Restitution

Ein Erfolgsmodell?

Eine Frau steht vor einer Wand mit Papierbögen, die Kunstwerke aus der Gurlitt-Sammlung abbilden (September 2022 im Kunstmuseum Bern). Foto: picture alliance/KEYSTONE

Am 3. Dezember jährt sich zum 25. Mal die Verabschiedung der »Washington Principles«, die Empfehlungen für den richtigen Umgang mit NS-Raubkunst aussprechen. Sie waren das Resultat der Washingtoner Konferenz von 1998 über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust. Unterzeichnet hatten 44 Staaten sowie jüdische Opferverbände.

Ein Jahr sollte es dauern, bis Deutschland am 9. Dezember 1999 mit einer »Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz« offiziell reagierte. 2001 wurde schließlich die »Handreichung zur Umsetzung der Washingtoner Erklärung« formuliert.

Wie beurteilen wichtige Akteure deren Wirkungsgrad auf die Restitutionspraxis im Bereich der NS-Raubkunst heute? Kernproblem ist, dass es sich um eine moralische Absichtserklärung handelt, die auf freiwilliger Basis umgesetzt wird – oder eben auch nicht. »Es gibt keinen formalen Weg«, lautet dazu die Kritik von Rüdiger Mahlo von der Claims Conference in Europa. Was also hat die Erklärung gebracht – und was bleibt sie schuldig?

Die Einrichtung der Beratenden Kommission und des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste (DZK), das die Lost-Art-Datenbank betreibt, rubriziert Mahlo unter »Erfolge«. Der jüngsten – wiewohl schon im Jahr 2016 durchgeführten – Umfrage des Instituts für Museumsforschung zufolge gaben indes nur rund zehn Prozent der sich beteiligenden rund 4000 deutschen Museen an, die Provenienz ihrer Sammlungsobjekte im Vorjahr aktiv erforscht zu haben.

Das Problem: Es handelt sich um eine moralische Absichtserklärung. Ein Gesetz gibt es nicht.

Mahlo begrüßt derweil, dass Provenienzforschung »an vielen Museen fest etabliert« wurde. Massive Versäumnisse sieht er beim Gesetzgeber: Restitutionen fehlt die Rechtsgrundlage. Erben seien »Bittsteller«, anstatt in die Lage versetzt zu sein, »auf Augenhöhe« mit Museen und Behörden zu agieren.

Er beanstandet auch, dass Kunst im Privatbesitz in Deutschland von den Raubgut-Empfehlungen »nicht erreicht« wird, obwohl die Washingtoner Prinzipien Privatsektor und Kunsthandel einschließen würden: »Das erkennt man daran, dass es keine dahingehende Einschränkung gibt.« Mahlo sagt: »Das gesamte Thema ist weiterhin offen.« Allein Lost Art zähle 65.000 Verdachtsfälle.

DZK-Sprecherin Lena Grundhuber ist dennoch optimistisch. Die Datenbank sei ein zentrales »niederschwelliges Such- und Fundinstrument«. Vom DZK wird gleichfalls die Forschungsdatenbank »Proveana« betrieben, und zwar als Modul zu jüdischen Sammlern, das für »Provenienzforschung sowie Erinnerungskultur von Bedeutung ist«.

Grundsätzlich habe die Herkunftsforschung, so Grundhuber, in öffentlichen Museen sowie Bibliotheken in den vergangenen zehn bis 15 Jahren bemerkenswerte Fortschritte gemacht, sei nicht nur in großen Häusern »angekommen«, sondern auch in technischen Sammlungen oder Heimatmuseen.

Warum aber sind die »Washingtoner Principles« erst seit rund 15 Jahren ein »Erfolgsmodell«? »Um wirklich voranzukommen«, bedurfte es »der staatlichen Förderung ab 2008«. Positiv bewertet Grundhuber, dass einzelne Museen über die »unverzichtbare Förderung« durch das DZK hinaus selbst entsprechende Untersuchungen finanzieren, während Länder und große Kommunen Koordinierungsstellen einrichten.

Nach DZK-Einschätzung ist die Bereitschaft, die Herkunft ihrer Werke prüfen zu lassen, bei Privatsammlern gering

Restituiert seien indes, so Mahlo, bislang vor allem Bücher und »nur wenige Gemälde«. Freilich führten »nicht alle Museen die systematische Forschung ganz oben auf ihrer Agenda«, räumt Grundhuber ein. Und Privatsammler schon gar nicht. Nach DZK-Einschätzung ist die Bereitschaft, die Herkunft ihrer Werke prüfen zu lassen, bei ihnen gering. Das DZK-Förderangebot werde nur »in wenigen« Einzelfällen angenommen.

»Die Prinzipien richten sich an die Staaten«, sagt Henrik Hanstein, Präsident des Europäischen Versteigererverbandes (EFA), der von dem Abkommen insofern profitiert, als restituierte Kunst oft versteigert wird. Für Privatleute könnten die Regeln nicht gelten, »hier müsste endlich der Staat einen Ausgleich schaffen«. Denn: »Unschuldige gutgläubige Erwerber« könnten nicht für NS-Verbrechen haften, der Begriff Raubkunst »sollte nicht überdehnt werden«.

Auch Wolfgang Henze, Kurator des »Ernst Ludwig Kirchner Archivs zum Gesamtwerk + Archiv Stuttgarter Kunstkabinett Roman Norbert Ketterer«, wo »von 1947 bis 1962 mehr als 40.000 Werke der besonders betroffenen und heute hochpreisigen Expressionisten versteigert« wurden, betont die Verantwortung des »deutschen Staates«, der schließlich Verursacher sei, während sich »die Bundesrepublik immer als Nachfolge-Organisation des Dritten Reiches gesehen« habe.

Henze weiß von »sehr unterschiedlichen privaten Lösungen«, um den »Makel vom Kunstwerk zu tilgen«. Dabei nehme auch dieser Sektor Provenienzforschung ernst, während staatliche Institutionen »oft tendenziös und vorurteilsbehaftet« seien, sodass bisweilen von »wissenschaftlich-objektiver Forschung« keine Rede sein könne.

Für mehr Druck fordert nicht nur Mahlo, sondern auch der Zentralrat der Juden in Deutschland ein Restitutions­gesetz: »Fast 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird viel geredet, aber wenig restituiert.«
Und andernorts? Henrik Hanstein kons­tatiert: »Die USA halten sich am wenigsten an die Empfehlungen.«

Hans-Jürgen Papier

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