Literatur

Mahner, Warner, Unbequemer

»Oj-weh-iss-mir-Komplex«: Stefan Heym (1913–2001) Foto: imago stock&people

Literatur

Mahner, Warner, Unbequemer

Vor 20 Jahren starb Stefan Heym, einer der bedeutendsten Schriftsteller der DDR

von Marko Martin  16.12.2021 08:36 Uhr

»Ich bin, das sag ich Ihnen lieber gleich, der glückliche Besitzer von was man kann nennen einen Oj-weh-iss-mir-Komplex. Das ist gewesen nicht immer so bei mir.«

Wer hätte die gewitzte Gelassenheit solcher Sätze je mit Stefan Heym assoziiert? Und doch: Kurz nachdem der hochbetagte Schriftsteller am 16. Dezember 2001 am Toten Meer gestorben war, publizierte dessen Frau Inge seine letzten Erzählungen unter dem Titel Immer sind die Männer schuld. Er selbst erscheint darin als einer, der sich seiner Altersmarotten nun gewisser ist als seinem öffentlichen Status als »Mahner und Warner«.

CAMOUFLAGE Besonders in den Jahren nach dem Mauerfall hatte der 1913 in Chemnitz als Helmut Flieg geborene Schriftsteller nicht wenige seiner Bewunderer höchst irritiert: als mitunter ziemlich selbstgerechter DDR-Nostalgiker nach dem Ende jenes Staates, dessen miese Verfasstheit er doch zuvor in seinen Büchern, tagesaktuell oder in historischer Camouflage, immer wieder thematisiert hatte – und überdies 1994 für ein Jahr als Bundestagsabgeordneter der nunmehr umbenannten Partei seiner einstigen Peiniger.

Irgendwann aber schien dann der Wunsch, als Sockel-»Unbequemer« im Rampenlicht zu stehen, verschwunden zu sein, sodass sich in dieser letzten, autobiografisch grundierten Prosa plötzlich sehr viel sympathische Selbstironie fand.

Nun, 20 Jahre nach Stefan Heyms Tod, hat sein Verlag Bertelsmann eine 28-bändige digitale Werkausgabe herausgebracht, die noch einmal die ganze Bandbreite im Leben und Werk eines Jahrhundertzeugen zeigt, der 1933 aus Nazideutschland nach Prag geflohen und von dort in die Vereinigten Staaten emigriert war, ehe er 1944 als Sergeant der US-Armee nach Europa zurückkehrte.

MCCARTY Später durch die McCarthy-Hysterie dazu gebracht, seinen Kriegs­orden und die amerikanische Staatsbürgerschaft zurückzugeben, siedelte er 1952 in die DDR über, löckte dort immer deutlicher gegen den Stachel und unterzeichnete die Protestresolution gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns mit.

Es ist gewiss kein Zufall, dass ihn in seinem Schreiben vor allem die biblische Geschichte und die jüdische Tradition inspirierten. Insbesondere im König David Bericht, der 1972 erschienenen Geschichte des Historikers Ethan Ben-Hoshaja am Hof König Salomos, ist das Spannungsfeld zwischen Ethik, Religion und Macht(kritik) auf geniale Weise beschrieben. Wolf Biermann bezeichnete Heyms Roman-Protagonisten seinerzeit als »tapfer-feigen Intellektuellen«, der gewiss auch ein Selbstporträt des Verfassers gewesen war.

Während dann im Roman Ahasver der alte antisemitische Topos vom »wandernden Juden« klug umfunktioniert wurde – nunmehr nämlich ist von einem Aufrührer die literarische Rede, der die Jahrhunderte durchstreift und schließlich sogar in die DDR kommt. Auch da war Stefan Heym immer am besten – wenn er seiner Fähigkeit zur reflektierten Ironie freien Lauf ließ.

»FLAMMENDER FRIEDEN« Im amerikanischen Exil hatte er gelernt, was ein Plot ist und wie Spannungsliteratur funktioniert. Sein unter dem Titel Flammender Frieden nun erstmals auf Deutsch erschienener Roman, der bereits 1944 in Boston veröffentlicht wurde, zeigt sein enormes erzählerisches Können und psychologisches Gespür anhand einer Militär- und Spionagegeschichte an der nordafrikanischen Weltkriegsfront (C. Bertelsmann, 477 S., geb,. Euro 24).

Sein Protagonist Bert Wolff ist ein jüdischer deutscher Antinazi, der bereits im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft hat und nun in Französisch-Algerien einem seiner alten Widersacher entgegnet, dem ebenso gebildeten wie zynischen Wehrmachtsoffizier von Liszt.

Dazwischen: Vichy-Franzosen in mehreren Graden der Undurchsichtigkeit, eine geheimnisvolle femme fatale (quasi Heyms Tribut an die Gesetze des Genres) und dazu allerlei wohlmeinende amerikanische Militärs, die noch nicht verstanden haben, wie fragil ihre militärischen Siege über Rommels Nazis sind - und wie wenig diese sich um Fairness scheren.

Als Wolff nach zahlreichen Verwicklungen und Fluchten seinen Gegenspieler schließlich dingfest machen kann, entpuppt sich dieser als wortreicher Nihilist, der Werte wie Ethik und Demokratie als Schimären denunziert, aber   schließlich nicht allein rhetorisch überzeugend in die Schranken gewiesen wird - mit den Amerikanern sind nicht nur die besseren Argumente, sondern auch die Waffen, um diesen Geltung zu verschaffen.

KREUZFAHRER Ohne je in die Untiefen eines papierenen Ideenromans abzudriften, verhandelt Heym hier ein Sujet, das bis heute nichts von seiner Aktualität verloren hat. Auch wenn der Autor dieses Buch später lediglich als Vorstufe zu seinem Weltkriegs-Epos The Crusaders/Kreuzfahrer von heute sah – bereits dieser frühe Roman zeigt sein enormes erzählerisches Können und psychologische Gespür und kann sich sehr wohl mit den Kriegsromanen eines Herman Wouk oder James Michener messen.

Zwei Jahrzehnte nach Heyms Tod bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, diesen widersprüchlichen und wohl gerade deshalb so faszinierenden Jahrhundert-Schriftsteller neu zu entdecken.

Stefan Heym: »Flammender Frieden«. C. Bertelsmann, München 2021, 477 S., 24 €

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