner der AfD traten in der Aussprache ans Rednerpult. Die größte Oppositionspartei im Parlament bestreitet beharrlich, dass es sich bei Srebrenica um einen Völkermord handelte. Und das, obwohl mittlerweile zweifelsfrei belegt ist, dass das Massaker an den überwiegend männlichen Bosniaken von serbischen Nationalisten systematisch geplant und in die Tat umgesetzt wurde.
Nicht so für den AfD-Abgeordneten Alexander Wolf. Die Serben hätten schließlich nur Männer erschossen und »grundsätzlich Frauen und Kinder« verschont. Deswegen könne man nicht von einem Völkermord reden. Schlimm findet Wolf, dass man dem ohnehin fragilen Staate Bosnien-Herzegowina von außen eine bestimmte Erinnerungskultur aufzwänge. Das trage gewiss nicht zur Besänftigung der Spannungen bei.
Sein Fraktionskollege Martin Sichert aus Nürnberg schlug kurz darauf in dieselbe Kerbe. Srebrenica sei lediglich »ein Teil des Jugoslawien-Krieges« gewesen. Zunächst hätten ja bosniakische Einheiten mehr als 1000 serbische Zivilisten in Dörfern um Srebrenica umgebracht. Erst dann sei es zum Massaker gegen die Bosniaken gekommen.
Was Sichert damit andeuten wollte, auch wenn er es nicht offen aussprach: Srebrenica war in dieser Lesart lediglich die serbische Reaktion auf die von Muslimen begangenen Verbrechen. Er dozierte weiter: »Im Falle Srebrenica waren die Täter der Massaker bosnische Bosnier und bosnische Serben, also Menschen, die in nächster Nähe zusammengelebt hatten und aufeinander losgingen.« Ein spontaner Gewaltausbruch also, mehr nicht. Dann kam der AfD-Mann zu seinem eigentlichen Punkt: »Wo der Staat als ordnende Macht fehlt, wird Multikulti zum Schlachtfeld der verschiedenen Gruppen gegeneinander.«
»Multikulti-Wahn«
Sichert verstieg sich zu einem abenteuerlichen Vergleich. Was »im Großen im Jugoslawienkrieg« zu sehen gewesen sei, könne man »im Kleinen heutzutage auf nahezu jedem Schulhof in Deutschland erleben«, behauptete Sichert. Und die Lehre aus Srebrenica? Es brauche eine »Leitkultur« - mit »preußischen Tugenden«.
Keine Analogie erschien dem 45-Jährigen zu abwegig. Ungeniert missbrauchte er den Jahrestag des Genozids an bosnischen Muslimen, um gegen Muslime in Deutschland zu hetzen. Deutschland sei in einem »Multikulti-Wahn gefangen«, wetterte er. Es werde gerade ein »Kalifat« auf deutschen Straßen ausgerufen. Der »Krieg gegen die ethnisch deutsche Bevölkerung« sei »im vollen Gange«, ja, man erlebe »einen Geburten-Dschihad«.
in diesem Tonfall ging es weiter. Bei Afghanen, bei Irakern, bei Syrern, so Sichert, sei die Wahrscheinlichkeit, straffällig zu werden, »mehr als viermal so hoch wie bei Deutschen«. Weiter behauptete er, »Zehntausende Frauen in Deutschland« seien von Genitalverstümmelung bedroht. Hunderttausenden drohe die »Zwangsehe«.
Es gebe hierzulande Parallelgesellschaften, in denen es zum guten Ton gehöre, »seiner Tochter Schamlippen und Klitoris wegzuschneiden«. Dann kam er auf das Thema der Debatte zurück: Solche Leute seien es, die bereit seien, Massaker wie jenes in Srebrenica vor 30 Jahren zu verüben. Sicherts Lehre aus der Geschichte? »Srebrenica mahnt uns, Multikulti zu beenden, bevor es zu spät ist.«
Täter-Opfer-Umkehr
Den Angehörigen der Opfer von Srebrenica, von denen einige auf der Zuschauertribüne saßen, muss es bei solchen Aussagen kalt den Rücken hinunter gelaufen sein. Was Sichert und die anderen AfD-Redner am Freitag im Bundestag betrieben, war der perfide Versuch, die Geschichte umzuschreiben. Es war eine klassische Täter-Opfer-Umkehr. Und es war zum Fremdschämen.
Wieder einmal hat die AfD ihr wahres Gesicht offenbart. Wieder einmal haben sich ihre Abgeordneten vor den Augen der Öffentlichkeit blamiert mit Latrinenparolen und mit Geschichtsklitterung.
Eines kann man allerdings sagen: Sicherts Auftritt heute war kein Ausrutscher. Er passt ins Bild einer Partei, für die die NS-Zeit nur ein »Vogelschiss« der Geschichte war, für deren Chefin Hitler in Wahrheit linke Politik machte und für deren Vordenker das Holocaust-Mahnmal in Berlin ein »Denkmal der Schande« ist.
Die AfD schert sich nicht um historische Wahrheiten. Sie schreibt Geschichte um, wenn es ihr in den Kram passt oder nützlich erscheint, um innenpolitisch Öl ins Feuer zu gießen.
Die AfD ist zu so ziemlich allem bereit. Am Freitag hat sie es erneut gezeigt.
thaidigsmann@juedische-allgemeine.de