Biologie

Fadenwurm mit Mathe-Gen

Mit nur zwei Zellen vollbringt das Tier komplexe Rechenleistungen. Foto: Getty Images

Der Duft frischer Backwaren kann auf Menschen wie ein Magnet wirken. Sobald er in die Nase dringt, will man unbedingt dorthin, von wo der Geruch von Brötchen und Kuchen kommt. Für Menschen ist das keine große Herausforderung. Wir verfügen über eine breite Palette hochentwickelter Sinnesorgane und können im Regelfall sofort die Quelle der Leckereien orten und ansteuern – und uns den Bauch vollschlagen.

Bei anderen Lebewesen sieht das schon ein wenig komplizierter aus. Vor allem bei Würmern. »Trotzdem sind sie bei der Suche nach Nahrung in der Lage, so etwas wie Differentialgleichungen zu lösen«, erklärt Alon Zaslaver. »Natürlich geschieht das Ganze völlig unbewusst«, so der Neurogenetiker von der Hebräischen Universität in Jerusalem. Gemeinsam mit seinen Studenten hat er den Nematoden Caenorhabditis elegans, vulgo Fadenwurm, näher unter die Lupe genommen und dabei dessen erstaunliche mathematische Talente entdeckt. Die Ergebnisse seiner Forschung wurden jüngst im Fachblatt »Nature Communication« veröffentlicht.

Gerüche »Die Fähigkeit von Tieren, effektiv Nahrungsquellen zu lokalisieren und an diese zu gelangen, ist für ihr Überleben von zentraler Bedeutung«, bringt es Zaslaver auf den Punkt. Oder anders ausgedrückt: Wer zuerst kommt, mahlt nicht, sondern frisst zuerst. »Aber wie ist ein Lebewesen in der Lage, konkrete Gerüche zu dechiffrieren, einzuordnen und anschließend die korrekte Richtung einzuschlagen?« Vor allem dann, wenn nicht einmal ein Gehirn vorhanden ist, wie bei den Fadenwürmern. Auch gibt es keine kleinen Näschen, mit denen der Fadenwurm schnuppernd losziehen kann.

Die Antwort klingt erst einmal kompliziert. »Aufeinander abgestimmte rhythmische sowie gestaffelte Dynamiken ermöglichen effiziente Chemotaxis beim Caenorhabditis elegans.« Der Wissenschaftler übersetzt diesen Satz folgendermaßen: »Man soll sich einfach vorstellen, wie es ist, mit geschlossenen Augen einen frisch gebackenen Brownie in einem Raum zu lokalisieren. Dabei wird ausschließlich die Nase benutzt, wobei das Ganze sehr nach dem alten Suchspiel für Kinder ›Heiß oder kalt‹ funktioniert.«

Wird der Geruch stärker, wissen alle, dass sie auf der richtigen Fährte sind. Schwächt dieser aber ab, verhält es sich genau umgekehrt. »Verlassen wir uns also ausschließlich auf unser olfaktorisches System, stellt unser Kopf ganz automatisch einige Algorithmen an«, beschreibt der Experte diese Abläufe. »Deshalb bewegen wir uns in die korrekte Richtung, was unserem Gehirn wiederum signalisiert, dass das, was wir gerade machen, auch wirklich gut und richtig ist.«

Neuronen Bei Würmern sind für diese komplexen Prozesse nur zwei chemosensorische Neuronen unterschiedlichen Typs nötig. Ein sogenanntes AWA-Neuron, das Differenzen mittels stochastischer rhythmischer Dynamiken kodiert, sowie ein AWCon, der diese Aufgabe deterministisch in abgestufter Weise erledigt. »Diese beiden exerzieren quasi das Spiel von ›Heiß oder kalt‹ durch«, so Zaslaver. »Dabei gibt es aber einen kleinen Twist.« Denn die eine neuronale Zelle nimmt den Geruch von Nahrung auf und schickt den Wurm los. Sie bleibt die ganze Zeit über aktiv und hält den Caenorhabditis elegans auf Spur, wenn der Geruch sich verstärkt. Schwächt er aber ab, stoppt sie den glitschigen Genossen und entscheidet sich für eine andere, hoffentlich bessere Option.

Um diese Kalkulation überhaupt anstellen zu können, bedarf es der zweiten neuronalen Zelle. »Diese berechnet nämlich den Weg neu«, so der Wissenschaftler, »und funktioniert ganz ähnlich wie ein Navigationssystem, beispielsweise die App von Waze oder Google Maps.« Die überraschende Fähigkeit des Wurms, mit nur zwei Zellen derartige Rechenleistungen vollbringen zu können, ist im Kontext der Evolutionsgeschichte keine schlechte Lebensversicherung. »Wer Mathematik beherrscht, kommt schneller an sein Futter.«

»Diese winzigen Würmer erteilen uns eine wichtige Lektion«, sagt Zaslaver mit einem Lächeln und wird beinahe philosophisch. Denn wenn man versucht, ein Problem zu bewältigen, scheint die schnelle Lösung oft die attraktivste zu sein. »Ganz offensichtlich brauchen wir aber darüber hinaus eine Art Backup-System, das ständig überwacht, ob wir uns auch wirklich auf dem richtigen Pfad befinden, und welches rechtzeitig erkennt, dass der Weg zu unserem Ziel womöglich anders aussehen kann, als ursprünglich vielleicht geplant.«

Potenzial Warum ausgerechnet die Fadenwürmer in Jerusalem für diese Experimente herangezogen wurden, hat einen simplen Grund. Der Caenorhabditis elegans besteht aus nur 959 Zellen. Die sind nicht nur alle bestens bekannt und leicht überschaubar. Auch seine Entwicklung läuft stets gleich ab und lässt sich mikroskopisch gut verfolgen, weshalb er das optimale Arbeitstier in Labors ist.

Dass aus Fadenwürmern jetzt keine glitschigen Einsteins werden, dürfte ebenfalls klar sein. »Ein Mensch verfügt über ungefähr 100 Milliarden Neuronen in seinem Gehirn«, so Zaslaver. »Der Nematode Caenorhabditis elegans kommt dagegen gerade einmal auf genau 302. Aber vielleicht verdeutlicht diese Relation, zu was ein Mensch vielleicht noch alles mit seiner Rechenleistung fähig sein könnte, wenn er deren Arbeitsweisen besser versteht.«

Berlin

Mut im Angesicht des Grauens: »Gerechte unter den Völkern« im Porträt

Das Buch sei »eine Lektion, die uns lehrt, dass es selbst in den dunkelsten Zeiten Menschen gab, die das Gute dem Bösen vorzogen«, heißt es im Vorwort

 17.09.2025

Israel

»The Sea« erhält wichtigsten israelischen Filmpreis

In Reaktion auf die Prämierung des Spielfilms über einen palästinensischen Jungen strich das Kulturministerium das Budget für künftige »Ophir«-Verleihungen

von Ayala Goldmann  17.09.2025

Berlin

»Stärker als die Angst ist das menschliche Herz«

Die Claims Conference präsentiert in einem Bildband 36 Männer und Frauen, die während der Schoa ihr Leben riskierten, um Juden zu retten

von Detlef David Kauschke  17.09.2025

Auszeichnung

Theodor-Wolff-Preis an Journalisten vergeben

Der Theodor-Wolff-Preis erinnert an den langjährigen Chefredakteur des »Berliner Tageblatts«, Theodor Wolff (1868-1943)

 17.09.2025

Los Angeles

Barbra Streisand über Dreh mit Robert Redford: »Pure Freude«

Mit dem Klassiker »The Way We Were« (»So wie wir waren«) brachen die beiden Stars in den 70er-Jahren Millionen Herzen. Nach dem Tod von Redford blickt Hollywood-Ikone Streisand zurück auf den Dreh

von Lukas Dubro  17.09.2025

Kritik

Toni Krahl hat »kein Verständnis« für israelfeindliche Demonstrationen

Was in der Region um Israel passiere, sei ein Drama, das sich über Jahrzehnte entwickelt habe, sagte Krahl

 17.09.2025

Berlin

Für Toleranz, Demokratie: Margot Friedländer Preis vergeben

Es ist die erste Preisverleihung nach dem Tod der Stifterin. Ausgezeichnet wird der Einsatz für die Ideale der im Frühjahr gestorbenen Holocaust-Überlebenden

 17.09.2025

Hochstapler

»Tinder Swindler« in Georgien verhaftet

Der aus der Netflix-Doku bekannte Shimon Hayut wurde auf Antrag von Interpol am Flughafen festgenommen

 16.09.2025

Eurovision Song Contest

Streit um Israel: ESC könnte wichtigen Geldgeber verlieren

RTVE ist einer der fünf größten Geldgeber des Eurovision Song Contest. Umso schwerer wiegt der Beschluss, den der spanische Sender verkündet

 16.09.2025