Finale

Der Rest der Welt

Foto: Marco Limberg

Ist es der »Schlafwagen-Wahlkampf« – oder nur die Herbstmüdigkeit? Seit Ende des Sommers bekomme ich morgens kaum noch die Augen auf. Abends um halb neun bringe ich meinen Sohn ins Bett und schlafe sofort ein. Nach zehn Stunden wache ich auf und bin total erschöpft.

Jeden Morgen, wenn ich mit dem Fahrrad zur Arbeit fahre, lächeln mir dieselben Politiker von Plakaten entgegen. »Es wird Zeit!«, verkündet die SPD. »Mehr Respekt für Familien!«, fordert die CDU. Die FDP will die Mitte entlasten. »Zukunft wird aus Mut gemacht«, behaupten die Grünen. Ich schlafe schon beim Schreiben fast wieder ein.

luftballons Der Einzige in unserer Familie, der noch leidenschaftlich eine politische Meinung vertritt, ist mein achtjähriger Sohn. Am Wochenende hat er rote Luftballons abgegriffen, die Wahlkämpfer vor seiner Schule unters Volk brachten. Am Montagmorgen hing in unserem Flur ein großes Anti-Wahlplakat: »Wählt auf keinen Fall SPD! Sie verteilen Luftballons, die man nicht aufblasen kann!« Mittlerweile sehne ich mich nach den Schlammschlachten und unterirdischen Beleidigungen, die in israelischen Wahlkämpfen zum Normalton gehören. »Merkel, hau ab« ist gar nichts dagegen!

Und noch etwas ist in Israel viel aufregender: Geschenke an die Wähler haben eine spirituelle Qualität. Fast wehmütig erinnere ich mich an die Wahl 1996, als ich als Journalistin in Israel lebte. Damals brachte Schas massenhaft kleine Amulette unters Volk, in denen der kabbalistische Rabbi Yitzhak Kaduri allen Wählern der Partei Schutz vor teuflischen Terroranschlägen versprach.

So ein Amulett könnte ich heute gut gebrauchen. Leider habe ich damals keines abbekommen. Außerdem wurden die Glücksbringer nach einer Klage der Meretz-Partei kurz vor dem Wahltermin aus dem Verkehr gezogen. Immer diese politisch korrekten Spaßverderber!

urnengang Langweilig wurde die Abstimmung trotzdem nicht: Am Wahltag durfte ich den Urnengang in Abu Gosch bei Jerusalem beobachten. Erstaunt nahm ich zur Kenntnis, dass bereits vor dem Wahllokal die Abstimmungszettel kursierten – kleine weiße Papiere, bedruckt mit hebräischen Buchstaben einer jüdischen Partei.

»Wer wählt denn die XXX in eurem Dorf?«, fragte ich einen Wähler. »Diese Partei ist hier sehr beliebt! Sie zahlt 2000 Schekel pro Stimme!«, sagte der Araber begeistert. Ich wollte es nicht glauben. Ein zweiter Araber, den ich fragte, ob die Geschichte wahr sei, meinte empört: »Alles gelogen! Es gibt nur 800 Schekel!«

Und dann begann die Auszählung. Um Mitternacht lag Schimon Peres vorne. Am nächsten Morgen wachte Israel auf, und Benjamin Netanjahu hatte gewonnen. Mittlerweile hat er mehr Tage im Amt verbracht als Angela Merkel. Soll ich mich freuen, in einem Land ohne große Überraschungen zu leben? Und was muss passieren, damit ich endlich aufwache? Wer mir ein Amulett schicken will oder eine bessere Methode findet, meinen Adrenalinspiegel endlich wieder in die Höhe zu treiben, soll sich umgehend melden!

Aufgegabelt

Linsenpfannkuchen von König David

Rezept der Woche

von Jalil Dabit, Oz Ben David  22.11.2025

TV-Tipp

TV-Premiere: So entstand Claude Lanzmanns epochaler Film »Shoah«

Eine sehenswerte Arte-Dokumentation erinnert an die bedrückenden Dreharbeiten zu Claude Lanzmanns Holocaust-Film, der vor 40 Jahren in die Kinos kam

von Manfred Riepe  21.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  21.11.2025

Gespräch

»Der Überlebenskampf dauert an«

Arye Sharuz Shalicar über sein neues Buch, Israels Krieg gegen den palästinensischen Terror und die verzerrte Nahost-Berichterstattung in den deutschen Medien

von Detlef David Kauschke  21.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  21.11.2025

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  21.11.2025

TV-Kritik

Allzu glatt

»Denken ist gefährlich«, so heißt eine neue Doku über Hannah Arendt auf Deutsch. Aber Fernsehen, könnte man ergänzen, macht es bequem - zu bequem. Der Film erklärt mehr als dass er zu begeistern vermag

von Ulrich Kriest  21.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Bettina Piper, Imanuel Marcus  21.11.2025

Kino

»Fast ein Wunder«

Das israelische Filmfestival »Seret« eröffnete in Berlin mit dem Kassenschlager »Cabaret Total« von Roy Assaf

von Ayala Goldmann  20.11.2025