Reportage

Jiddisch war nie weg

»Nahrung wird den Krieg entscheiden«: Aufruf in Jiddisch an jüdische Einwanderer zum sparsamen Umgang mit Lebensmitteln (USA, 1917) Foto: dpa

Ein junger Journalist berichtet über seinen Vater, der Jiddisch sprach. Hin und wieder bekommt man Musiktipps zu Bands mit jiddischen Melodien, etwa »Quadro Nuevo«. Und Netflix plant eine neue Serie, in der neben Englisch auch Jiddisch zu hören sein wird – Drehort Berlin. Was hierzulande durchaus exotisch anmutet, ist andernorts üblich – etwa in einigen Vierteln Antwerpens oder New Yorks. Und bereits 1978 erhielt Isaac Bashevis Singer, jiddischer Schriftsteller, den Literaturnobelpreis.

Die Netflix-Serie Unorthodox mit Shira Haas und Jeff Wilbusch beruht auf dem gleichnamigen Bestseller von Deborah Feldman. Ihre Muttersprache ist Jiddisch. Die 1986 geborene Feldman wuchs in der chassidischen Gemeinde im New Yorker Stadtteil Williamsburg auf. Ihr autobiografisches Buch erzählt von einer Frau, die aus einer ultraorthodoxen Gemeinschaft und vor einer arrangierten Ehe nach Berlin flieht und sich ein neues Leben aufbaut.

Vor der Schoa haben mehr als 11 Millionen menschen Jiddisch gesprochen.

LEHRSTUHL Stichwort Williamsburg: Ebenso wie Brooklyn und Borough Park ist dieser New Yorker Stadtteil eines der weltweiten Zentren, in denen Jiddisch gesprochen wird, wie Marion Aptroot, Inhaberin des Jiddisch-Lehrstuhls an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, sagt. Hinzu kommen etwa Kiryas Joel nahe New York, Antwerpen und das israelische Bnei Brak – Orte, an denen jeweils eine große (ultra-)orthodoxe Community zuhause ist.

Dort hört man die Sprache auf der Straße, in Geschäften oder liest sie in Publikationen. Nach Angaben der Abteilung für Jiddische Kultur, Sprache und Literatur der Uni Düsseldorf ist die genaue Zahl der Sprecher heute nicht bekannt. Schätzungen bewegten sich zwischen 100.000 und einer Million. Vor dem Zweiten Weltkrieg habe es etwa 11 Millionen Sprecher gegeben.

Schon damals haben viele Juden das Jiddische aufgegeben und sich an die Nationalsprachen der Staaten assimiliert, in denen sie lebten. Während der Schoa ermordeten die Nationalsozialisten einen großen Teil der Sprecher. Und nicht nur das: Die Wissenschaftler erinnern auch daran, dass der stalinistische Terror und andere Repressionen in den früheren Ostblock-Staaten darüber hinaus zum Rückgang der Sprache beigetragen haben.

FLUCHT Erste Formen des Jiddischen entstanden vor dem 12. Jahrhundert im deutschen Süden auf Basis mittelhochdeutscher Dialekte und entwickelten sich zu einer eigenen Sprache. Wegen der Auswanderung im 19. Jahrhundert und der Verfolgung durch die Nationalsozialisten im 20. Jahrhundert verbreitete sich Jiddisch über die Welt.

Und heute? »Von einer Renaissance, wie immer mal wieder zu lesen ist, kann nicht die Rede sein«, sagt Professorin Aptroot. »Jiddisch war nie weg.« Bestimmte Gruppen seien aktiv, eben Ultraorthodoxe. Es gibt jiddische Kinderbücher und Schulen, in denen die Sprache gesprochen wird. Aptroot berichtet mit Blick auf den jüngsten Masernausbruch in New Yorker orthodoxen Gemeinschaften von Informationen, die die Stadt auf Jiddisch verbreitet.

»Von einer Renaissance, wie immer mal wieder zu lesen ist, kann nicht die Rede sein«, sagt Professorin Aptroot.

TRIER In Deutschland existiert neben Düsseldorf auch ein Lehrstuhl für Jiddisch in Trier. Der Duden gab kürzlich sein Jiddisches Wörterbuch in dritter Auflage heraus. Vor ein paar Monaten erschien Uwe von Seltmanns ambitioniertes Buch Es brennt. Mordechai Gebirtig, Vater des jiddischen Liedes. Und wer nutzt nicht mal Wörter wie »Zoff«, »schmusen« oder »Schlamassel«?

Im Alter von 19 Jahren fing Alina Bothe an, Jiddisch zu lernen – und blieb dabei. Vor sieben Jahren übersetzte sie sogar einen Roman ins Deutsche: Grenadierstraße von Fischel Schneersohn über jüdisches Leben im Berlin der 1920er-Jahre. Dort lebt auch Bothe (36). Als Historikerin nutze sie Jiddisch, um Quellen zu erschließen – oder in Gesprächen mit Holocaust-Überlebenden.

»Ich sehe ein zunehmendes Interesse in der Wissenschaft«, sagt Bothe. Eine Renaissance des Jiddischen macht auch sie nicht aus, wohl aber Interesse und Hinwendung – jedoch nicht in der Alltagskultur. Trotz aller Modernität des Jiddischen sagt Bothe auch: »Jiddisch zu sprechen und zu schreiben, kann auch ein Gedenkakt für eine untergegangene Welt sein.«

Berlin

Mut im Angesicht des Grauens: »Gerechte unter den Völkern« im Porträt

Das Buch sei »eine Lektion, die uns lehrt, dass es selbst in den dunkelsten Zeiten Menschen gab, die das Gute dem Bösen vorzogen«, heißt es im Vorwort

 17.09.2025

Israel

»The Sea« erhält wichtigsten israelischen Filmpreis

In Reaktion auf die Prämierung des Spielfilms über einen palästinensischen Jungen strich das Kulturministerium das Budget für künftige »Ophir«-Verleihungen

von Ayala Goldmann  17.09.2025

Berlin

»Stärker als die Angst ist das menschliche Herz«

Die Claims Conference präsentiert in einem Bildband 36 Männer und Frauen, die während der Schoa ihr Leben riskierten, um Juden zu retten

von Detlef David Kauschke  17.09.2025

Auszeichnung

Theodor-Wolff-Preis an Journalisten vergeben

Der Theodor-Wolff-Preis erinnert an den langjährigen Chefredakteur des »Berliner Tageblatts«, Theodor Wolff (1868-1943)

 17.09.2025

Los Angeles

Barbra Streisand über Dreh mit Robert Redford: »Pure Freude«

Mit dem Klassiker »The Way We Were« (»So wie wir waren«) brachen die beiden Stars in den 70er-Jahren Millionen Herzen. Nach dem Tod von Redford blickt Hollywood-Ikone Streisand zurück auf den Dreh

von Lukas Dubro  17.09.2025

Kritik

Toni Krahl hat »kein Verständnis« für israelfeindliche Demonstrationen

Was in der Region um Israel passiere, sei ein Drama, das sich über Jahrzehnte entwickelt habe, sagte Krahl

 17.09.2025

Berlin

Für Toleranz, Demokratie: Margot Friedländer Preis vergeben

Es ist die erste Preisverleihung nach dem Tod der Stifterin. Ausgezeichnet wird der Einsatz für die Ideale der im Frühjahr gestorbenen Holocaust-Überlebenden

 17.09.2025

Hochstapler

»Tinder Swindler« in Georgien verhaftet

Der aus der Netflix-Doku bekannte Shimon Hayut wurde auf Antrag von Interpol am Flughafen festgenommen

 16.09.2025

Eurovision Song Contest

Streit um Israel: ESC könnte wichtigen Geldgeber verlieren

RTVE ist einer der fünf größten Geldgeber des Eurovision Song Contest. Umso schwerer wiegt der Beschluss, den der spanische Sender verkündet

 16.09.2025