Sommerurlaub

App in die Ferien

Richtig verstanden? »Mache heute etwas, das dich entspannt!«, heißt ein Tagesspruch. Foto: Flash 90

Heute habe ich erfahren, dass es eine neue App zur besseren Erholung im Urlaub gibt. Eine App, die Gestressten bei der Erholung hilft. Und nicht nur das. Auf der App sind viele sinnvolle Übungen und Tipps zu finden, damit die mühsam erbrachte Erholung auch nach dem Urlaub möglichst lange nachwirkt.

Die beiden virtuellen Reisebegleiter unterstützen die armen Berufstätigen, denn gute Erholung im Urlaub kann dazu beitragen, dass aus kurzfristigem Stress kein langfristiger wird. Denn wir alle wissen: Chronischer Stress ist ein Risikofaktor bei Herzerkrankungen, Depressionen und vielem, vielem mehr.
Diese App muss ich haben.

Es wäre doch unverantwortlich, das viele Geld für den Urlaub auszugeben und dann nicht die optimalen Ergebnisse zu erzielen, nur weil ich mich den beiden virtuellen Gastgebern und Reisebegleitern nicht anvertrauen mag. Aus seriösen Studien habe ich erfahren, dass selbst die fundierteste Urlaubserholung höchstens zwei Wochen anhält. Es besteht eindeutig Handlungsbedarf!

Playlist Die App (ich vertraue mich der weiblichen Reisebegleiterin an, davon ausgehend, dass sie meine Feriensorgen als Frau besser zu verstehen und umzudisponieren vermag) gibt mir vor Reiseantritt schon ein paar kluge Ratschläge. »Erstelle eine Playlist für die Ferien«, schlägt sie vor, »das schafft Vorfreude.« Was für eine kluge Idee. Ich werde mir auch gleich all die Filme auf die Festplatte ziehen, die ich schon immer sehen wollte und nie die Zeit dazu gefunden habe.

Sofort mache ich mich an die Arbeit. Beide Söhne werden verpflichtet mitzuhelfen, schließlich wollen auch sie eine entspannte Mutter in und nach den Fe-rien. Geduldig ziehen sie Prince und Godard auf die Festplatte. Dummerweise sind solche Vorhaben dann doch etwas mühsamer als erwartet: Das WLAN fällt aus, die Festplatte klemmt, die DVDs sind zerkratzt, Spotify streikt, die Jungs verlieren die Nerven und dergleichen mehr.
Nach zwei Tagen und zwei Nächten ha-be ich zwar nicht mehr viel an Vorfreude für die Reise übrig, aber genug Songs und Filme, um mehrere Jahre in den Ferien bleiben zu können.

Ich möchte wirklich alles richtig machen, denn die Ferien haben einen großen Stellenwert in unserem Leben eingenommen: Die Kinder sind groß und selten zu Hause. Ich bin schwer beschäftigt. Die Zeit, die wir zusammen verbringen, soll bestmöglich genutzt werden, stressfrei und langanhaltend in der Wirkung sein. Ganz zu schweigen davon, dass ich mehrere Gagen in den Urlaub investiert habe!

Daily Sobald wir unser Reiseziel erreicht haben, schalte ich meine App dazu. Die hat insgesamt 160 Tipps, auch »Dailys« genannt, für die Zeit vor, während und nach dem Urlaub erstellt. Als da wäre: »Mache heute etwas, das dich entspannt!« Na klar. Mach ich. Eine meiner einfachsten Übungen. Yoga? Pilates? Oder doch lieber ein Buch lesen? Ich kann mich doch immer so schlecht entscheiden. Wozu habe ich die App gebucht, wenn ich jetzt darüber nachdenken muss, was ich am besten tue, um mich zu entspannen?

»Lass dich feiern!« Das wird ja immer besser. Von wem denn genau? Von meinen Tischnachbarn im Hotel? Oder von meinen Söhnen? Na, die werden sich freuen. Sie wollten in die hipste Bar im Ort und das ganz sicher ohne ihre Mutter.

»Blicke zurück auf die Dinge, die du in den vergangenen Monaten geschafft hast!« Na prima, da fällt mir überhaupt nichts zu ein. Und wenn, dann nur Düsteres. Die Proben zur letzten Offenbach-Oper waren eine Zumutung. Ich weiß gar nicht, wie ich sie überhaupt überlebt habe. Dass sich nicht alle zerfleischt haben, war schon der größte Erfolg. Mein Mann hatte einen Hörsturz und musste gepflegt werden, der eine Sohn beim Führerschein unterstützt, der andere beim Abitur betreut werden. Zählt so was schon zu »Dinge, die ich geschafft habe«?

Die App rät mir, Unternehmungen mit anderen zu machen. Schottische Wissenschaftler hätten herausgefunden, dass es schneller gehe, gedanklich herunterzukommen, wenn man sich einer Gruppe anschließt. Negativ kreisende Gedanken seien überhaupt eine der Hauptursachen für schlechte Erholung.
Ich mache mit einer Gruppe von Hotelgästen eine Radtour, im Gegenwind und Regen.

Hotel Für Stunden bin ich gar nicht in der Lage, an etwas anderes zu denken als an die warme Badewanne bei der Rückkehr ins Hotel. Den Ausflug verbuche ich als Erfolg. Denn jeder gemachte Daily bringt einen Punkt für die virtuellen Reisebegleiter, somit geht es wenigstens ihnen gut.

Die absolute Gedankenfreiheit aber stellt sich erst ein, wenn man sich von Mails, WhatsApp, Instagram und SMS komplett freimacht. Dann kann das »selbstbestimmte Handeln«, das während der Berufstätigkeit zu kurz kommt, wieder seinen vollen Platz einnehmen.

Ich nehme meinen Computer, mein Tablet, mein Handy und lasse sie, vom Hotelmanager persönlich, im Hotelsafe einschließen. Es geht mir schlagartig besser.

Allerdings habe ich auch keine Urlaubs-App mehr ... Na ja, vielleicht halb so schlimm. Dann mache ich halt Ferien wie eh und je, gehe mit oder ohne meine Söhne baden und spazieren, lese oder schaue Fernsehen – oder mache nichts dergleichen.

Die Autorin ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Am 4. Oktober erscheint ihr neues Buch: »Die jüdische Souffleuse«, Köln, Kiepenheuer & Witsch

Interview

Susan Sideropoulos über Styling-Shows und Schabbat

GZSZ-Star Susan Sideropoulos hat im ZDF die neue Makeover-Show »That’s My Style«. Nur wenige wissen jedoch, wie engagiert die Enkelin jüdischer NS-Opfer gesellschaftspolitisch ist

von Jan Freitag  13.06.2025

Aufgegabelt

Pastrami-Sandwich

Rezepte und Leckeres

 12.06.2025

Streaming

Doppelte Portion Zucker

Mit »Kugel« ist den Machern der Kultserie »Shtisel« ein vielschichtiges Prequel gelungen

von Nicole Dreyfus  12.06.2025

TV-Tipp

Das Schweigen hinter dem Schweinderl

»Robert Lembke - Wer bin ich« ist ein kluger Film über Verdrängung, Volksbildung und das Schweigen einer TV-Legende über die eigene Vergangenheit. Nur Günther Jauch stört ein wenig

von Steffen Grimberg  12.06.2025

Kulturkolumne

Annemarie, Napoleon und ich

Gute Bücher wachsen mit, hat mein Großvater immer gesagt. Warum »Desirée« von Annemarie Selinko uns alle überleben wird

von Sophie Albers Ben Chamo  12.06.2025

Aufgegabelt

Himbeer-Sorbet mit Zaatar

Rezepte und Leckeres

 12.06.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  12.06.2025

Imanuels Interpreten (10)

Kenny Gorelick: Das Enfant Terrible

Er ist der erfolgreichste Jazz-Musiker – und der meistgehasste. Warum eigentlich?

von Imanuel Marcus  12.06.2025

Medien

Deutschlands Oberlehrer

Wer will noch mal, wer hat noch nicht? In diesen Tagen scheint die Diffamierung Israels oberste Bürgerpflicht zu sein. Ein Kommentar

von Michael Thaidigsmann  11.06.2025 Aktualisiert