Imanuels Interpreten (8)

Carly Simon: Das Phänomen

Carly Simon im Jahr 2008 Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Es passierte im November 1972: Die 29-jährige Sängerin und Komponistin Carly Simon veröffentlichte einen Song mit dem Titel You’re so Vain, der damals geliebt und seither nie vergessen wurde. Im größten Teil der englischsprachigen Welt kletterte er schnell auf Platz 1 der Top 40, in West-Deutschland immerhin auf den achten Platz der GfK-Charts.

Gute Chart-Platzierungen sind kein Garant für Qualität. Dieses Lied ist allerdings zweifellos eine überzeugend umgesetzte, gute Pop-Folk-Komposition. Carly Simon, ein Talent mit jüdischem Familienhintergrund, schrieb mit You’re so Vain eine der wichtigsten Hymnen des Jahrzehnts. Der Stil, den sie hier vorlegte, beeinflusste zahlreiche andere Künstler wie etwa Fleetwood Mac, deren inzwischen legendäres Album Rumours fünf Jahre später daran anknüpfte.

Es gibt viele Aspekte, die You’re so Vain (»Du bist so eingebildet«) zu einem besonderen Song machen. Niemand geringerer als Mick Jagger, der Frontman der elf Jahre zuvor gegründeten Rolling Stones, war bei den Aufnahmen am Hintergrundgesang beteiligt. Zudem wird bis heute darüber diskutiert, um wen es in dem wenig schmeichelhaften Text geht.

Alle Facetten

Inzwischen ist klar: Zumindest die zweite Strophe dreht sich um den Schauspieler Warren Beatty. »Warren denkt, dass die ganze Sache von ihm handelt«, sagte Carly Simon im Jahr 2015. »Das heißt aber nicht, dass die anderen beiden Strophen nicht auch von Warren handeln. Es bedeutet nur, dass es in der zweiten um ihn geht.«

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»You’re so Vain« war ein enormer Hit.

Dieses scheinbar ewige Rätsel sorgte für die geheimnisvolle Aura, die You’re so Vain umgab und dem Erfolg des Liedes nicht schadete. Zumeist sorgt jedoch der Song selbst für Begeisterung – in allen seinen Facetten, inklusive Carly Simons Performance im Aufnahmestudio. Das Magazin »Rolling Stone« lud You’re so Vain nur auf Platz 495 der »500 besten Songs aller Zeiten« ab. Die Nummer hätte definitiv einen weitaus besseren verdient.

Ein weiterer Aspekt, der zumindest auf dieser Seite des Atlantiks aufhorchen lässt: Es gibt eine direkte Verbindung in die Bundesrepublik: Der (West-)Berliner Musiker Klaus Voormann spielte bei der Aufnahme des Hits den Bass.

Gesang gegen Stottern

Die nächste deutsche Verbindung hat mit Carly Simons Familie zu tun: Ihre deutsch-kubanische Mutter Andrea Simon, geborene Heinemann, war Vater-Jüdin, wie sie selbst. Als klassische Pianistin brachte sie regelmäßig Chopins und Beethovens Klänge ins Haus, die Carly zweifellos beeinflussten.

Richard Simon, Carlys Vater, war ein von deutschen Juden abstammender Klavierhändler, der später mit einem weiteren Juden, Max Schuster, den Verlag Simon & Schuster gründete. Sein Bruder George Simon war Schlagzeuger in der Formation von Glenn Miller. Auch auf dieser Seite der Familie spielte also die Musik.

Der aufstrebende Star Carly Simon 1972 in LondonFoto: picture alliance / Avalon/Retna

In Riverdale (Bronx, New York) wuchs Carly Simon mit ihren älteren Schwestern Joanna und Lucy sowie ihrem Bruder Peter auf, die vor Jahren allesamt an Krebs starben. Nachdem sie im Alter von acht Jahren von einem Familienfreund im Teenager-Alter sexuell belästigt worden war, begann Carly, stark zu stottern. Ihre Mutter schlug ihr vor, zu singen, um das Problem zu bekämpfen, was hervorragend klappte. Jahre später studierte Carly Simon an der renommierten Julliard School of Music – wie viele Musikerkollegen, inklusive Barry Manilow (siehe Der Dritte Barry).

Simplistisch gestrickt

Im Jahr 1964 kam eine Schallplatte mit dem Titel Meet the Simon Sisters auf den Markt. Dies war kein Zufall. Natürlich war Carly eine dieser Schwestern, Lucy Simon die andere. Zehn Jahre später sagte Carly Simon in einem Interview: »Lucy und ich konnten drei Akkorde auf der Gitarre spielen und wollten Ferien machen. In Cape Cod (Halbinsel in Massachusetts, Anm.d.Red.) bekamen wir einen Auftritt.« Mit der Gage konnten die Schwestern ihren Ausflug finanzieren. Auch war die Performance der Beginn einer aufregenden Karriere.

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Carly Simon schrieb »You Belong to Me« mit Michael McDonald für die Doobie Brothers und interpretierte den Song 1978 selbst.

Once I Had a True Love von der ersten Platte der Simon-Schwestern ist ein simplistisch gestrickter Folk-Song mit einem eher naiv anmutenden Text. Carly Simons späterer Stil war weder hier herauszuhören, noch bei Konzerten, die sie Ende der 60er-Jahre mit der Combo Elephant’s Memory gab.

»Ich hasste diese Auftritte«, erinnerte sie sich später. »Wir spielten in Clubs, in denen die Leute gleichzeitig Dope und Zigaretten rauchten. Die Beschallungsanlagen waren so schrecklich, dass ich regelmäßig meine Stimme verlor. Eines Tages im Sommer hörte ich auf.« Auch im Nachhinein betrachtet war dies die richtige Entscheidung.

Kooperation mit Katze

Der 9. Februar 1971 war ein großer Tag: Carly Simons erstes Solo-Album, das nach ihr benannt war, wurde veröffentlicht. Ihr erster Hit That’s the Way I’ve Always Heard It Should Be war darauf. Schon dieser Song erreichte den 10. Platz der Billboard-Charts und wurde im Radio rauf- und runtergenudelt. Es kam noch besser: Das Lied bescherte Carly Simon eine Grammy-Nominierung. Als »Beste neue Künstlerin« bekam sie sogar eine der begehrten Trophäen.

Mit dem zweiten Album Anticipation, an dem Cat Stevens mitwirkte und aus dem drei Hit-Singles ausgekoppelt wurden, kam gleich die nächste Nominierung. So langsam gewöhnte sie sich an diese Ehrung. Im Laufe ihrer Karriere bekam sie zwei Grammy Awards und insgesamt 14 Nominierungen.

Das Album No Secrets, das You’re so Vain enthielt, schlug ein wie eine Bombe. Carly Simon war nun einer der größten Pop-Folk-Stars auf dem Planeten. Fast jedes Jahr legte sie neue Schallplatten vor, die allesamt als Erfolge in die Popmusik-Geschichte eingingen. Ihr Plattenlabel Elektra zeigte einen ausgeprägten Geschäftssinn, indem es einen »Best Of«-Sampler für sie veröffentlichte. Diese Scheibe ist bis heute ihr größter Erfolg.

Genreübergreifende Arbeit

Auch sang Carly Simon nun Songs für Kinofilme. Eines der prominentesten Beispiele ist die von Carole Bayer Sager und Marvin Hamlisch geschriebene Nummer Nobody Does It Better, die im Jahr 1977 der zentrale Song des James Bond-Films The Spy Who Loved Me wurde. Das Lied raste in zahlreichen Ländern schneller die Charts hoch als Roger Moore und Barbara Bach (die Ehefrau von Ringo Starr) schießen konnten.

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Mit »Nobody Does It Better« bestückte Carly Simon den James Bond-Film »The Spy Who Loved Me« von 1977 mit Barbara Bach und Roger Moore.

Carly Simon, die große Singer/Songwriterin, arbeitet genreübergreifend und hat dennoch einen hohen Wiedererkennungswert. Die 007-Nummer fällt unter die Rubrik Pop, der Song It Happens Everyday von 1983 ist ein Musterbeispiel für eine eher schwer verdauliche Country-Nummer, während die Liebesballade You Belong to Me fast wie ein Soul-Stück klingt. Sie schrieb es mit Michael McDonald für die Doobie Brothers, die den Song auf ihrem legendären 1977er Album Living on the Fault Line verewigten. Carly Simon packte das Lied ein Jahr später auf ihre Platte Boys in the Trees, wartete also mit einer Interpretation ihres eigenen Songs auf.

Im Jahr 1986 kam Heartburn in die Kinos, eine Romanze mit Meryl Streep und Jack Nicholson. In diesem Zusammenhang schaffte es Carly Simon, das Kinderlied Itsy Bitsy Spider zusammen mit dem anderen schönen Filmsong Coming Around Again zu einem Hit zu machen. Why, ihr Beitrag zu dem Streifen Soup for One, der vier Jahre zuvor die Leinwände eroberte, erwies sich hingegen als schreckliche Billig-Pop-Performance, die allerdings in ihre Zeit passte.

Simon und Simon

Mit ihrem ebenfalls jüdischen Singer/Songwriter-Kollegen Paul Simon, der in derselben Zeit mit überzeugenden Songs bekannt wurde, ist Carly Simon nicht verwandt. Lediglich der Nachname und ein paar Gemeinsamkeiten stimmen überein. Sie hatte offenbar nie etwas mit ihm zu tun. Anders verhielt es sich mit ihrem Kollegen James Taylor.

Carly Simon mit Warren Beatty im Jahr 1984Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Sie heiratete ihn am 3. November 1972 in New York. Aus der Verbindung gingen die Kinder Sarah und Ben Taylor hervor. Beide wurden Musiker, was niemanden überraschte. Die Ehe mit James Taylor hielt bis 1983. Jahrzehntelang sprach sie danach nicht mehr mit ihm. »Ich würde sagen, die Beziehung ist nicht existent«, sagte Carly Simon vor 20 Jahren. Im Jahr 2015 gab sie hingegen an, sie wolle ihn weiterhin heilen. »Ich will dazu beitragen, dass es ihm gut geht. Ich liebe ihn sehr.«

Wenn zwei große Singer/Songwriter verheiratet sind, kommt es natürlich zu Kooperationen. Sie schrieben zusammen Songs. Carly Simon singt auf zahlreichen seiner Aufnahmen aus der gemeinsamen Zeit. Später war sie 20 Jahre lang mit James Hart verheiratet, einem Poeten und Geschäftsmann.

Three Mile Island

Kurz vor der Jahrtausendwende kämpfte Carly Simon gegen Brustkrebs. Sie unterzog sich einer Mastektomie und einer Chemotherapie. Da Linda McCartney 1998 an Brustkrebs starb, hatte sie verständlicherweise Angst. Der Tod ihrer guten Freundin habe sie emotional hart getroffen, sagte sie später.

Die 23 Studioalben, die Carly Simon bisher veröffentlichte, und ihre zahlreichen Touren sind nur ein Teil ihres aufregenden Lebens. Auch als politische Aktivistin ist sie bekannt. Im Jahr 2016 erlaubte sie im damaligen Wahlkampf die Nutzung von You’re so Vain in einem TV-Spot, der sich gegen Donald Trump richtete. Als Grund dafür nannte sie den Skandal um eine Videoaufnahme, in der Trump angab, er fasse Frauen ungefragt an ihre Geschlechtsteile.

Mit James Taylor war sie 1980 Teil des gefilmten No Nukes-Konzertes, in dessen Rahmen sich zahlreiche Künstler gegen die Atomenergie wandten. Nur Monate zuvor wäre es in einem Atomkraftwerk in Three Mile Island (Pennsylvania) fast zu einer Kernschmelze gekommen.

Goodman und Einstein

Carly Simons Einfluss ist bis heute enorm. Vor einigen Jahren wurde sie von Taylor Swift auf die Bühne geholt, für You’re so Vain im Duett. Viele Künstler, bis hin zu Marlyn Manson, den Foo Fighters und Celine Dion sangen ihre Songs. Sie kooperierte mit dem Schweizer Harfenisten Andreas Vollenweider und vielen anderen Kollegen.

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Die inzwischen 81-jährige Sängerin und Komponistin, die allerdings auch Kinderbücher veröffentlichte und über ihre Freundschaft mit Jacqueline Kennedy Onassis schrieb, wurde unlängst von der amerikanischen Fernsehlegende Dan Rather interviewt. Unter anderem verriet sie ihm, sie habe als Schülerin keine Ahnung gehabt, dass ihr Vater prominent war. Ein Mitschüler habe ihr eines Tages in der Schulbibliothek ein von ihm verlegtes Buch gezeigt. »Guck mal, es ist von Deinem Vater.« In diesem Moment habe sie es verstanden.

In ihrem Elternhaus waren ihr zufolge Albert Einstein, Benny Goodman und andere Stars zu Gast. Als kleines Mädchen habe sie leider nicht gewusst, wer diese Besucher waren. Ganz Amerika und Menschen ab 40 in der gesamten westlich orientierten Welt wissen aber, wer das Phänomen Carly Simon ist.

»Imanuels Interpreten« ist eine Kolumne über jüdische Musiker von Imanuel Marcus. marcus@juedische-allgemeine.de

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