Porträt

Viel, viel mehr als nur »Uschi, mach kein Quatsch«

Foto: imago

Stephan Sulke zeigt sich auf Facebook ungeschminkt. Im Dezember zum Beispiel im Bademantel und mit Zigarre im Mund. »Ich glaub ich spinn, ich bin normal« blödelt er in die Kamera. Das wäre eine Zeile für das nächste Sulke-Lied. Seit mehr als 50 Jahren besingt der Schweizer das schnöde Leben, zynisch, bissig, lustig, traurig.

Anfang der 80er Jahre landete er mit »Uschi, mach kein Quatsch« in Deutschland seinen größten Hit. Er schreibt immer noch viele Songs, sagt er kurz vor seinem 80. Geburtstag (27.12.): »Ich finde, dass man geistig gar nicht älter wird. Ich bin derselbe Kindskopf, der ich immer war.«

Allerdings klingt er auf dem neuen Album, das im Frühjahr 2024 herauskommen soll, ziemlich melancholisch. In einem der noch unveröffentlichten Songs heißt es: »Die schönsten Bilder bleichen mit der Zeit/im Fotoalbum der Vergangenheit/bis irgendwann auch die Vergangenheit/zerfließt im Dunst der Niegewesenheit.« »Das Phänomen der Vergänglichkeit hat mich immer fasziniert«, sagt Sulke. »Dinge sind irre wichtig und irgendwann sind sie einfach verschwunden.«

»Niedagewesenheit«: Solche lyrischen Wortschöpfungen sind Sulke pur. Wenn andere sich nicht aufraffen können, um etwas fertig zu bringen, sprechen sie vom Kampf mit dem inneren Schweinehund. Sulke nennt das Phänomen, das er gut kennt, dagegen poetisch »eine seltsame Seelenkurve«. Aus dieser Kurve kommt er zum 80. Geburtstag aber raus: Nicht nur das Album, auch eine Tournee hat er für 2024 geplant, mit Stationen unter anderem in Lübeck, Hamburg, Frankfurt, Düsseldorf, Unna. Ende April soll es losgehen.

In seinen Promi-Zeiten in den 80er Jahren füllte Sulke große Arenen, heute spielt er auf kleineren Bühnen, und das gerne, sagt er. Er möge es, das Publikum riechen zu können. Damals, das war die Zeit des Uschi-Ohrwurms: »Ich werd dich auch nie wieder küssen ohne erst zu fragen/nie wieder mich an deinen Busen wagen«. Zynisch nahm er damit die Emanzipationsbewegung aufs Korn.

Zynisch war auch das Lied »Europa«, aus einem Album von 2017. Darin geht es um die akribische Mülltrennung, die Entsorgung giftiger Stoffe in Afrika, Kinderarbeit und Hungerlöhne in Asien, damit in reichen Ländern billige Klamotten gekauft werden können. »Hey Leute, ich wohn’ in Europa/Grosses Maul, Presse frei, find ich ganz normal. Und der Rest ist mir scheißegal.«

»Ich bin noch bissiger und ungeduldiger geworden«, sagt Sulke. »Ungeduldig mit Dummheit, blanker Bosheit und Absurdität.« Aber er sei auch gelassener. »In Anbetracht der Beleidigungen, die die Natur einem antut, indem sie einen älter werden lässt, in Anbetracht dieses langsamen Zerfalls bei lebendigem Leibe, da bin ich bescheidener geworden. Ich halte mich jeden Tag für weniger wichtig.«

So spricht der Mann, der sich selbst als Egoisten bezeichnet. Warum seine Frau Rosanna es trotzdem 50 Jahre mit ihm ausgehalten hat, erklärt er so: Sie sei ordentlich, er selbst nicht. »Aber als Egoist möchte ich es angenehm mit ihr haben. Also knicke ich ein, um meinen Frieden zu haben.«

Seine Eltern, Berliner Juden, waren vor den Nationalsozialisten in das Shanghaier Ghetto geflüchtet, ein Areal von rund 2,5 Quadratkilometern, in dem mehr als 20.000 jüdische Flüchtlinge lebten. Dort habe der Vater »Baumwollabfälle an die Japaner verkauft«.

1949 starb sein Vater, und Sulke wuchs in der Schweiz auf, wo seine Mutter wieder geheiratet hatte. Leider verkaufte sie damals die deutschen Aktien, die der Vater noch erworben hatte, »lauter unbekannte Firmen: Siemens, Daimler und, und, und. Sie hätte gescheiter die Aktien behalten sollen, dann wäre ich wohl später nie auf die Idee gekommen, Musik zu machen, sondern wäre so ein kleiner Rothschild oder Rockefeller geworden«.

Er bezeichnet die vielen Einflüsse, das Multikulti, als eine »schmerzhafte Bereicherung«. Einerseits schön, andererseits fiele Leuten wie ihm immer etwas ein, das an einem anderen Ort schöner oder besser war. Heute leben die Sulkes in Frankreich, ohne Kinder.

Feiern will Sulke seinen Geburtstag nicht. »Ich hasse Feste«, sagt er, seine Frau liebe sie dagegen. Sulke, ganz Egoist, der es mit seiner Frau angenehm haben will, hat einen Kompromiss gemacht: Er bekommt seine Ruhe an dem Tag, dafür wird ihr runder Geburtstag ein paar Wochen später groß gefeiert. Am 27. Dezember gibt es im Hause Sulke deshalb nur einen guten Wein, oder auch zwei.

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