»Medienintellektuelle in der Bundesrepublik«

Adorno, Arendt und all die anderen

Es gibt bis heute eine gängige bundesdeutsche Geschichtserzählung, und die geht so: Die ersten Nachkriegsjahrzehnte waren geprägt vom »Adenauer-Mief«, dann kam glücklicherweise »68« – dieses wiederum auch möglich gemacht durch die Frankfurter Schule.

Dass jedoch deren jüdische, aus dem Exil heimgekehrte Vertreter Theodor W. Adorno und Max Horkheimer dann auch von 68er-Studenten wüst angegangen wurden, dass dem Verschweigen der NS-Zeit das skandalös relativierende Plappern über Auschwitz (als vermeintliche »Metapher« für Kapitalismus, »Ausgrenzung«) folgte und sich ein bis heute virulenter Antisemitismus/Antizionismus von links akademisch etablierte – geschenkt.

Auch in Axel Schildts voluminöser Studie Medienintellektuelle in der Bundesrepublik wird diese fatale Entwicklung nicht thematisiert. Der Autor, einer der renommiertesten Zeithistoriker der Bundesrepublik, starb überraschend bereits im vergangenen Jahr und konnte deshalb die von 1968 bis zu den ersten Jahren der »Berliner Republik« weiterreichenden Kapitel nicht mehr schreiben.

Umso bemerkenswerter, was Schildt bis dahin bereits geleistet hatte und was nun (herausgegeben von seiner Lebensgefährtin und einem ehemaligen Kollegen) in einem fast 900-seitigen Buch vorliegt, inklusive Quellen- und Namensregister. Hier ist ein Autor, der flüssig schreiben kann und skrupulös zu gewichten weiß, der – ohne in der immensen Materialfülle zu ertrinken – klar und klug strukturiert eine wertvolle Entdeckung nach der anderen zutage fördert.

fernsehen Nicht zuletzt die bemerkenswerte Radio- und Zeitschriften-Präsenz jüdischer Intellektueller lange vor 1968 wird hier sichtbar, dankenswerterweise von Schildt jedoch nicht etwa gesondert dargestellt, sondern eingebettet in die Schilderung der damaligen Debatten.

War eine Kulturkritik à la Horkheimer und Adorno punktuell doch auch von jenen konservativen Intellektuellen goutiert worden, die nicht so genau über den fundamentalen Unterschied zwischen einer liberalen De­mokratie und einem massenmörderischen Unrechtsstaat nachdenken wollten, sondern lieber von »Konsumterror«, »Aufklärungs-Ambivalenz«, »Fortschrittswahn« und dergleichen salbaderten.

»Es kann nicht sein, dass die Deutschen reich wie die USA, aber neutral wie Monaco sein wollen.«

William S. Schlamm

Kein Zufall, dass dann Hannah Arendts Totalitarismus-Buch bei der Frankfurter Schule kaum auf Gegenliebe stieß und auch die präzisen Beobachtungen eines Siegfried Kracauer nicht zum Geraune eines vermeintlich omnipräsenten »Verblendungszusammenhangs« passten.
Wie aber kam es, dass Hannah Arendts Fernsehauftritt (1964 befragt von Günter Gaus) dennoch geradezu emblematisch wurde und ein ebenfalls weiterhin im New Yorker Exil lebender Soziologe namens Siegfried Kracauer zumindest als Geheimtipp zu firmieren begann?

Man kann Axel Schildt nicht genug posthumen Dank dafür aussprechen, dass er angesichts der Fülle damals viel gelesener Zeitschriften (von denen der inzwischen eher akademisch-enigmatische »Merkur« oder die zur SPD-Mittelbau-Postille herabgesunkenen »Frankfurter Hefte« ja noch immer existieren) das eigentliche Zäsur-Periodikum nicht vergessen hat.

Denn es war natürlich der 1948 – mit logistischer Unterstützung der damaligen amerikanischen Besatzungsbehörden – gegründete »Monat«, der unter der inspirierenden Ägide des ex-trotzkistischen jüdischen »New York Intellectual« Melvin Lasky in den ersten Nachkriegsjahrzehnten Unschätzbares leistete. So war ein geistig ausgehungertes Publikum mit den neuesten Entwicklungen im weltweiten Kulturleben vertraut zu machen – das übernahmen Exilierte wie eben Siegfried Kracauer, Hilde Spiel, Walter Mehring, Hans Sahl oder Alphons Silbermann mit ihren Kulturbriefen aus London, New York, Zürich oder Sydney.

klarheit Gleichzeitig musste ein tradier­ter Antikommunismus (der bei nicht wenigen Lesern bis dahin eher nazi-braun grundiert war) in einen kämpferisch liberalen Antitotalitarismus verändert werden, der nicht Stalins Verbrechen gegen diejenigen der Nazis ausspielte und überdies auch »die« Deutschen nicht in eine neue »nationalneutralistische« (Axel Schildt) Opferrolle entließ.

Der Autor fördert eine wertvolle Entdeckung nach der anderen zutage. Was für ein Buch!

Wer dabei – in konzisen Essays und ohne jegliche Didaktik oder gar Rabulistik – für Klarheit sorgte, in diesem Buch fehlen ihre Namen nicht: Hannah Arendt, Manès Sperber, Arthur Koestler, Franz Borkenau, Hermann Kesten, Richard Löwenthal und all die anderen. (Selbst einer der damals Jüngsten wird von Axel Schildt erwähnt, denn bereits mit 38 Jahren publizierte der Holocaust-Überlebende Ralph Giordano 1961 sein Abschiedsbuch von kommunistischer Rigidität: Die Partei hat immer recht.)

Sogar wer nach aktuellsten Parallelen sucht, wird hier fündig: So erinnert Schildt etwa an William S. Schlamm, jenen aus dem amerikanischen Exil nach Europa zurückgekehrten ehemaligen »Weltbühnen«-Autor, der 1959 in seiner damals viel gelesenen Streitschrift Die Grenzen des Wunders eine Einsicht angemahnt hatte, der sich noch heute Unzählige verschließen: Es könne nicht angehen, dass die Westdeutschen »reich wie Amerika, aber schwach und neutral wie Monaco« sein wollten. Deshalb noch einmal: Was für ein Buch!

Axel Schildt: »Medienintellektuelle in der Bundesrepublik«. Wallstein, Göttingen 2020, 896 S., 46 €

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  14.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  13.11.2025

Kino

Zwischen »Oceans Eleven« und Houdini-Inszenierung

»Die Unfassbaren 3« von Ruben Fleischer ist eine rasante wie präzise choreografierte filmische Zaubershow

von Chris Schinke  13.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 13.11.2025

Film

Dekadenz, Krieg und Wahnsinn

»Yes« von Nadav Lapid ist provokativ und einseitig, enthält aber auch eine tiefere Wahrheit über Israel nach dem 7. Oktober

von Sascha Westphal  13.11.2025

Kolumne

Hineni!

Unsere Autorin trennt sich von alten Dingen und bereitet sich auf den Winter vor

von Laura Cazés  13.11.2025

Zahl der Woche

-430,5 Meter

Fun Facts und Wissenswertes

 12.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 13. November bis zum 20. November

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025