Wuligers Woche

Arroganz der Ohnmacht

Dass der Prophet im eigenen Land nichts gilt, hat schon Jesus beklagt. Foto: Getty Images

Wuligers Woche

Arroganz der Ohnmacht

Kritische Israelis: Je unbedeutender, um so grandioser

von Michael Wuliger  16.07.2020 08:41 Uhr

Dass der Prophet im eigenen Land nichts gilt, hat schon Jesus beklagt. Auch Omri Boehm kann davon ein Lied singen. Der israelische Philosoph hat eine Vision entwickelt, wie endlich Frieden zwischen Arabern und Juden in Nahost einkehren könnte, nämlich durch einen binationalen, föderalen Staat.

These Das ist die Grundthese seines kürzlich erschienenen Buches Israel – eine Utopie, das in Deutschland begeistert aufgenommen worden ist. Im Deutschlandfunk, in der Süddeutschen Zeitung und in vielen anderen Medien wurde es ausführlich und positiv besprochen.

»Das wohl bedeutendste Buch zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts, das in den vergangenen Jahren erschienen ist«, schrieb die »Zeit«.

Nur schade – jedenfalls für den Verfasser und die Rezensenten –, dass diese bedeutendste Lösung dort, wo sie ansetzen soll, nicht einmal zur Kenntnis genommen wird. Omri Boehms Buch ist eine Übersetzung aus dem Englischen. Nicht aus dem Hebräischen. In Israel ist es überhaupt nicht erschienen.

Zensur Nicht, weil im jüdischen Staat Zensur herrscht. Es fand sich dort bloß kein Verlag. Und selbst wenn: Der Band hätte sich nicht gut verkauft. Die Israelis glauben nicht mehr an große Würfe. Sie sind schon froh, wenn nur der Status quo sich halbwegs hält.

In anderen Worten: Das Buch ist eigentlich für die Katz. Seine Landsleute, die Omri Boehm ansprechen will, interessieren sich nicht für das, was er zu sagen hat. Und die Deutschen, die seine Vision so begeistert aufnehmen, sind, auch wenn sie das nicht gerne hören mögen, in Nahost irrelevant. Boehms Idee wird bleiben, was der Titel schon verspricht: eine Utopie.

Publikum Mit diesem Schicksal steht der Autor nicht allein. Auch andere kritische Israelis finden ihr Publikum vor allem außerhalb des eigenen Landes. In München, Frankfurt und Berlin gehören sie zum Stamm-Ensemble der politischen Debatte. In Aschdod und Petach Tikva kennt man nicht einmal ihre Namen. Und in Jerusalem hört auf sie keiner.

»Haaretz«, die im Ausland als unermüdlicher Mahner gegen die Besatzung meistzitierte Tageszeitung Israels liegt daheim mit einer Reichweite von gerade einmal 3,9 Prozent auf dem letzten Platz der überregionalen Blätter.

Einst war das israelische »Friedenslager« eine gesellschaftliche und politische Macht – auf der Straße und in der Regierung. Heute sind von ihm nur kümmerliche Reste übrig, einflusslos und ungehört. Ein wenig ähneln seine Vertreter jenen traurigen Exilgruppen, die von Ferne zähneknirschend die Entwicklungen in ihrer Heimat kommentieren und, je ohnmächtiger sie sind, umso grandiosere Ideengebäude konstruieren für die Zeit »danach«, von der sie ahnen, dass sie nie kommen wird. Was sie sagen und schreiben, bleibt folgenlos und ohne Wirkung.

Als Trostpreis immerhin gibt es Elogen in den deutschen Feuilletons. Die Politik in Israel machen derweil andere.

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  19.10.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Über Wurstmeldungen und andere existenzielle Fragen

von Katrin Richter  19.10.2025

Aufgegabelt

Maroni-Kuchen

Rezepte und Leckeres

von Nicole Dreyfus  19.10.2025

Sachbuch

Ärger am Skopusberg

Yfaat Weiss skizziert die wechselvolle Geschichte der israelischen Exklave in Ost-Jerusalem zwischen 1948 und 1967

von Ralf Balke  19.10.2025

Innovation

Rettung für den Kinneret

Zum ersten Mal weltweit wird entsalztes Wasser in einen Süßwassersee geleitet

von Sabine Brandes  19.10.2025

Sehen!

»Red Alert«

Die Serie will das Geschehen des 7. Oktober in filmische Bilder fassen – die erzählerische Kraft des Vierteilers liegt in der Hoffnung

von Christoph Schinke  19.10.2025

Israel

Warum ich meine gelbe Schleife nicht ablege

Noch immer konnten nicht alle Angehörigen von Geiseln Abschied von ihren Liebsten nehmen

von Sophie Albers Ben Chamo  17.10.2025

Berlin

Neue Nationalgalerie zeigt, wie Raubkunst erkannt wird

Von Salvador Dalí bis René Magritte: Die Neue Nationalgalerie zeigt 26 Werke von berühmten Surrealisten. Doch die Ausstellung hat einen weiteren Schwerpunkt

von Daniel Zander  17.10.2025

Theater

K. wie Kafka wie Kosky

Der Opernregisseur feiert den Schriftsteller auf Jiddisch – mit Musik und Gesang im Berliner Ensemble

von Christoph Schulte, Eva Lezzi  17.10.2025