TV-Tipp

Wenn der Hass sich festsetzt

Fillmausschnitt aus »Kippa – die Reportage« Foto: O-Young Kwon | oyphoto.com

Ein Schüler wird bis zur Besinnungslosigkeit gewürgt und mit einer Replika-Pistole zum Schein hingerichtet. Kinder werden von ihrem Nachbarn bedroht. Kot in Papiertüten landet vor einem Restaurant. Wo das passiert ist? In Deutschland. Warum das passiert ist? Weil der Schüler, die Kinder und der Restaurantbesitzer Juden sind. Wann das passiert ist? Heute, gestern und in den vergangenen Jahren.

Der Film Kippa – die Reportage, den Phoenix am 28. Januar ausstrahlt, begibt sich auf Spurensuche und bietet Einblick in Erfahrungen, die Menschen mit Antisemitismus gemacht haben. Entstanden im Rahmen eines Abschlussfilms an der Hamburg Media School mit dem Titel Kippa – ein Kurzfilm, der sich mit antisemitischem Mobbing und Gewalttätigkeiten gegen einen jüdischen Mitschüler an einer deutschen Schule auseinandersetzt.

schule Die Schule als Tatort spielt häufig auch in den Erinnerungen der Menschen eine Rolle, die in der Dokumentation zu Wort kommen. Beleidigungen, Vorurteile und Vorwürfe – ausgestoßen von Kindern und Jugendlichen in einem Rahmen, der eigentlich dem Miteinander und dem Lernen gewidmet sein soll. Manche dieser Erinnerungen sind Jahrzehnte alt und immer noch erschreckend aktuell.

Der stellvertretende Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Yehoshua Chmiel, berichtet von ersten antisemitischen Erfahrungen im Kindergarten. Eva Rapaport, Gründerin eines Jugendnetzwerkes, erzählt von einem Wandertag mit pöbelnden Mitschülern. Wenzel Michalski, Deutschlandchef von »Human Rights Watch«, und die Antidiskriminierungsberaterin Sophie Brüss erzählen von Antisemitismus während ihrer Universitätszeit.

Erfahrungen mit Antisemitismus musste auch Michalskis Sohn machen, als er sich für eine Schule mit multikulturellem Ambiente entschied. Eine Schule ohne Rassismus – zumindest auf dem Papier. Die Realität sah anders aus. Sobald bekannt wurde, dass Michalskis Sohn Jude ist, wandten sich Mitschüler gegen ihn. Die Familie intervenierte, die Großeltern besuchten als Holocaust-Überlebende die Schule. Danach schien sich die Lage zu bessern, die Kinder entschuldigten sich.

mobbing Das Mobbing endete damit aber nicht. Ältere Schüler attackierten den Jungen. Eine Lehrerin der Nachbarklasse forderte ihn auf, ihren Klassenraum nicht mehr zu betreten – er störe den Klassenfrieden. Trotzdem wollte Michalskis Sohn nicht aufgeben: Er wollte zeigen, dass die Vorurteile und Ressentiments der anderen Schüler nicht der Wahrheit entsprachen.

Seine Bemühungen waren umsonst. Es kam außerhalb der Schule zu einer Attacke, die ihn bewusstlos zurückließ. Jemand legte mit einer Replika-Pistole auf ihn an und schoss. Eine schwere Demütigung für den Schüler. Zwei Lehrerinnen kontaktierten die Familie und entschuldigten sich unter Tränen. Die Eltern ließen den Jungen nicht länger in diese Schule gehen. Gespräche mit der Schulleitung blieben fruchtlos, wie es heißt.

Von Hilflosigkeit oder Ignoranz von Lehrern angesichts antisemitischer Vorfälle an Schulen berichten auch andere Menschen in dem Film. Chmiel sagt, für ihn stehe fest, dass eine Verharmlosung oder eine angstgetriebene Tatenlosigkeit von Lehrkräften nicht nur das Mobbing von jüdischen, sondern langfristig auch anderen Schülern befeuere.

muslime Kippa - Die Reportage widmet sich auch der Frage, ob der Hass auf Juden ein besonders häufiges Phänomen unter Muslimen ist. Michalski hat darauf eine klare Antwort: Mit dem Finger auf Menschen mit muslimischem Hintergrund zu zeigen, hält er für falsch. Das Problem allerdings zu verharmlosen, sei ebenfalls nicht der richtige Weg. Andere Protagonisten des Films berichten von Antisemitismus unter Muslimen. Der politische Konflikt zwischen dem Staat Israel und den Palästinensern als Argument für Hass auf alles Jüdische – im Film ist das ein Element, das immer wieder zur Sprache kommt.

Die Machart des Films besticht durch nüchterne Einfachheit: Die Worte, Geschichten und Erfahrungen jedes Einzelnen stehen im Vordergrund. Schnickschnack braucht es nicht. Der Film macht vor allem eines deutlich: Antisemitismus ist in Deutschland immer noch ein hartnäckiges Problem. Mit vielen Gesichtern.

»Kippa – Die Reportage. Antisemitismus in Deutschland« (Regie: Lukas Nathrath; Kamera und Montage: Leonard Lokai). Phoenix, 28. Januar, 18.00 Uhr, und 31. Januar, 8.30 Uhr

Geburtstag

Iris Berben wird 75

Publikumsliebling, Volksschauspielerin und Trägerin des Leo-Baeck-Preises: Am 12. August wird Iris Berben 75 Jahre alt

von Heike Hupertz  07.08.2025

Longevity

Für immer jung?

Die ZDF-Moderatorin Andrea Kiewel outet sich als Hypochonderin und beschreibt, warum man niemals zu alt ist, sich Gedanken übers Älterwerden zu machen

von Andrea Kiewel  07.08.2025

Dokumentation

»Mit tiefer Enttäuschung«

Künstler aus Thüringen üben mit einem Offenen Brief Kritik an ihren einseitig »israelkritischen« Kollegen

 07.08.2025

USA

Leg dich nicht mit Nofar an

Shahar Cohen bringt Menschen zum Lachen – auf TikTok, auf der Bühne und im Bunker. Über die Schöpfung einer sympathischen Nervensäge und seine anstehende große Tour

von Sophie Albers Ben Chamo  07.08.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  07.08.2025 Aktualisiert

Essay

Aufstand der Moralapostel

Mehr als 360 deutsche Künstler haben sich zum Gaza-Krieg positioniert und Sanktionen gegen Israel gefordert. Sie spielen das Spiel der Hamas

von Louis Lewitan  06.08.2025

Debatte

Liebe »Kulturschaffende«, liebe nützliche Idioten!

Ein Offener Brief an die 200 Künstler, die plötzlich ihr Gewissen entdecken und an Bundeskanzler Merz appellieren, aber mit keinem Wort die israelischen Geiseln erwähnen

von Jusek Adlersztejn  06.08.2025

Los Angeles

Louise Sorel wird 85

Wer »Star Trek«, »Kojak« und »Zeit der Sehnsucht« kennt, kennt Louise Sorel. Die Karriere der Darstellerin begann auf dem Broadway

 04.08.2025

Blockbuster

Von Nordsee bis Bodensee: Spielbergs »Der weiße Hai« wieder im Kino

In mehr als 250 Kinos in Deutschland wird am Dienstag Spielbergs »Jaws« gezeigt

von Gregor Tholl  04.08.2025