Irene Miziritska

Ausgerechnet Heine!

Tino Chrupallas Forderung nach mehr deutschem Kulturgut im Unterricht scheinen meine Lehrer zu meiner Schulzeit längst nachgekommen zu sein, denn anders als der AfD-Politiker kenne ich Heinrich Heine und seine Gedichte gut und weiß: Tino Chrupalla und Heinrich Heine, das ist eine Antithese, die ihresgleichen sucht.

Aber von vorne: Alles begann harmlos bei einem Kinderinterview für das Format »logo!« für ZDFtivi. Der Kinderreporter Alexander trifft den Spitzenkandidaten der AfD Tino Chrupalla, um ihm vor der Bundestagswahl ein paar Fragen zu stellen. Dabei thematisiert er auch die Forderung Chrupallas nach mehr deutschem Kulturgut an deutschen Schulen.

LIEBLINGSGEDICHT Chrupalla führt aus, dass mehr deutsche Volkslieder und Gedichte gelehrt und so deutsche Dichter und Denker in den Schulen wieder mehr gewürdigt werden sollten. Auf die Frage des Reporters nach seinem Lieblingsgedicht muss Chrupalla nach kurzem Herumstammeln aber passen.

Alexander kommt ihm mit der Frage nach seinem Lieblingsdichter zu Hilfe – nach einem kurzen Moment antwortet Chrupalla: »Heinrich Heine«. Es ist wohl der Einzige, der ihm noch eingefallen ist. Aber ausgerechnet Heine! Und das aus dem Mund eines AfD-Politikers.

Ausgerechnet Heine – der Mann, der sich über den »Befreier Germaniens« Arminius lustig machte, der den Deutschen Bund mit seiner Kleinstaaterei und den Nationalismus verspottete, der Mann, der »Denk ich an Deutschland in der Nacht, Dann bin ich um den Schlaf gebracht« dichtete.

Heine schrieb mit spitzer Feder gegen die politischen Umstände und die Repressionen an.

Der Mann, der zeitlebens wegen seiner jüdischen Herkunft und politischen Einstellung immer ein Außenseiter geblieben war und sich Anfeindungen und blankem Antisemitismus aussetzen musste.

Heine war es, der mit spitzer Feder gegen die politischen Umstände und die Repressionen anschrieb, dem nach den Karlsbader Beschlüssen zunehmend die Zensur bis hin zu einem Publikationsverbot drohte, gegen den ein Haftbefehl erlassen wurde und der nach Paris ins Exil gehen musste.

DENKMAL Heine war es, der mit dem Versepos »Deutschland. Ein Wintermärchen« den Deutschen ein literarisches Denkmal setzte, das mit Ironie und Spott gespickt ist und welches Chrupalla, sollte er es jemals lesen, wohl alles andere als gefallen würde.

In all seinen Werken merkt man: Heine hatte ein schwer zu beschreibendes Verhältnis zu Deutschland und gleichzeitig hatte er im Innersten eine tiefe Sehnsucht nach Deutschland – einem aufgeklärten, einem anderen Deutschland.

Heine hätte sich im Grab umgedreht, hätte er gehört, wessen Lieblingsdichter er ist.

Heine, ein »entlaufener Romantiker«, wie er sich selbst nannte, ein Dichter der literarischen Epoche des Vormärz, einer, der dem aufklärerischen Gedanken anhing, würde Strömungen wie die AfD heute mit Stift und Papier bekämpfen. Rückgewandtheit und Nationalismus – Positionen, für die die AfD bekannt ist, verspottete Heine schon vor mehr als 150 Jahren.

ANTISEMITEN Chrupalla ist Spitzenkandidat und Bundessprecher der Partei, in der Antisemiten und Rechtsextreme eine Heimat gefunden haben, wie es der Zentralrat und über 60 weitere jüdische Organisationen und Verbände in einem Aufruf gegen die AfD beschreiben. Heine musste sich zeitlebens immer wieder mit Antisemiten auseinandersetzen, er wurde von ihnen angefeindet und ausgegrenzt.

Kurzum – und diese eher unliterarische Phrase sei mir verziehen –, Heine hätte sich im Grab umgedreht, hätte er gehört, wessen Lieblingsdichter er sei.

An was auch immer Tino Chrupalla bei seiner Forderung nach mehr »deutschem Kulturgut« in den Schulen genau gedacht haben mag –  zu den »deutschen Dichtern und Denkern« zählen Namen wie Kurt Tucholsky, Bertolt Brecht oder Heinrich Böll, und eine Auseinandersetzung mit ihnen und ihren Werken ist tatsächlich sehr wertvoll und zeigt, wie auch schon bei Heine, vor allem eines: Identitäten sind vielschichtig und oftmals komplex, und anders als von Populisten beschworen, gibt es unzählige Schattierungen, und die Welt ist nicht schwarz-weiß.

Solche Schulstunden wären auch Herrn Chrupalla sehr zu wünschen – vielleicht würde er dann die ein oder andere Position überdenken.

Die Autorin ist ELES-Stipendiatin und lebt in München.

Meinung

Der Weg zum Frieden in Nahost führt über Riad

Donald Trump sieht in Saudi-Arabien zunehmend einen privilegierten Partner der USA. Die Israelis müssen gemäß dieser neuen Realität handeln, wenn sie ein Abkommen mit dem mächtigen Ölstaat schließen wollen

von Joshua Schultheis  24.11.2025

Existenzrecht Israels

Objektive Strafbarkeitslücke

Nicht die Gerichte dafür schelten, dass der Gesetzgeber seine Hausaufgaben nicht macht. Ein Kommentar

von Volker Beck  23.11.2025

Kommentar

Wenn Versöhnung zur Heuchelei wird

Jenaer Professoren wollen die Zusammenarbeit ihrer Universität mit israelischen Partnern prüfen lassen. Unter ihnen ist ausgerechnet ein evangelischer Theologe, der zum Thema Versöhnung lehrt

von Tobias Kühn  21.11.2025

Kommentar

Martin Hikel, Neukölln und die Kapitulation der Berliner SPD vor dem antisemitischen Zeitgeist

Der bisherige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln ist abgestraft worden - weil er die Grundwerte der sozialdemokratischen Partei vertreten hat

von Renée Röske  21.11.2025

Meinung

Alles muss ans Licht

Eine unabhängige Untersuchungskommission über die Terroranschläge des 7. Oktober ist ein Akt von Pikuach Nefesch

von Sabine Brandes  21.11.2025

Jan Feldmann

Eine Revolution namens Schabbat

Wir alle brauchen einen Schabbat. Selbst dann, wenn wir nicht religiös sind

von Jan Feldmann  19.11.2025

Kommentar

Danke, Berlin!

Die Entscheidung der Behörden, einem Hamas-Fanboy die Staatsbürgerschaft zu entziehen, sendet ein unmissverständliches und notwendiges Signal an alle Israelhasser. Mit Mahnwachen allein können wir die Demokratie nicht verteidigen

von Imanuel Marcus  19.11.2025

Meinung

Die Schönwetterfreunde Israels sind zurück! 

Die Wiederaufnahme der Waffenexporte ist richtig und notwendig. Doch das ändert nichts daran, dass die Bundesregierung das Vertrauen Israels und vieler Juden vorerst verloren hat

von Sarah Cohen-Fantl  18.11.2025 Aktualisiert

Meinung

Mit Martin Hikel geht einer, der Tacheles redet

Der Neuköllner Bürgermeister will nicht erneut antreten, nachdem ihm die Parteilinke die Unterstützung entzogen hat. Eine fatale Nachricht für alle, die sich gegen Islamismus und Antisemitismus im Bezirk einsetzen

von Joshua Schultheis  16.11.2025