»Alles andere als ein Kinderspiel«

Friede den Hütten

Spielen mit Meeresbrise Foto: Stephan Pramme

»Alles andere als ein Kinderspiel«

Friede den Hütten

Yishai Sarid lässt eine Kindergärtnerin gegen Bauspekulation in Tel Aviv ankämpfen

von Harald Loch  08.10.2014 09:56 Uhr

Das Leben ist auch in Tel Aviv Alles andere als ein Kinderspiel. Yishai Sarid kennt sich aus. Er ist dort 1965 geboren und lebt heute in der Stadt als Rechtsanwalt und Autor. Dem deutschsprachigen Publikum ist Sarid durch seinen Politthriller Limassol 2010 bekannt geworden. Jetzt liegt sein herzerwärmender Roman Alles andere als ein Kinderspiel in der Übersetzung von Helene Seidler vor.

Erzählt wird von dem privaten Kindergarten, den Naomi nahe am Strand betreibt. Diese bevorzugte Lage weckt Begehrlichkeiten. Filetstücke am Meer sind auch in Tel Aviv nicht Kindern vorbehalten. Den ganzen Roman durchzieht Naomis immer aussichtsloserer Kampf gegen den ebenso eleganten wie kalten Architekten und Immobilienentwickler Landesmann, der auf dem Gelände des Kindergartens ein Luxusgebäude mit teuren Eigentumswohnungen errichten will.

Yishai Sarid praktiziert selbst als Anwalt, beherrscht effektvolle Gerichtsszenen und errichtet entlang dem immer wieder in den Kindergartenalltag hineinplatzenden Prozessgeschehen einen den ganzen Roman überwölbenden Spannungsbogen.

testament Eigentümer des Grundstücks ist ein betagter wohlhabender Amerikaner, Hershi Kaplan. Er hängt an dem Kindergarten, den er alljährlich besucht, und versichert bei seiner letzten Visite Naomi, er werde testamentarisch verfügen, dass das Grundstück dem Kindergarten für immer zur Verfügung stehen solle. Doch nach Amerika zurückgekehrt, stirbt Hershi. Naomi kann sein Versprechen nicht beweisen, ein Testament liegt ihr nicht vor.

Mit zusammengeliehenem Geld erreicht die Kindergärtnerin zunächst einen Aufschub der Räumung, muss sich aber dann, von einem versoffenen Anwalt schlecht und ungetreu vertreten, vor Gericht mit einem Auszugstermin einverstanden erklären. Dass am Schluss des Romans ein glücklicher Ausgang winkt und der Kindergarten gerettet wird, hofft der Leser die ganze Zeit. Die Rettung kommt dann auch, allerdings unvermittelt wie ein Deus ex Machina.

Diesen Spannungskern verwendet Sarid, um das bei aller Dramatik weitergehende Leben des kleinen Kindergartens zu schildern. Die Eltern sind oft zu sehr mit ihren eigenen Problemen belastet, als dass sie ihren Kindern die lebensnotwendige Nähe und Wärme bieten könnten. Das machen die drei Erzieherinnen mit Bravour wett. Neben Naomi sind das Sima, die mit wenig Geld für alle schmackhaftes Essen kocht, und die schöne Julia, die sich im Lauf des Romans mühsam von ihrem unpassenden Lover trennt.

Sehr schön erzählt Sarid von den Festen zu den Feiertagen. Purim, Pessach und Chanukka werden nicht in orthodoxer Strenge, sondern kindgerecht und freudig begangen. Die liebevolle Zuwendung, die die drei Erzieherinnen den Kindern zukommen lassen, überträgt sich auf die Leser. An solchen Stellen entwickelt sich der Roman zu einem Plädoyer für Kinder, das weit über Tel Aviv hinaus wirken dürfte.

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Ein weiterer Strang ist Naomis Lebensgeschichte. Sie hatte 25 Jahre zuvor mit ihrem damaligen Mann in einem Kibbuz gelebt, wo ihr gemeinsamer Sohn Noam geboren wurde. Nach einem Überfall auf den Kibbuz zog die Familie nach Tel Aviv. Doch Naomis Mann ging bald wieder in die Siedlung zurück. Noam ist inzwischen 23 Jahre alt und der Mutter sehr entfremdet. Nur langsam gelingt ihr eine Annäherung an ihn. Sie kann ihn bei einem seiner seltenen Besuche dafür gewinnen, den Kindern Malen und Zeichnen beizubringen.

Doch von Noam gehen auch neue Probleme aus. Neben die Gier nach attraktiven Immobilien und nach Geld tritt eine Atmosphäre von persönlicher Rache und Bedrohung. Auch in den unausgesprochenen Verwünschungen, die Naomi insgeheim gegen Landesmann ausstößt, stecken brutale Gewaltfantasien. Trotzdem – oder vielleicht auch deswegen – bleibt die bald 50 Jahre alte, betont attraktive Kindergärtnerin die Sympathieträgerin des Romans, vor allem, als sie sich in den Vater eines der Kinder verliebt, einen Musiker. Dem Autor gelingen schöne, zartempfundene, nie indiskrete Szenen einer zunächst scheuen, sinnlichen Liebe.

Die unterschiedlichen Stränge der Handlung sorgen für Abwechslung, schaffen durch Kontraste auch deutliche Akzente. Der Ernst mancher Facetten wird immer wieder mit erzählerischen Mitteln aufgebrochen. Sarid erdrückt den Leser nicht, sondern lässt dem Roman die Chance, als leichte, eher unterhaltsame Lektüre genossen zu werden. Das Buch beglückt nicht nur durch den unverhofft guten Ausgang, sondern besonders durch die im Text immer wieder eingeforderte alltägliche Menschlichkeit.

Yishai Sarid: »Alles andere als ein Kinderspiel«. Roman. Deutsch von Helene Seidler. Kein & Aber, Zürich/Berlin 2014,
335 Seiten, 18,60 €

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