Musik

Und dann kam Uschi ...

Der Schweizer Sänger Stephan Sulke, der am 27. Dezember seinen 75. Geburtstag feiert Foto: imago

»Ich werd dich auch nie wieder küssen ohne erst zu fragen/nie wieder mich an deinen Busen wagen«: ein Song, der sich mit der brandaktuellem Thematik der #MeToo-Debatte über sexuelle Belästigung beschäftigt – möchte man meinen. Nur: Das Lied ist mehr als 30 Jahre alt, ein Ohrwurm aus den 80er-Jahren.

Die Zeilen stammen aus Stephan Sulkes Hit »Uschi, mach kein Quatsch«. Sulke legt immer noch den Finger in die Wunden, bissig, zynisch, traurig oder lustig. »Ich bin aber kein Moralfritze, ich will nicht belehren«, sagte er unlängst kurz vor seinem 75. Geburtstag. »Ich will das Schöne und den Horror, der in meiner Seele rumrennt, rüberbringen.«

Seine jüdischen Eltern flüchteten aus Berlin nach Shanghai.

CHINA Davon gibt es jede Menge. Denn Sulke ist rumgekommen, ein früher Weltbürger mit Wurzeln in mehreren Kontinenten. Seine Eltern, Berliner Juden, waren vor den Nationalsozialisten in das Shanghaier Ghetto geflüchtet, ein Areal von rund 2,5 Quadratkilometern, in dem mehr als 20.000 jüdische Flüchtlinge lebten. Dort habe der Vater »Baumwollabfälle an die Japaner verkauft«.

1949 starb sein Vater, und Sulke wuchs in der Schweiz auf, wo seine Mutter wieder geheiratet hatte. Leider verkaufte sie damals die deutschen Aktien, die der Vater noch erworben hatte, »lauter unbekannte Firmen: Siemens, Daimler und, und, und. Sie hätte gescheiter die Aktien behalten sollen, dann wäre ich wohl später nie auf die Idee gekommen, Musik zu machen, sondern wäre so ein kleiner Rothschild oder Rockefeller geworden«, sagte Sulke 2017 im Gespräch mit dieser Zeitung.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Mit 14 kaufte sich Stephan Sulke eine Gitarre. Sechs Jahre später, 1963, erschien seine Single »Mon Tournedisque« in Paris. Seine ersten Lieder veröffentlichte er in Frankreich und den USA, wo er als »A Swiss to watch« bei einer Plattenfirma in Nashville landete. Doch schon kurz darauf hatte er vom amerikanischen Showgeschäft die Nase voll.

Zurück in der Schweiz, unternahm er Ausflüge in die Jazz‐ und Popszene, studierte Rechtswissenschaft und gründete in London eine Firma für Studiotechnik. Ab 1974 erschienen seine Songs auch auf Deutsch, er schrieb unter anderem Texte für Katja Ebstein und Erika Pluhar – und dann kam »Uschi«.

Sulke hat viel zu sagen. Es sprudelt nur so aus ihm hervor.

»Die vielen Einflüsse, das Multikulti, es ist eine oft schmerzhafte Bereicherung«, sagt Sulke. »Manchmal beneide ich den Bergbauern, dessen Familie seit 800 Jahren im selben Kaff wohnt, der nichts anderes kennt. Der hat eine Sicherheit. Eine Sicherheit, dass die Welt so ist, wie er sie sieht. Einer wie ich, der flattert durch die Gegend wie ein Blatt und vergleicht immer: Hier ist dies besser, dort das andere.» Er könne sehr deutsch sein, sagt der Schweizer. »Oder auch nicht.«

ANEKDOTEN Sulke hat viel zu sagen. Es sprudelt nur so aus ihm hervor, zu jedem Thema hat er ein, zwei Anekdoten parat. Es darf auch deftig sein, und bei manchem Thema platzt ihm fast der Kragen. Jugend zum Beispiel. »Jugend an sich interessiert mich nicht wirklich«, sagt er.

Er ist ein Egoist, wie er im Buche steht. Sagt Sulke über Sulke.

Und weiter: »Ich kann auch bissig gegen Jugendliche werden, wenn sie mit übertriebener Selbstverliebtheit daher kommen, oder gedankenlos mit von irgendwelchen debilen Erwachsenen aufgegabeltem Weltuntergangsgequatsche antraben.« Kinder hat Sulke nicht. Er lebt mit seiner Partnerin in Südfrankreich.

Ein Egoist, wie er im Buche steht. Sagt Sulke über Sulke. »Ich mache das, weil es mir Spaß macht, die Musik muss MIR gefallen.« Das war nicht immer ganz so. In den 80er-Jahren füllte er große Säle, und stellte plötzlich fest, dass sich nur noch alles um »die Kohle« drehte, wie er sagt. Er hörte 1988 auf, ging ins Immobiliengeschäft, bis nach zwölf Jahren das Heimweh zur Bühne nagte.

PUBLIKUM Heute ist Sulke lieber auf kleinen Bühnen unterwegs, wie im Frühjahr 2019 in Duisburg, Bonn, Unna. »Wo man den Geruch des Publikums mitbekommt. Da hat man Spaß, und in meinem Alter ist das alles, was zählt im Leben«, sagt er vergnügt. Für Ende 2019 ist ein neues Album geplant, mit Neuem und neu interpretierten alten Lieblingssongs.

Das Wort »Liedermacher« mag Sulke überhaupt nicht.

Als Liedermacher bezeichnet zu werden, quält ihn etwas. »Ich finde, dass das Wort so einen Farbstich nach langen, fettigen Haaren, Gesundheitssandalen und Moralpredigt hat, irgendwie Luther«, sagt er. »Pop-Musikus« gefalle ihm besser, im Sinne von »populär«.

Den Hit »Uschi« von 1982 enthält Sulke seinem Publikum auf der Bühne eigentlich auch nie vor. »Der Text ist so hinterhältig und zynisch, und er hält den Leuten den Spiegel vor», sagt er. »Nur haben die Leute damals, glaub ich, gar nicht richtig hingehört, das wurde einfach zum Volkslied. Erst heute verstehen die Menschen die Ironie. Eigentlich ist er brandaktuell. Wie ein Beitrag zur #MeToo-Debatte.«

BISSIG Sulke pur, mit Ironie und Bissigkeit, ist auch »Europa«, aus dem Album Liebe ist nichts für Anfänger von 2017. Er besingt die akribische Mülltrennung, die Entsorgung giftiger Stoffe in Afrika, Kinderarbeit und Hungerlöhne in Asien für billige Klamotten.

Und dann: »Hey Leute, ich wohn in Europa/Grosses Maul, Presse frei, find ich ganz normal. Und der Rest ist mir scheißegal.«  (mit ja)

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 29.03.2023

Berlin

Staatsoper Berlin mit Saison nach Barenboim

Als Dirigent ist er weiterhin beteiligt. Für einige Konzerte ist er eingeplant

von Gerd Roth  29.03.2023

Glosse

Über Charlie Chaplin und andere Scheinjuden

Wie konnte sich die Geschichte von Chaplins Jüdischsein so lange halten?

von Joshua Schultheis  28.03.2023

Studie

Der Chili-Junge

Wie ein Elfjähriger mit einer einzigartigen Genmutation zum Hoffnungsträger in der Schmerzforschung wurde

von Lilly Wolter  28.03.2023

Literatur

Uneitles Dokument

Der Schauspieler Lenn Kudrjawizki hat seine Familie porträtiert – ein sensibles Erkunden der eigenen Wurzeln

von Knut Elstermann  28.03.2023

Musik

Jeff Goldblum, der Jazz-Pianist aus Hollywood

Hollywood-Star Jeff Goldblum ist nicht nur ein begnadeter Schauspieler, sondern auch ein passionierter Musiker. Er tritt als Jazz-Pianist auf - und das ziemlich erfolgreich. Gerade hat er mit seiner Band eine neue Platte aufgenommen

von Silke Sullivan  28.03.2023

Antisemitismus

Kanye behauptet, Juden wieder zu lieben

Der Rapper sorgte mit judenfeindlichen Aussagen für Empörung. Nun will er seine Meinung geändert haben

 27.03.2023

Berlin

»Solche Bilder vergisst man nicht«

Die Schau »Flashes of Memory« aus Yad Vashem zeigt Aufnahmen aus dem Holocaust

von Nina Schmedding  27.03.2023

Kino

»Ich stand immer auf Filme«

Sein nächstes – und letztes – Werk soll von der legendären jüdischen Filmkritikerin Pauline Kael handeln

von Anke Sterneborg  27.03.2023